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„Letzte Verteidigungswelle“Jungnazis als Terroristen angeklagt

Junge Rechtsextreme formierten sich als „Letzte Verteidigungswelle“. Nun klagt sie die Bundesanwaltschaft an – wegen Terrorismus und versuchter Morde.

In Altdöbern blieb nur eine Brandruine: Blick in das von den Rechtsextremen angezündete Kulturhaus „Kultberg“ Foto: Frank Hammerschmidt/dpa

Die rechtsextreme Gruppe war sehr jung, einer ihrer beschuldigten Anführer erst 15 Jahre alt. Im Mai hatte die Bundesanwaltschaft die Truppe, die im Internet als „Letzte Verteidigungswelle“ (LVW) firmierte, hochgenommen und fünf ihrer Mitglieder festnehmen lassen. Drei weitere saßen schon zuvor in Haft. Nun hat die oberste Ermittlungsbehörde vor dem Oberlandesgericht Hamburg Anklage gegen die Gruppe erhoben: wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung.

Eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft bestätigte die Anklage. Nach taz-Informationen wirft die Behörde der Gruppe vor, sich spätestens im April 2024 zusammengefunden und zu schweren Straftaten verabredet zu haben – die teils als versuchte Morde gewertet werden. Vor allem mit Gewalttaten gegen Mi­gran­t*in­nen habe die LVW gegen eine vermeintliche „Überfremdung“ ankämpfen wollen. Auch politische Gegner und die LGBTQ+-Bewegung hätten im Visier gestanden.

Besprochen wurde sich dazu in einer internen Chatgruppe, dem „Generalchat“. Postuliertes Ziel der Gruppe war es, das „eigene Land zurückzuerobern“. Über sich selbst schrieben die Jung-Neonazis, sie seien „die Welle, die den Dreck aus unserem Land spült“. Sinniert wurde darüber, eine Gewaltspirale in Gang zu setzen, um damit die „weiße Rasse“ zu erhalten und die liberale Demokratie abzuschaffen.

Ein „Propagandaminister“ und eine „Gestapo“

Die taz hatte Anfang April mit als erste auf die „Letzte Verteidigungswelle“ öffentlich aufmerksam gemacht und auch nach den Festnahmen in Altdöbern (Brandenburg) und Wismar (Mecklenburg-Vorpommern) recherchiert, wo die mutmaßlichen Anführer lebten. Auch laut aktueller Anklage sollen die Wismarer Gruppengründer Jason R. und Benjamin H., 18 und 16 Jahre alt, die „Rädelsführer“ gewesen sein, ebenso wie der 15-jährige Altdöberner Lenny M., der in der Gruppe als „Propagandaminister“ fungiert, für sie Videos erstellt und Neumitglieder geprüft haben soll.

Die anderen festgenommenen Mitglieder kommen aus Thüringen, Sachsen und Hessen. Bis auf den jüngsten Beschuldigten – den 14-jährigen Ben-Maxim H., der der Leiter der gruppeneigenen „Gestapo“ gewesen sein soll – sitzen alle weiterhin in Haft. Die Ziele der Gruppe waren hochtrabend: Perspektivisch wollte sie bis zu 400 Mitglieder aufbauen.

Die „Letzte Verteidigungswelle“ schritt auch bereits zur Tat. So soll Lenny M. mit einem zweiten Gruppenmitglied im Oktober 2024 in Altdöbern ein Kulturhaus, den „Kultberg“, angezündet haben, das aus ihrer Sicht von Linken betrieben wurde. Das Gebäude brannte vollständig nieder, es entstand ein Schaden von 550.000 Euro. Nur durch Glück geriet nicht das angrenzende Wohnhaus in Brand, in dem die Betreiberfamilie schlief.

