EU-Kompromiss zur Ukraine-Unterstützung: Ein Erfolg, aber ein blasser
Die EU ist doch noch in der Lage, der Ukraine beizustehen – mit einem Plan B, den Merz ausgeschlossen hatte. Die Glaubwürdigkeit des Kanzlers hat gelitten.
G eht doch: Die Ukraine bekommt die nötigen Mittel, um sich weiterhin gegen den russischen Angriff zu verteidigen, und Russland kann in absehbarer Zeit nicht auf seine in Europa gebunkerten Geldreserven zugreifen. Das ist knapp zusammengefasst das Ergebnis nächtlichen Ringens auf dem EU-Gipfel, der am frühen Freitagmorgen zu Ende ging.
Die 27 EU-Staaten sind also doch noch in der Lage, dem überfallenen Land an ihrer Ostgrenze beizustehen und damit die eigenen Sicherheitsinteressen zu wahren. Sie sind trotz aller Querelen handlungsfähig und die Ukraine bleibt bis auf Weiteres zahlungsfähig. Dennoch sieht dieser Erfolg bei Lichte betrachtet blass aus.
Das liegt zum einen an den hohen Erwartungen, die vor allem der deutsche Bundeskanzler vor dem Gipfel geweckt hatte. Friedrich Merz hatte vorgeschlagen, die 210 Milliarden Euro russisches Staatsvermögen in Europa sofort anzuzapfen.
Es gebe nur diese Lösung oder Europas Glaubwürdigkeit sei dahin, hatte Merz suggeriert. Und das gleich auch noch mit einem anderen Wunsch verknüpft – nämlich dem Abschluss des Freihandelsabkommens mit den südamerikanischen Mercosur-Ländern. Letzteres wurde erneut verschoben und zur Unterstützung der Ukraine nimmt Europa nun selbst Schulden auf. Ein Plan B also, den Merz' Mannschaft kurz zuvor noch kategorisch ausgeschlossen hatte.
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Gelitten hat vor allem die Glaubwürdigkeit des Kanzlers, der erneut All-in gegangen ist. Wie schon zu Beginn des Jahres, als er im Bundestag alles auf eine Karte setzte, um eine Abstimmung über seine Migrationspolitik zu erzwingen und am Ende mit der feixenden Zustimmung der AfD belohnt wurde.
Sach- und Machtgeschichten mit dem Merz
Das Muster ist das gleiche: Merz neigt dazu, aus Sachfragen Machtfragen zu machen, stößt potenzielle Verbündete vor den Kopf und zieht am Ende den Kürzeren.
Nach sieben Monaten im Amt sollte Merz gelernt haben, dass sich die Welt nicht als Wille und Vorstellung formt. Auch im Falle der eingefrorenen russischen Vermögen wäre es klüger gewesen, erst klandestin zu verhandeln, um dann ein Ergebnis zu präsentieren, als forsch ein Ziel vorzugeben, welches in aller Öffentlichkeit wegverhandelt wird.
Dass es der EU trotz der Absolutheit Deutschlands und der Blockade von drei Višegrad-Staaten gelungen ist, einen Weg zu finden, der das Überleben der Ukraine in den kommenden Monaten sichert, ist erstmal gut. Es ist eine notwendiger, aber kein hinreichender Faktor auf dem Weg zum Waffenstillstand. Die EU hat sich und der Ukraine nun Zeit verschafft.
Die 90 Milliarden, die die Ukraine erhalten soll, werden nicht, wie Kritiker meinen, gebraucht, um den Krieg zu verlängern, sondern um Russland zu einem einigermaßen fairen Frieden zu zwingen. Aber es reicht nicht, der Ukraine Geld und Waffen zuzuschieben und darauf zu hoffen, dass sich das Blatt auf dem Schlachtfeld wendet oder Putin die Puste ausgeht. Es braucht mehr wirtschaftlichen, diplomatischen und finanziellen Druck, damit der russische Präsident seine Ambitionen auf die in seinen Augen „historischen Gebiete“ aufgibt.
Europa muss die Atempause nutzen, um eine eigene Strategie zu entwickeln, einen europäischen 28-Punkte-Plan. Die USA sind wichtig als Verbündete, aber keine verlässlichen Partner mehr. Wären die Europäer aus diesem Gipfel zerstritten herausgegangen, hätten Donald Trump und seine Maga-Leute sich vermutlich abgeklatscht. Die Zerstörung der EU ist schließlich ihr Ziel.
Es gilt also andere Partner zu gewinnen, vor allem im Globalen Süden: Indien, Brasilien, Südafrika und China. Dabei ist deutsche Initiative gefragt, gepaart mit Fingerspitzengefühl.
Im Januar besucht Friedrich Merz den indischen Premierminister Narendra Modi. Der zeigt sich immer häufiger an der Seite Putins und hat zuletzt die Beziehungen seines Landes zu Russland vertieft. Gleichzeitig verbindet Deutschland und Indien eine strategische Partnerschaft.
Über den Jahreswechsel kann Merz sich überlegen, wie er Modi wieder auf seine Seite zieht. Der politische Preis wird hoch sein, eine nette Bemerkung über Vadnagar, Modis Geburtsstadt, reicht wohl nicht aus. Klar ist jedoch: Mit Druck und Ultimaten kommt Merz nicht weiter. Weder außen- noch innenpolitisch.
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