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Terrorangriff auf Chanukka-FestSydney-Attentäter des 15-fachen Mordes angeklagt

Der Angriff galt Juden und Jüdinnen beim Chanukka-Fest. Der Schütze wurde in insgesamt 59 Fällen angeklagt. Der Inlandsgeheimdienst steht in der Kritik.

Rabbi Yossi Friedman spricht am Dienstag bei einer Gedenkfeier für die Anschlagsopfer von Bondi Beach Foto: Mark Baker/ap

Aus Sydney

Urs Wälterlin

Nach dem Anschlag auf eine Chanukka-Feier im australischen Sydney am Sonntag hat die Staatsanwaltschaft den überlebenden Schützen am Mittwoch des 15-fachen Mordes angeklagt. Am Dienstag war er aus einem medizinischen Koma erwacht, nachdem er bei einem Schusswechsel mit der Polizei schwer verletzt worden war. Der zweite Schütze, der 50-jährige Vater des Festgenommenen, war am Sonntag von einem Polizisten erschossen worden.

Angeklagt wurde der Täter in insgesamt 59 Punkten: 15-mal wegen Mordes, 40-mal wegen Körperverletzung und schwerer Körperverletzung mit Tötungsabsicht sowie zusätzlich wegen „Begehung einer terroristischen Handlung“. Wird er schuldig gesprochen, droht ihm lebenslange Haft.

Vater und Sohn hatten am Sonntag kurz nach 18.40 Uhr das Feuer auf eine Gruppe von rund 1.000 jüdischen Feiernden eröffnet, die in einem Park hinter dem weltbekannten Bondi Beach den Beginn des Chanukka-Festes zelebrierten.

Bei seiner ersten Gerichtsverhandlung am Mittwoch wurde der Attentäter von einem Pflichtverteidiger vertreten. Die Verhandlung fand per Videoschalte in einem virtuellen Gerichtssaal statt. Der 24-Jährige stellte keinen Antrag auf Freilassung auf Kaution. Am 22. Dezember soll der Fall erneut verhandelt werden.

15 Tote und Dutzende Verletzte

Am Mittwochnachmittag Ortszeit versammelte sich eine große Menschenmenge in einer Synagoge in Bondi zur ersten Beerdigung eines Opfers des Terroranschlags. Unter den Toten ist auch Rabbi Eli Schlanger, der 18 Jahre lang Leiter der jüdischen Chabad-Mission in Bondi gewesen war. Er hinterlässt eine Frau und fünf kleine Kinder, darunter ein zwei Monate altes Baby.

Bei dem als Terrorattacke klassifizierten Verbrechen wurden nicht nur 15 Menschen getötet. Dutzende weitere Menschen wurden verletzt, darunter 4 Kinder. 20 Verletzte lagen Mittwochnachmittag noch immer im Krankenhaus. Unter ihnen waren auch die beiden Polizisten Scott Dyson und Jack Hibbert. Am Mittwoch wurde bekannt, dass Hibbert als Folge einer Schussverletzung die Sehkraft auf einem Auge verlieren wird. Der Beamte war erst seit wenigen Monaten im Polizeidienst.

Laut Behörden deuten erste Ermittlungen darauf hin, dass der Anschlag vom Islamischen Staat (IS) inspiriert wurde, einer auch in Australien gelisteten Terrororganisation. Die beiden Täter waren offenbar im November in die Philippinen gereist, um sich dort in einem IS-Trainingslager ausbilden zu lassen. „Die Polizei wird vor Gericht geltend machen, dass der Mann Handlungen begangen hat, die zum Tod, zu schweren Verletzungen und zur Gefährdung von Leben geführt haben, um eine religiöse Sache voranzutreiben und Angst in der Gemeinschaft zu verbreiten“, heißt es in einer Erklärung der Polizei von New South Wales zur Anklage des überlebenden Täters. Die Ermittlungen werden als „massiv“ und „komplex“ beschrieben.

Der Vater soll seit 2015 sechs Schusswaffen besessen haben, die er legal erworben hatte. Mehrere dieser Gewehre waren beim Angriff am Bondi Beach verwendet worden, unter ihnen eine Schrotflinte. Der Premierminister von New South Wales, Chris Minns, will das Parlament noch vor Weihnachten über eine Beschränkung der Anzahl von Schusswaffen beraten lassen, die ein lizenzierter Schütze besitzen darf.

Kritik am Geheimdienst

Seit dem Verbrechen am Sonntag stellen Kritiker aus Politik und der jüdischen Gemeinde die Frage, wie es sein könne, dass der Inlandsgeheimdienst Asio die Vorbereitungen der beiden Männer nicht erkannt habe. Der Vater war als 16-Jähriger wegen seiner Nähe zu einem prominenten australischen IS-Vertreter vom Geheimdienst überwacht worden. Damals habe Asio aber keinen Handlungsbedarf gesehen, heißt es.

Der politische Analyst und Publizist David Tyler schrieb am Mittwoch in einem Onlinemedium, Asio sei zwar sehr gut „in der Identifizierung von Umweltprotestierenden“, könne aber offenbar nicht „einen Vorrat von Waffen mit einer bekannten extremistischen Organisation in Verbindung bringen“. Seit Jahren verfüge Asio über die Instrumente, den Zugang und die gesetzliche Grundlage, „um Australier immer detaillierter zu überwachen“. Jeder Misserfolg der Organisation werde aber „zur Rechtfertigung für weitere Befugnisse, zu einem weiteren Anspruch auf außerordentliche Finanzmittel“. Die australische Regierung pumpt jährlich Hunderte von Millionen Dollar in den Geheimdienst, eine von vier Spionageorganisationen, die das Land unterhält.

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