Einfluss von Lobbyisten: Es braucht klare Schranken
Lobbygruppen wissen genau, wie sie sich einen Weg in die Politik bahnen können. Dagegen braucht es ein Bewusstsein und institutionelle Schranken.
W ährend Sie diesen Beitrag lesen, arbeiten Heerscharen von Industrie- und Finanzunternehmen, Wirtschaftsprüfer:innen und -anwält:innen, Stiftungen und Forschungsinstituten – mal leiser, mal lauter – daran, den Staat auszuhöhlen. Tag und Nacht widmen sich Unternehmens- und Steuerberatungen der Frage, wie öffentliches Eigentum zugunsten privater Kapitalgeber liquidiert werden kann. Zeitgleich bahnen millionenschwere Lobbygruppen den weiteren Ausverkauf öffentlichen Eigentums an.
Denn ohne Lobbyismus ist die Politik staatlicher Selbstentmachtung nicht denkbar. Dies gilt für die Privatisierung von Schulen und Kliniken ebenso wie für den Verkauf städtischer Wohnungsbaugesellschaften und Seniorenheime. Und auch die stetig länger werdende Liste von Projekten, die als öffentlich-private Partnerschaften umgesetzt werden, ist das Ergebnis intensiver Lobbyaktivitäten. Ohne sie würden die Kommunen bei Schulen, oder der Bund bei militärischen Einrichtungen seltener Firmen mit dem Bau und Betrieb öffentlicher Infrastrukturen beauftragen, um dann 25 Jahre zum Teil horrende Mieten zu entrichten. Selbst in kriegerischen Zeiten gerät in Vergessenheit, dass Privatfirmen an Militäreinsätzen beteiligt werden und auf diese Einfluss nehmen (können).
Die Bürgerbewegung Finanzwende hat zutage gefördert, dass der Finanzindustrie in Deutschland die Lobbyarbeit 442 Beschäftigte sowie mehr als 40 Millionen Euro pro Jahr wert ist. Stellt man diesem gewaltigen Engagement die Mitglieder des Finanzausschusses im Deutschen Bundestag gegenüber, ergibt sich ein Personenverhältnis von zehn zu eins zugunsten der Finanzlobby. Ungeachtet der im politischen Raum stehenden Forderung, dass die Bundesregierung ihre externen Beratungen reduzieren solle, steigen die Kosten kontinuierlich. 1,6 Milliarden Euro flossen in den vergangenen zehn Jahren für externe Beratungen aus Bundesmitteln. Welchen Einfluss die führenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaften geltend machen können, zeigen die von den „Big Four“ verwässerten Branchenvorschriften, die unter anderem im Wirecard-Skandal gipfelten.
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Unzählige Lobbyorganisationen umgarnen Politiker:innen, um ihren Interessen Nachdruck zu verleihen. Lobbyismus kennt gerade in „privatisierungsanfälligen“ Bereichen verborgene Wege, um Einfluss zu nehmen. Dazu zählt auch, dass Gesetzestexte zunehmend von Anwaltskanzleien ausgearbeitet werden. Darunter fällt auch die Platzierung von Leihbeamt:innen in Ministerien. Und als neue Spielart des informationellen Inputs hat in den vergangenen Jahren die „wissenschaftliche“ Politikberatung an Bedeutung gewonnen. Durch Studien aus den Federn von Sachverständigenräten, Beiräten, Expertenkommissionen, Hochschulen, Stiftungen und Thinktanks werden Privatisierungsvorhaben auf ein vermeintlich belastbares Fundament gestellt, obwohl diese „Politikberatung auf Weisung“ wissenschaftlichen Kriterien oft nicht genügt.
Schon lange stehen Lobbyist:innen die Türen zu den politischen Stellwerken teils weit offen. Es muss jedoch vermutet werden, dass die Bundesregierung unter der Ägide des ehemaligen BlackRock-Aufsichtsratsvorsitzenden Friedrich Merz diese Praxis eher aus- als abbauen wird. Sogar das „Pkw-Maut-Desaster“, das Ex-Verkehrsminister Andreas Scheuer zu verantworten hat und Steuerzahler:innen 270 Millionen Euro kostete, löste keine Abkehr der Beeinflussung durch die Lobby aus. Das ist nicht nur ein Armutszeugnis für die öffentliche Verwaltung. Es veranschaulicht zugleich, wie weit die Abhängigkeiten der öffentlichen Hand von privatwirtschaftlichen Interessen gediehen sind.
Ohne Lobbyismus ist kaum eine Privatisierung denkbar, aber insbesondere die Privatisierung der Sozialversicherungssysteme ist nahezu ausschließlich den parteiübergreifenden, auf Jahre angelegten und auf alle politischen Ebenen zielenden Lobbyaktivitäten zuzuschreiben. Mehr noch als in anderen Politikfeldern, in denen an Eckpfeilern der staatlichen Daseinsvorsorge gesägt wurde, ist die Privatisierung der Altersvorsorge das Ergebnis einer äußerst geschickten politischen Kampagne. Vermeintlich unabhängige Institute streuten und streuen so beharrlich wie regelmäßig die Argumentation, dass die alten Generationen auf Kosten der jungen lebten.
Tatsächlich ist die Mehrzahl dieser „Denkfabriken“, die an der Schnittstelle zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Öffentlichkeit operieren, nicht nur ideell, sondern auch finanziell mit der (Finanz-)Wirtschaft verwoben: So wird das Deutsche Institut für Altersvorsorge, das „sich als Plattform eines umfassenden Diskurses zur Altersvorsorge und Generationengerechtigkeit“ versteht, von Unternehmen der Finanzwirtschaft getragen. Zu den Gesellschaftern gehören neben der Deutschen Bank die DWS Group, die BHW Bausparkasse und die Zurich Gruppe Deutschland. Ihr Ziel ist es, Menschen zu informieren, zu sensibilisieren und zu aktivieren, damit sie fundierte Entscheidungen für ihre finanzielle Absicherung im Alter treffen können. Das Engagement der Finanzwirtschaft für finanzielle Bildung an Schulen muss als weiterer Beleg gelten.
Ein Ende der Privatisierungsspirale ist nur denkbar, wenn sich ein breites öffentliches Bewusstsein dafür entwickelt, dass Verschlechterungen der Daseinsvorsorge das Ergebnis von Lobbyarbeit sind. Aber wann endlich werden höhere Preise für die Strom- und Gasversorgung oder kaum noch erschwinglicher Wohnraum als Folgen der lobbyistisch motivierten Privatisierungspolitik begriffen? Fest steht: Würden die täglich in Erscheinung tretenden Negativfacetten des Ausverkaufs staatlichen Eigentums von uns als Folge von Lobbyaktivitäten ernst genommen, wäre der Unmut gegenüber der Entstaatlichungspolitik größer. Gesellschaftliche Sensibilisierung reicht aber nicht aus. Es braucht institutionelle Schranken für Lobbyaktivitäten, wenn sich das neoliberale Credo des „schlanken“ Staates nicht länger in politischen Entscheidungen niederschlagen soll. Andernfalls drohen die Säulen der öffentlichen Daseinsvorsorge endgültig ins Wanken zu geraten.
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