VW in der Krise: Zwei potenziell tödliche Fehler
Antriebswende verschlafen, Kernklientel verprellt: Volkswagen hat Strukturprobleme, es kriselt in China und in den USA. Aber da ist auch ein Hoffnungsschimmer.
300 Kilometer Reichweite, 116 PS, 24.990 Euro: Ist der neue ID.Polo, der ab kommenden Sommer verkauft werden soll, die Rettung für Europas größten Autokonzern? Lange galt ein Elektro-Kleinwagen unter 25.000 Euro als der Trumpf, den die Volkswagen AG nur ziehen müsste, um ihre Schwäche im Segment der Zukunft ein für alle Mal zu lindern. Doch inzwischen gibt es Kompaktstromer aus Fernost für deutlich weniger Geld, mit mehr Reichweite, mit besserer Ausstattung.
Die aktuelle Krise ist mehr als eine von denen, wie sie den Konzern bislang etwa alle zehn Jahre befallen haben. Aber ist es gleich das Ende für Volkswagen? Neben der übermächtigen Konkurrenz aus China drückt der Zollkonflikt mit den USA auf die Margen. Lange war es die Nachfrageschwäche. Dann die hohen Energiepreise. Oder die überbordende Bürokratie.
Und jetzt sind es die brutal traurigen VW-Bilanzen. Zwischen Juli und September fuhr der einstige Wachstumsmotor der deutschen Wirtschaft seinen ersten Quartalsverlust seit der Coronakrise im Frühsommer 2020 ein. 1,07 Milliarden Euro Miese.
Volkswagen, Industrie-Ikone mit 679.000 Mitarbeitenden in 117 Werken weltweit, kann nicht einfach weiterwurschteln. Das sagen alle Fachleute. Moritz Schularick, Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Kiel, stellte jüngst sogar das Überleben von VW als eigenständigem Konzern infrage – und brachte chinesische Investoren ins Spiel. Nur die Übernahme durch den chinesischen Geely-Konzern habe die schwedische Marke Volvo gerettet, so der Ökonom. Der Gedanke daran werde dem „deutschen Automobilisten-Hirn nicht leicht fallen“, so Schularick. Der Ausverkauf müsse jedoch „kein Drama sein, wenn wir es schaffen, die Wertschöpfung, auch bei Batterien, nach Deutschland zu holen“.
Noch sind Kündigungen tabu
Und was macht VW? Bangen, gesundschrumpfen, umstrukturieren. Mitte Dezember endete die Fertigung im kleinen Werk in Dresden, in Osnabrück rätseln die 2.300 Mitarbeitenden, wie es nach dem Ende der Produktion des T-Roc ab 2027 weitergehen soll. Insgesamt sollen bis 2030 in den zehn deutschen VW-Werken 35.000 Arbeitsplätze wegfallen.
Der traditionell bei Volkswagen mächtige Betriebsrat nickte das ab. Tausende haben bereits Vorruhestandsregelungen unterschrieben, gekündigt wird in der Herzkammer der deutschen Autoindustrie nicht. Noch nicht.
Nach Jahrzehnten der scheinbar endlosen Profite begingen die VW-Granden am Wolfsburger Mittellandkanal mindestens zwei möglicherweise letale Fehler. Erstens: Die Antriebswende wurde verschlafen und es wurde nicht auf ihre neuen Kernstücke gesetzt, die Batterie und die Software. Zweitens: Die Kernklientel wurde vernachlässigt. Heute werden in Europa 3 Millionen Autos weniger verkauft als 2019. Das liege daran, dass sich Hersteller wie VW „bewusst für Gewinne statt für hohe Stückzahlen entschieden haben“, sagt Sebastian Bock von der Verkehrs-NGO Transport & Environment. VW-Chef Oliver Blume machte „value over volume“ (Englisch für „Wert über Menge“) zum Leitspruch der Marke mit dem „Volk“ im Namen. Zwischen 2018 und 2024 stieg der Durchschnittspreis von Fahrzeugen im hiesigen Massenmarkt um 40 Prozent – von 22.000 Euro auf 30.700 Euro.
Premiummarken wenig hilfreich
Da schauten viele Kund*innen doch erst mal, was die Konkurrenz anbietet. Noch stärker in China, wo auch durch die starke Konkurrenz Absatz und Gewinne schmolzen. Volkswagen, bis 2021 hier Nummer eins, kommt bei E-Autos nun nur noch auf einen Marktanteil von nicht mal 1 Prozent. In einem Markt, in dem mehr als jedes zweite neue Fahrzeug elektrisch fährt, verheerend. Ähnlich problematisch läuft es in Thailand oder Vietnam.
Dazu kommen die Probleme bei den Konzernmarken: Porsche, einst Garant für sagenhafte Gewinne, ist zum Problemkind mit Abschreibungen von allein im dritten Quartal 4,7 Milliarden Euro geworden. Neben Absatzverlusten in China kämpft der Luxuskonzern mit den Importzöllen in den USA, dem wichtigsten Markt der Schwaben. Zu Jahresbeginn kündigte Porsche den Wegfall von 1.900 Stellen an, über ein weiteres Schrumpfen der Belegschaft wird mit dem Betriebsrat verhandelt. Außerdem kippte das Management im September die Strategie, setzt wieder mehr auf Verbrenner und Hybride und verschiebt vollelektrische Modelle. In der USA-Falle steckt auch Audi: Der Tochterkonzern bräuchte dort dringend ein Werk, um die Zölle besser umgehen zu können, ziert sich aber noch.
Rückbesinnung auf den Massenmarkt
Immerhin soll der vollelektrische ID.Up ab 2027 für weniger als 20.000 Euro zu haben sein und steht damit für eine Rückbesinnung auf die alte Massenmarkt-Rolle. Und: Zwischen Januar und September dieses Jahres lieferte Volkswagen 523.000 bereits vollelektrische Autos in Europa aus – 78 Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Aber auch der dringend notwendige Umbau der Produktpalette birgt Fallstricke. Denn: Die E-Autos werfen nicht so hohe Margen ab wie die Verbrenner.
Konzernchef Blume verweist gerne darauf, zurzeit mit 60 Prozent seines Absatzes kein Geld zu verdienen. Das liegt an zu hohen Kosten im Inland – und an den Dumpingpreisen der Konkurrenz, die jetzt BYD, Xpeng oder Leapmotor heißt. Der staatlich gepamperte Markt in der Volksrepublik operiert mit ganz anderen Größenordnungen: Von Januar bis Ende September wurden in China 6,52 Millionen E-Autos gebaut, 45 Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum.
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