Die Bundesanwaltschaft wertet die Tat deshalb als versuchten Mord. In einem Video soll Lenny M. die Tat angekündigt, seine Mitstreiter mit „Sieg Heil Kameraden“ gegrüßt und zu ähnlichen Taten aufgefordert haben. Der beschuldigte Mitanführer Benjamin H. soll die Tat mitgeplant, der jüngste Beschuldigte Ben-Maxim H. eine Rede dafür geschrieben haben.

Zwei andere Mitglieder sollen wiederum im Thüringer Schmölln im Januar 2025 nachts eine Geflüchtetenunterkunft mit einer Feuerwerksbatterie attackiert haben. Das Ziel war auch hier laut Anklage, das Haus in Brand zu setzen – was aber misslang. Dennoch sieht die Bundesanwaltschaft auch diese Tat als versuchten Mord.

Ein weiterer Angriff auf eine Unterkunft in Senftenberg soll im Februar bevorgestanden haben, dafür hatte der sächsische „Gauleiter“ Devin K. schon Sprengkörper beschafft. Zunächst war die Rede von zwei Kugelbomben, es war aber wohl ein verbotener Feuertopf. Die Tatausführung scheiterte, weil der 21-Jährige zuvor festgenommen wurde. Die Anklage wertet die Tat als Verabredung zum Mord.

Neuer Vorwurf: Straftaten als „Pedo Hunter“

Und die Gruppe soll noch mehr Straftaten begangen haben als bisher bekannt. Die Anklage wirft einigen LVW-Mitgliedern nach taz-Informationen auch vor, sich ab August 2024 bis zu den Festnahmen in vier Fällen als selbsternannte „Pedo-Hunter“ mit vermeintlichen Pädophilen verabredet und diese dann misshandelt und teils schwerer verletzt zu haben. Einem Betroffenen wurden Geld und das Handy abgenommen. Zudem sollen Lenny M. und Devin K. auch einen 13-Jährigen bedroht haben, weil dieser nach ihrer Ansicht zu wenig Respekt vor ihrer Gruppe gezeigt habe.

Die Straftaten waren fester Bestandteil der Gruppe: So soll eine Aufnahme in die LVW daran gekoppelt gewesen sein, eine rechte Straftat begangen zu haben – eine Körperverletzung, ein gespraytes Neonazi-Graffiti oder eingeworfene Fenstern einer Geflüchtetenunterkunft. Bewerber sollten die Taten filmen und der Gruppenführung übersenden. Bei Mitgliedern wurde dann später wiederum eine Bewaffnung mit Messern, Schlagringen, Schreckschusspistolen oder Böllern angeordnet.

Ab dem kommenden Frühjahr sollen die Angeklagten dann vor dem Oberlandesgericht Hamburg stehen. Dort wird nun über die Zulassung der Anklage beraten – und ob der Prozess öffentlich oder nichtöffentlich geführt wird. Bei Jugendlichen finden Prozesse stets hinter verschlossenen Türen statt. Da hier aber mit den älteren Beschuldigten auch Heranwachsende angeklagt sind, könnte der Prozess auch öffentlich geführt werden. Möglich wäre dann ein teilweiser Ausschluss der Öffentlichkeit, wenn es um die Jugendlichen geht.

Nach taz-Informationen ist zumindest der beschuldigte Gruppenanführer und Altdöberner Lenny M. inzwischen in einem Aussteigerprogramm. Gerichte hielten seinen Haftbefehl dennoch aufrecht: Weil seine Einbindung in die rechtsextreme Szene so eng sei und die zu erwartende Strafe so hoch, dass ein zu großes Fluchtrisiko bestehe.

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7 Kommentare

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  • Was mich hier schockiert ist, wie zielorientiert und geradeaus die Gruppe in ihrer Praxis war. Das sind Jugendliche und sie sind supergefährlich. In diesem Alter sich so vor Gericht verantworten zu müssen, ist schon krass. Und in diesem Fall werden Szeneanwälte es schwer haben, die rauszuboxen. Dazu war das Alles zu eindeutig.



    Und ich glaube, es ist egal, wo solche Neonazis leben, die wären auch auf einem einzelnen Gehöft noch gefährlich für andere Menschen.



