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Reproduktive Rechte in EuropaSichere Abtreibungen solidarisch ermöglichen

Das EU-Parlament stimmt für die Bür­ge­r*in­nen­in­itia­ti­ve My Voice, My Choice: Abtreibungen sollen auch in anderen Mitgliedstaaten möglich sein.

Im Paul-Löbe Haus in Berlin wird gefeiert: Das EU-Parlament hat die Initiative von Bürger*innen, „My Voice, My Choice“, angenommen Foto: Beritan Dik

Aus Berlin

Beritan Dik

„Ist angenommen“, verkündete die Vizepräsidentin des EU-Parlaments Pina Picierno, und Applaus brach aus. Frauen mit rosa T-Shirts fielen sich lachend in die Arme. Das Europäische Parlament nahm am Mittwochmittag die Bür­ge­r*in­nen­in­itia­ti­ve My Voice, My Choice mit 358 Stimmen an. Damit stimmten 56 Prozent des Parlaments für sichere und zugängliche Abtreibungen in Europa durch einen freiwilligen finanziellen Solidaritätsmechanismus.

Ähnliche Szenen wie im Parlament spielten sich zeitgleich im Paul-Löbe-Haus des Bundestages ab. Das Büro von Ulle Schauws, der Grünen-Sprecherin für Frauenpolitik, veranstaltete zusammen mit Ak­ti­vis­t*in­nen und anderen Po­li­ti­ke­r*in­nen eine Watch-Party. Davon soll es in Europa an diesem Tag über 100 gegeben haben, sagte Schauws. Sie freue sich, dass das Thema so viel Aufmerksamkeit erfahre.

My Voice, My Choice forderte, dass die EU einen freiwilligen Finanzierungsmechanismus schaffen soll, den alle EU-Länder nutzen können. Teilnehmende Staaten könnten im Einklang mit ihrem nationalen Recht dann ungewollt Schwangeren aus Staaten mit restriktiveren Regeln Zugang zu sicheren Abtreibungen verschaffen. So könnten Frauen, die in restriktiven Staaten leben, mithilfe von EU-Geldern woanders Abtreibungen durchführen.

Annika Kreitlow vom Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung und vom Netzwerk Doctors for Choice betonte, dass Staaten freiwillig teilnehmen können. Es handle sich zudem nicht um ein Gesetz, da Gesundheitspolitik nicht in die EU-Kompetenz falle.

In Deutschland sind Schwangerschaftsabbrüche illegal

My Voice, My Choice ist eine Bewegung von Freund*innen, Ak­ti­vis­t*in­nen und Organisationen, die reproduktive Rechte in Europa einfordert. Sie will, dass alle Menschen in der EU Zugang zu einer sicheren Abtreibung haben. Das sei schätzungsweise für mehr als 20 Millionen Frauen in Europa nicht gegeben. My Voice, My Choice ist in ganz Europa aktiv und vernetzt.

In Deutschland etwa sind Schwangerschaftsabbrüche illegal, aber unter bestimmten Voraussetzungen in den ersten drei Monaten einer Schwangerschaft straffrei. Die Legalisierung von Abbrüchen in der Frühphase einer Schwangerschaft war Anfang des Jahres knapp gescheitert. Hierzulande gehören unter anderem Doctors for Choice und das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung zu My Voice, my Choice.

Im Gespräch erklärte Kreitlow, dass eine europäische Bür­ge­r*in­nen­in­itia­ti­ve mit mehr als 1 Millionen Unterschriften von der Kommission bearbeitet und im Parlament abgestimmt wird. Die Bewegung konnte 1,2 Millionen Unterschriften sammeln. „Die Stimmen zu sammeln war zunächst die entscheidende Hürde. Und wie wir gerade im EU-Parlament gesehen haben, ging es bei der Abstimmung ja auch darum, die erforderlichen Stimmen zu kriegen“, so Kreitlow. Der Name der Bewegung verweise auf die Bedeutung der Stimme – sowohl als Ausdruck individueller Entscheidung als auch als politisches Gewicht.

Fragile Mehrheit im Parlament

Bereits vor der Anhörung in der Kommission hatte der EU-Ausschuss für Frauenrechte und Geschlechtergerechtigkeit die Unterstützung der Initiative beschlossen. Aus der Kommission erfolgten schließlich positive Reaktionen. Der Mechanismus sei aus Sicht der Kommission mit dem EU-Recht vereinbar.

Doch vor der Abstimmung im Parlament waren sich Kreitlow und Schauws unsicher. Die Mehrheit im Parlament sei fragil. Eine gut finanzierte Anti‑Gender‑Bewegung mit hunderten Organisationen und internationalen Geldflüssen nehme massiv Einfluss. Zusätzlich habe es Ablenkungsstrategien und viele Gegeninitiativen gegeben, erklärte Kreitlow.

Nun bleibe abzuwarten, was die Kommission genau umsetzen wird. Aber etwas müsse auf jeden Fall passieren. „Das wäre ein Gesichtsverlust für die EU-Kommission, sich da jetzt gegenzustellen“, so Kreitlow.

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4 Kommentare

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  • Und was bedeutet das jetzt genau und welche Institution übernimmt dann die Kosten? "freiwilliger Finanzierungsmechanismus" klingt immer danach: alles kann, nichts muss und zahl am besten Du, dann muss Ich nichts zahlen...



    Abgesehen davon, ob man mit Freiwilligkeit bei Orban, Babis und Konsorten weiterkommt?

  • Die EU ist für die Frage der Abtreibung überhaupt nicht zuständig. Wie kommt das EU Parlament dazu, sich selbst zu ermächtigen?

    Im Übrigen beseitigt ein Abbruch der Schwagerschaft im Ausland ja nicht die inländische Strafbarkeit. Wäre schon merkwürdig, wenn die EU durch entsprechende finanzielle Mittel Beihilfe begeht.

  • Da gab es vor etwa einer Woche einen spannenden Beitrag auf Bayern 2, in dem ein Buch von Andreas Kemper vorgestellt wurde. In diesem deckt er auf, wie adelige Familien in Deutschland sich auf die Fahnen geschrieben haben, Frauenrechte zu bekämpfen. Den Titel habe ich leider vergessen.



    Aber hier ein Link zu einem ganz interessanten Artikel:



    www.graswurzel.net...er-antifeminismus/

    Bin so überaus „wichtige“ Leute gegen die Legalisierung des Schwangerschaftsabbruch sind, dann wiegt das natürlich mehr als die Zustimmung der Mehrheit der Bevölkerung. Da muss man wohl Verständnis haben …