„Letzte Verteidigungswelle“: Jungnazis als Terroristen angeklagt
Junge Rechtsextreme formierten sich als „Letzte Verteidigungswelle“. Nun klagt sie die Bundesanwaltschaft an – wegen Terrorismus und versuchter Morde.
Die rechtsextreme Gruppe war sehr jung, einer ihrer beschuldigten Anführer erst 15 Jahre alt. Im Mai hatte die Bundesanwaltschaft die Truppe, die im Internet als „Letzte Verteidigungswelle“ (LVW) firmierte, hochgenommen und fünf ihrer Mitglieder festnehmen lassen. Drei weitere saßen schon zuvor in Haft. Nun hat die oberste Ermittlungsbehörde vor dem Oberlandesgericht Hamburg Anklage gegen die Gruppe erhoben: wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung.
Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft bestätigte die Anklage. Nach taz-Informationen wirft die Behörde der Gruppe vor, sich spätestens im April 2024 zusammengefunden und zu schweren Straftaten verabredet zu haben – die teils als versuchte Morde gewertet werden. Vor allem mit Gewalttaten gegen Migrant*innen habe die LVW gegen eine vermeintliche „Überfremdung“ ankämpfen wollen. Auch politische Gegner und die LGBTQ+-Bewegung hätten im Visier gestanden.
Besprochen wurde sich dazu in einer internen Chatgruppe, dem „Generalchat“. Postuliertes Ziel der Gruppe war es, das „eigene Land zurückzuerobern“. Über sich selbst schrieben die Jung-Neonazis, sie seien „die Welle, die den Dreck aus unserem Land spült“. Sinniert wurde darüber, eine Gewaltspirale in Gang zu setzen, um damit die „weiße Rasse“ zu erhalten und die liberale Demokratie abzuschaffen.
Ein „Propagandaminister“ und eine „Gestapo“
Die taz hatte Anfang April mit als erste auf die „Letzte Verteidigungswelle“ öffentlich aufmerksam gemacht und auch nach den Festnahmen in Altdöbern (Brandenburg) und Wismar (Mecklenburg-Vorpommern) recherchiert, wo die mutmaßlichen Anführer lebten. Auch laut aktueller Anklage sollen die Wismarer Gruppengründer Jason R. und Benjamin H., 18 und 16 Jahre alt, die „Rädelsführer“ gewesen sein, ebenso wie der 15-jährige Altdöberner Lenny M., der in der Gruppe als „Propagandaminister“ fungiert, für sie Videos erstellt und Neumitglieder geprüft haben soll.
Die anderen festgenommenen Mitglieder kommen aus Thüringen, Sachsen und Hessen. Bis auf den jüngsten Beschuldigten – den 14-jährigen Ben-Maxim H., der der Leiter der gruppeneigenen „Gestapo“ gewesen sein soll – sitzen alle weiterhin in Haft. Die Ziele der Gruppe waren hochtrabend: Perspektivisch wollte sie bis zu 400 Mitglieder aufbauen.
Die „Letzte Verteidigungswelle“ schritt auch bereits zur Tat. So soll Lenny M. mit einem zweiten Gruppenmitglied im Oktober 2024 in Altdöbern ein Kulturhaus, den „Kultberg“, angezündet haben, das aus ihrer Sicht von Linken betrieben wurde. Das Gebäude brannte vollständig nieder, es entstand ein Schaden von 550.000 Euro. Nur durch Glück geriet nicht das angrenzende Wohnhaus in Brand, in dem die Betreiberfamilie schlief.
Die Bundesanwaltschaft wertet die Tat deshalb als versuchten Mord. In einem Video soll Lenny M. die Tat angekündigt, seine Mitstreiter mit „Sieg Heil Kameraden“ gegrüßt und zu ähnlichen Taten aufgefordert haben. Der beschuldigte Mitanführer Benjamin H. soll die Tat mitgeplant, der jüngste Beschuldigte Ben-Maxim H. eine Rede dafür geschrieben haben.
Zwei andere Mitglieder sollen wiederum im Thüringer Schmölln im Januar 2025 nachts eine Geflüchtetenunterkunft mit einer Feuerwerksbatterie attackiert haben. Das Ziel war auch hier laut Anklage, das Haus in Brand zu setzen – was aber misslang. Dennoch sieht die Bundesanwaltschaft auch diese Tat als versuchten Mord.
Ein weiterer Angriff auf eine Unterkunft in Senftenberg soll im Februar bevorgestanden haben, dafür hatte der sächsische „Gauleiter“ Devin K. schon Sprengkörper beschafft. Zunächst war die Rede von zwei Kugelbomben, es war aber wohl ein verbotener Feuertopf. Die Tatausführung scheiterte, weil der 21-Jährige zuvor festgenommen wurde. Die Anklage wertet die Tat als Verabredung zum Mord.
Neuer Vorwurf: Straftaten als „Pedo Hunter“
Und die Gruppe soll noch mehr Straftaten begangen haben als bisher bekannt. Die Anklage wirft einigen LVW-Mitgliedern nach taz-Informationen auch vor, sich ab August 2024 bis zu den Festnahmen in vier Fällen als selbsternannte „Pedo-Hunter“ mit vermeintlichen Pädophilen verabredet und diese dann misshandelt und teils schwerer verletzt zu haben. Einem Betroffenen wurden Geld und das Handy abgenommen. Zudem sollen Lenny M. und Devin K. auch einen 13-Jährigen bedroht haben, weil dieser nach ihrer Ansicht zu wenig Respekt vor ihrer Gruppe gezeigt habe.
Die Straftaten waren fester Bestandteil der Gruppe: So soll eine Aufnahme in die LVW daran gekoppelt gewesen sein, eine rechte Straftat begangen zu haben – eine Körperverletzung, ein gespraytes Neonazi-Graffiti oder eingeworfene Fenstern einer Geflüchtetenunterkunft. Bewerber sollten die Taten filmen und der Gruppenführung übersenden. Bei Mitgliedern wurde dann später wiederum eine Bewaffnung mit Messern, Schlagringen, Schreckschusspistolen oder Böllern angeordnet.
Ab dem kommenden Frühjahr sollen die Angeklagten dann vor dem Oberlandesgericht Hamburg stehen. Dort wird nun über die Zulassung der Anklage beraten – und ob der Prozess öffentlich oder nichtöffentlich geführt wird. Bei Jugendlichen finden Prozesse stets hinter verschlossenen Türen statt. Da hier aber mit den älteren Beschuldigten auch Heranwachsende angeklagt sind, könnte der Prozess auch öffentlich geführt werden. Möglich wäre dann ein teilweiser Ausschluss der Öffentlichkeit, wenn es um die Jugendlichen geht.
Nach taz-Informationen ist zumindest der beschuldigte Gruppenanführer und Altdöberner Lenny M. inzwischen in einem Aussteigerprogramm. Gerichte hielten seinen Haftbefehl dennoch aufrecht: Weil seine Einbindung in die rechtsextreme Szene so eng sei und die zu erwartende Strafe so hoch, dass ein zu großes Fluchtrisiko bestehe.
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