    Interessant wäre, wo sie sich und wie sich radikalisiert haben.

  • Ich habe mir mal Luftaufnahmen von Altdöbern angesehen. Es handelt sich um eine kleine, überschaubare Ortschaft - wo jeder jeden kennt und sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Wie ist es also möglich, dass Jugendliche und junge Erwachsene immer wieder Straftaten begehen und keiner ahnt oder weis etwas davon.

    • @Il_Leopardo:

      Grad im kleinen Dorf sind das halt "unsere Jungs" die wohl mal "etwas über die Stränge schlagen" aber an sich ganz in Ordnung sind, weil sie Oma Kalupke auch mal den Einkaufskorb nach Hause tragen und Opa Schlüschen die Dachrinne sauber machen helfen. Jungs sind halt Jungs.

      Und dass in (nicht nur ost-)deutschen Dörfern rechte Tendenzen bei jungen Menschen nicht so als das größte Problem gesehen werden, ist ja auch eine Binse. Hauptsache sie haschen nicht und färben sich die Haare nicht blau.

    • @Il_Leopardo:

      Vielleicht sollte man sich mal das (familiäre) Umfeld der Jugendlichen und jungen Erwachsenen näher ansehen. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass deren rechtsradikale Ideen auf ihrem eigenen Mist gewachsen sind. Es ist anzunehmen, dass der Nährboden dafür schon vorhanden war. Das würde auch erklären, warum niemand im Dorf etwas bemerkt hat, beziehungsweise alle die Klappe gehalten haben.

    • @Il_Leopardo:

      Es ist natürlich nicht möglich, aber in diesen Regionen auch leider nicht überraschend. Man hätte da in den 90ern schon mit eisernem Besen auskehren und die Gefängnisse mit Rechtsextremisten füllen müssen. Da man das nicht getan hat, sind die Kinder der damaligen Baseballschlägerverbrecher heute auf den Spuren der Elterngeneration unterwegs.

    • @Il_Leopardo:

      Weil wahrscheinlich die Eltern, die Verwandtschaft und viele Einwohner ebenso denken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein 15jähriger von sich allein solches Gedankengut entwickelt. Natürlich werden sie über soziale Medien, bestimmter Lektüre und entsprechende Freunde und Bekannte indoktriniert. Aber ohne das Wegschauen oder gar Gutheißen des engsten Umfelds, wäre dies alles m.E. in solch einem Ausmaß nicht möglich.

    • @Il_Leopardo:

      "Wie ist es also möglich, dass (...)"

      Das ist möglich und hat zunächst rein gar nichts mit der Größe eines Dorfes zu tun,



      weil Grundlinien der weltanschaulich-idologischen Erzählung mit der sich diese Jungfaschisten legitimieren, gesamtgesellschaftlich durchgreifend und konsensual NICHT bereits als Terrorismus oder terroristisch gilt.

      In einem Land, dass unumkehrbar seit Genrationen Einwanderungsland ist.



      Weshalb das Völker- wie Bevölkerung aufeinander hetzen, ganz alltagspraktisch-gewöhnlich, durch die Straf-Justizbehörden fortwährend wie vorgesehen bearbeitet, als eine besondere Form der Kriminalität, des Verbrechens gilt.

      Geht natürlich auch schlecht, wenn andererseits der parlamentarische Arm dieser Agenda und Ideologie in den Parlamenten sitzt. Von ihrer Agenda vielfach behauptet wird, man müsse sie nur als CDU, CSU, SPD, B90 /GRÜNE, FDP oder BSW, DIE LINKE erfüllen - so ganz falsch sei sie ja nicht...

      ...wie sollte da der Übergang nicht fliessend sein, die doch bloß national-konservative Sturm und Drangjugend sich nicht berufen fühlen?



      Über Vornamen, Stadtbild und unberechtigt schmarotzende Bevölkerungsgruppen nur reden, machen halt die wütend die Taten sehen wollen.