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EU-Regeln für FluggesellschaftenWer Kondensstreifen verursacht, soll künftig zahlen

Da die künstlichen Wolken die Erwärmung fördern, müssen Fluglinien nach Vorgabe der EU bis März erstmals ihren Beitrag dokumentieren.

Laut Umweltbundesamt tragen Kondensstreifen etwa gleichermaßen zum Treibhauseffekt bei wie das CO₂, das der Flugverkehr ausstößt Foto: Robert Michael/dpa

Kondensstreifen tragen zur Erwärmung der Erde bei. Deswegen sollen Fluglinien nach dem Willen der EU künftig angehalten werden, je nach Wetterverhältnissen Flugrouten zu wählen, die weniger Kondensstreifen erzeugen.

Die Streifen bilden sich wetterabhängig – nämlich dann, wenn bei niedrigen Temperaturen und hoher Luftfeuchtigkeit das Wasser an den Abgaspartikeln kondensiert und sich Eiskristalle bilden. Bei sehr feuchter Umgebung können die Kondensstreifen über Stunden bestehen bleiben und zu Eiswolken heranwachsen, Zirruswolken genannt. „Je nach Ort und Tageszeit können langlebige Kondensstreifen eine kühlende oder wärmende Wirkung auf die Atmosphäre haben, wobei der wärmende Effekt wohl überwiegt“, räumt auch die deutsche Luftverkehrswirtschaft ein.

Nach Erkenntnissen des Umweltbundesamtes tragen die Kondensstreifen in der Summe etwa gleichermaßen zum Treibhauseffekt bei wie das CO₂, das der Flugverkehr ausstößt. Im Einzelfall kann bei entsprechender Wetterlage die Wirkung der Streifen den Effekt des CO₂ sogar um ein Vielfaches übersteigen. Daher will die EU-Kommission die Bildung von Kondensstreifen mittelfristig in den Emissionshandel integrieren und hat dafür das Konzept NEATS entwickelt, das Non-CO₂ Aviation Effects Tracking System.

Der NEATS-Prozess hat bereits begonnen, indem Berichtspflichten eingeführt wurden. Seit Januar müssen die Airlines für innereuropäische Flüge auf Basis der Wetterbedingungen in den durchflogenen Luftschichten das Ausmaß der Kondensstreifenbildung dokumentieren. Ab 2027 gilt das für alle Abflüge aus der EU. Ende März 2026 müssen die Unternehmen ihren ersten Jahresbericht für 2025 vorlegen.

Luftverkehrswirtschaft kritisiert die Vorgaben

Basierend auf dieser Erfassung sollen die Fluglinien künftig anhand der aktuellen Wetterbedingungen ihre Flugroute so optimieren, dass möglichst wenig Kondensstreifen entstehen. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) nennt den Vorstoß der EU „ambitioniert, aber nicht praxistauglich“, zumal „belastbare wissenschaftliche Daten“ fehlten. Die heute verfügbaren Systeme zur Modellierung von Nicht-CO₂-Effekten hätten bislang nicht ausreichend nachgewiesen, „inwiefern die Ergebnisse dieser Modelle tatsächlich der realen Klimawirkung eines Fluges entspricht“.

Genau daran arbeiten jetzt Wissenschaftler. D-KULT heißt ein Forschungsprojekt, das am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) noch bis Ende des Jahres läuft. Die Abkürzung steht für „Demonstrator Klima und Umweltfreundlicher Lufttransport“. Im Rahmen des Projekts entwickeln Wissenschaftler Optimierungsverfahren, um CO₂-, Nicht-CO₂-Emissionen und Lärm zu minimieren, wobei zugleich auch die Kosten möglichst gering gehalten und die Anforderungen des Luftverkehrs berücksichtigt werden sollen.

„Es handelt sich um ein Optimierungsproblem mit Zielkonflikten“, heißt es beim DLR. Im Rahmen eines europaweit bislang einmaligen Feldversuchs wurden 2024 mehr als 100 reguläre Flüge deutscher Fluggesellschaften umgeleitet, mit dem Ziel, Kondensstreifen bestmöglich zu vermeiden.

„Ein wichtiges Ziel des Projekts bestand darin, den Prozess mit allen beteiligten Akteuren organisierbar zu machen“, sagt Atmosphärenphysikerin Sigrun Matthes vom DLR. Das sei gelungen. Aus meteorologischer Sicht müsse aber noch manches verbessert werden. Vor allem werde die Feuchte in der oberen Troposphäre, also dort, wo die Kondensstreifen entstehen, in den Wettermodellen bisher noch ungenügend berücksichtigt, weil sie für die klassische Wetterprognose nicht entscheidend sei.

Vermeidung der Kondensstreifen durch Routenänderungen

Die nächste große Aufgabe bestehe dann darin, ein System zu entwickeln, das die Klimawirkung der erzeugten Kondensstreifen so quantifiziert, dass sie dadurch in die Flugroutenplanung integriert und damit effizient vermieden werden können. Die Klimawirkung könnte anschließend auch in den Emissionshandel integriert werden.

Es geht dabei um Routenänderungen von maximal wenigen Minuten

Sigrun Matthes, Atmosphärenphysikerin

In welchem Maße bei den Versuchsflügen die Bildung von Kondensstreifen tatsächlich reduziert wurde, ist unterdessen noch nicht zu erfahren. Bedenken von Kritikern, die lange Umwege und womöglich erhöhten Kerosinverbrauch fürchten, hält die DLR-Wissenschaftlerin entgegen: „Es geht dabei um Routenänderungen von maximal wenigen Minuten.“

Der BDL unterdessen sieht in dem Erfassungs-, Berichts- und Verifizierungssystem für Nicht-CO₂-Effekte im Luftverkehr bislang allerdings noch eine Art „Black Box“. Die verwendeten Daten, Modelle und Instrumente seien bisher „nicht ausreichend auf ihre Genauigkeit geprüft“ worden, schreibt der Verband in einer Stellungnahme.

Zudem sei die Datenerfassung sehr komplex. Die Airlines müssten die „Daten ihrer Flüge selbst mit hohem Aufwand sammeln und speichern, um sie später in NEATS einpflegen zu können“. Hinzu komme, dass das Vermeiden von bestimmten Gebieten im dicht beflogenen europäischen Luftraum „zu massiven Kapazitätsengpässen führen“ könne.

Während die Argumente der Branche, dass es wissenschaftliche Unsicherheiten gebe und dass der Abwicklungsaufwand groß sei, zumindest derzeit nicht ganz von der Hand zu weisen sind, wirkt eine andere Kritik des BDL an dem System hingegen etwas hilflos: Die „Vermeidung von Nicht-CO₂-Effekten“ müsse „vor der Bepreisung“ stehen, formuliert der Verband – und ignoriert so, dass die Bepreisung ja gerade das Ziel hat, die Kondensstreifen zu vermeiden.

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