Wirtschaftsbeziehungen mit Südamerika: Mercosur-Abkommen könnte das Aus drohen
Kurz vor dem geplanten Abschluss des Handelsdeals randalieren Bauern in Brüssel. Frankreich und Italien stellen sich quer – und Brasilien ist genervt.
Der Streit über das geplante Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten Argentinien, Uruguay, Brasilien und Paraguay hat am Donnerstag den Start des EU-Gipfels in Brüssel überschattet. Schon vor Gipfelbeginn versammelten sich am Morgen Tausende Landwirte aus mehreren EU-Ländern – darunter auch Deutschland – im Stadtzentrum, um gegen den Mercosur-Deal und die EU-Agrarpolitik zu protestieren.
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident António Costa trafen sich außerplanmäßig mit Vertretern der europäischen Bauernlobby Copa-Cogeca, was den Start des EU-Gipfels um eine Stunde verzögerte. Die Lage hat sich durch die improvisierten Gespräche aber nicht beruhigt: Es kam zu Randale im Europaviertel, die Polizei setzte Wasserwerfer und Tränengas ein.
Auch im Gipfelgebäude herrschte dicke Luft. Kanzler Friedrich Merz warb nochmals für den Mercosur-Deal, der am Samstag in Brasilien unterzeichnet werden soll. „Die Entscheidung kann nur lauten, dass Europa zustimmt“, sagte Merz. Doch aus Frankreich und Italien kommt weiter Widerstand. „Wir sind nicht bereit, das zu unterzeichnen“, sagte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron.
Lula da Silva, brasilianischer Präsident
Das Hin und Her der EU löst in Brasilía nur Kopfschütteln aus. „Dieses Mercosur-Treffen war ursprünglich für den 2. Dezember geplant. Auf Wunsch der Europäischen Union habe ich es auf den 20. Dezember verschoben. Und nun erfahre ich, dass sie das Abkommen nicht genehmigen können“, ärgerte sich der brasilianische Präsident Lula da Silva am Mittwoch.
Und drohte: „Wenn es jetzt nicht zustande kommt, wird Brasilien dieses Abkommen während meiner Amtszeit als Präsident nicht erneut verfolgen.“ Lula fügte hinzu: „Wir haben in allen diplomatisch möglichen Punkten Zugeständnisse gemacht.“ Die Europäer würden sich ins eigene Fleisch schneiden, „in einer Zeit, in der ein Präsident der Vereinigten Staaten den Multilateralismus untergraben und den Unilateralismus stärken will“.
Ein Foto, auf das Lula seit Jahren wartet
Nach mehr als 25 Jahren Verhandlungen sollte der Handelsdeal am Samstag im brasilianischen Ferienort Foz de Iguazú seinen Abschluss finden und vor den weltberühmten Wasserfällen des Iguazú-Flusses feierlich unterzeichnet werden. Ein Foto für die Geschichtsbücher, auf das Lula seit Jahren hingearbeitet hat.
Einen Eiertanz gibt es aber auch in Buenos Aires. Lange Zeit hieß es, Argentiniens Präsident Javier Milei werde nicht nach Foz de Iguazú reisen, dann wieder doch. Es ist kein Geheimnis, dass der rechtslibertäre Milei dem linken Lula das historische Foto der Vertragsunterzeichnung missgönnt. Unterzeichnen kann auch ein Vertreter. Die endgültige Umsetzung erfordert dann die Zustimmung der Parlamente der Mercosur-Mitglieder.
Aber Milei hat kein Grund zur Eile. Seit einigen Wochen verhandelt seine Regierung über ein Freihandelsabkommen mit den USA. US-Präsident Trump und dessen Finanzminister Scott Bessent hatten Milei Anfang Oktober vor dem finanziellen Absturz bewahrt. Seitdem ist dessen Dankbarkeit gegenüber Washington noch größer geworden.
Für grünes Licht der EU braucht es hingegen eine qualifizierte Mehrheit von mindestens 15 Staaten, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Wenn Polen und Österreich, wie bisher verkündet, dagegen stimmen, bräuchte es die Zustimmung von entweder Frankreich oder Italien – danach sieht es am Donnerstag nicht aus.
Angst vor Agrarimporten aus Südamerika
Frankreich fordert Schutzklauseln für die europäischen Landwirte und effektive Kontrollen für Agrarimporte aus Südamerika. Die Bauern bemängeln, dass in Südamerika nicht dieselben hohen Umwelt- und Tierschutzstandards gelten wie in der EU, sie würden daher benachteiligt.
Die Schutzklauseln hatten Unterhändler der EU noch kurz vor Beginn des Gipfeltreffens beschlossen. Die Regelungen ermöglichen es, Zollvergünstigungen auszusetzen, falls Einfuhren aus den Mercosur-Staaten schwere Schäden verursachen oder zu verursachen drohen.
„Mit dieser und weiteren Maßnahmen wurden große Anstrengungen unternommen, um Bedenken auszuräumen und den Weg für die Zustimmung zu dem wichtigen EU-Mercosur-Abkommen zu ebnen“, erklärte Dänemarks Außenminister, Lars Løkke Rasmussen. Allerdings ist es ihm nicht gelungen, Macron zu überzeugen. Auch im Europaparlament sei noch keine Mehrheit sicher, sagte Parlamentspräsidentin Roberta Metsola. Denn auch wenn es wie geplant zu einer Einigung der Mitgliedstaaten am Freitag kommen sollte, muss auch noch das Europaparlament zustimmen.
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