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Ortskräfte aus AfghanistanDeutschland will über 500 Af­gha­n*in­nen aufnehmen

In Pakistan warten noch immer ehemalige Ortskräfte des Auswärtigen Amtes aus Afghanistan. Einigen von ihnen hat Dobrindt eine Aufnahmezusage gegeben.

Zuletzt waren im November Af­gha­n*in­nen aus Pakistan wie hier im Bild nach Deutschland eingereist Foto: Julian Stratenschulte/dpa

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat zugesagt, rund 530 Afghan*innen, die in Pakistan festsitzen, noch in diesem Jahr nach Deutschland zu evakuieren. Unter ihnen sind vor allem Menschenrechtler*innen, aber auch ehemalige Ortskräfte des Auswärtigen Amtes. Gleichzeitig will die Bundesregierung aber Hunderte anderer Af­gha­n*in­nen trotz Aufnahmezusagen den Taliban überlassen.

Um zu verstehen, worum es bei Dobrindts Aussagen geht, muss man die Vorgeschichte verstehen. Es handelt sich um das klägliche Ende der deutschen Bemühungen, nach der Machtübernahme der Taliban solche Personen zu retten, die zuvor den deutschen Truppen im Land geholfen hatten oder sich für Menschenrechte und Demokratie eingesetzt hatten.

Nachdem zunächst tatsächlich Tausende Ortskräfte und ihre Familien gerettet wurden, geriet die Evakuierung ab 2023 ins Stocken. Die Ampelkoalition gab zwar einer großen Zahl afghanischer Men­schen­recht­le­r*in­nen Aufnahmezusagen, verschleppte die Umsetzung aber anschließend, sodass die Menschen zu Tausenden im afghanischen Nachbarland Pakistan strandeten.

Die neue schwarz-rote Bundesregierung erbte das Problem und kündigte prompt an, die Aufnahmezusagen zurückzunehmen. Das ist dem Bundesinnenministerium Dobrindts allerdings nur zum Teil gelungen. Insbesondere diejenigen, die über das sogenannte Bundesaufnahmeprogramm (BAP) Zusagen bekamen, konnten ihren Anspruch auf Einreise erfolgreich vor Gericht durchsetzen. Zuletzt kam am Dienstag ein Flieger mit rund 160 solcher Personen in Deutschland an.

Rechtsverbindlicher Anspruch auf Evakuierung

Dobrindt scheint nun erstmals einzugestehen, dass auch viele weitere Af­gha­n*in­nen rechtsverbindlichen Anspruch auf Evakuierung haben. Er sprach gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland von „aktuell rund 460 Personen, die sich im Bundesaufnahmeprogramm befinden, und 75 Personen, die sich im Ortskräfteprogramm befinden und sich derzeit in Pakistan aufhalten“. Dann der entscheidende Satz: „Das sind Personen, bei denen wir davon ausgehen, dass die Einreise nach Deutschland erfolgen wird.“

Dobrindts Ankündigung, rund 500 Af­gha­n*in­nen aufzunehmen, ist kein Grund, sich zu freuen, solange Hunderte andere zurückgelassen werden.

Eva Beyer, Kabul Luftbrücke

Gleichzeitig deckt sich Dobrindts Ankündigung aber nicht mit der Gesamtzahl der Personen im BAP, die noch in Pakistan ausharren. Diese liegt nach taz-Informationen um rund 230 höher, also bei etwa 690 Personen. Hintergrund könnten weiter laufende Versuche des Bundesinnenministeriums sein, die Aufnahmezusagen in einigen Fällen doch noch juristisch zu kippen. Auf eine taz-Anfrage dazu, wie sich die Differenz erkläre, teilte das Bundesinnenministerium lediglich mit, die von Dobrindt genannten Zahlen seien eine „Momentaufnahme“.

Eva Beyer von der Organisation Kabul Luftbrücke sagte der taz am Donnerstag: „Dobrindts Ankündigung, rund 500 Af­gha­n*in­nen aufzunehmen, ist kein Grund, sich zu freuen, solange Hunderte andere zurückgelassen werden.“ Dass noch nicht einmal alle derjenigen kommen sollen, die eine rechtssichere Aufnahmezusage über das BAP haben, sei „besonders zynisch“.

Außerdem ist unklar, ob sich alle der rund 460 Personen, von denen Dobrindt sprach, überhaupt noch in Pakistan befinden. Denn das Land will die Af­gha­n*in­nen dringend loswerden. Im Spätsommer schob die Regierung in Islamabad deshalb rund 40 Personen mit deutscher Aufnahmezusage ab. Sie sitzen seitdem in einem von Deutschland betriebenen Safehaus innerhalb Afghanistans fest, ständig bedroht von den Taliban.

Vielen weiteren Geflüchteten droht Abschiebung nach Pakistan

Die Abschiebung – und damit potenziell Folter und Tod – droht aber auch noch Hunderten weiteren Gestrandeten, die über andere Mechanismen als das BAP separate Aufnahmezusagen bekommen haben. Mindestens 640 von diesen Menschen entzog das Bundesinnenministerium in den vergangenen Wochen die Zusagen, sie sind bei Dobrindts jüngsten Aussagen explizit nicht mitgemeint. Anders als beim BAP sind ihre Chancen gering, die Entziehung der Aufnahmezusagen vor Gericht anzufechten.

Zuletzt hatte die Tagesschau berichtet, die Bundesregierung gebe womöglich Informationen über entzogene Zusagen an pakistanische Stellen weiter, damit diese Abschiebungen vorbereiten können. Das Auswärtige Amt streitet die Vorwürfe ab.

Auch die von Dobrindt genannte Zahl an 75 zu evakuierenden Ortskräften entspricht nur einem Teil der afghanischen Helfer*innen, die einst Aufnahmezusagen bekamen. Rund 130 ehemaligen Hel­fe­r*in­nen und Familien wurden in den letzten Wochen die Zusagen entzogen. Wie genau die von Dobrindt genannten 75 Ortskräfte für die Evakuierung ausgewählt wurden, beantwortete das Innenministerium auf Anfrage der taz nicht.

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