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Konservative in ÖsterreichAntimuslimische Kampagne löst breite Empörung aus

In Österreich hetzt die Volkspartei mit Slogans wie „Null Toleranz“ gegen Muslime. SPÖ und Neos distanzieren sich von ihrem Koalitionspartner.

Die Kampagne seiner Partei erinnert an die rechte FPÖ: der österreichische Bundeskanzler Christian Stocker von der ÖVP Foto: Hans Klaus Techt/APA/dpa
Florian Bayer

Aus Wien

Florian Bayer

„Wusstest du, dass zwei Drittel das Zusammenleben mit Muslimen als schwierig empfinden?“ Mit dieser und ähnlichen Botschaften flutet die konservative Österreichische Volkspartei (ÖVP) derzeit die sozialen Medien. Dabei beruft sie sich auf eine Umfrage des umstrittenen Österreichischen Integrationsfonds. Die Postings unter dem Slogan „Null Toleranz“ verlinken auf eine ÖVP-Website, die Stimmung für Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan und ein „Scharia-Verbot“ macht.

In weiteren Sujets der Kampagne werden zusätzliche Umfrageergebnisse präsentiert: 72 Prozent der befragten 1.000 österreichischen Staats­bür­ge­r:in­nen würden Integration als schlecht bewerten, 66 Prozent sähen das Zusammenleben mit Mus­li­m:in­nen negativ. In einem Video sagt ÖVP-Integrationsministerin Claudia Plakolm: „Integration ist kein Angebot, sondern Pflicht.“

Aufmachung und Inhalt erinnern an die rechtsextreme Freiheitliche Partei (FPÖ). Nun hat die Kampagne auch den ersten offen ausgetragenen Konflikt der knapp ein Jahr amtierenden Dreierkoalition ausgelöst. SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer entschuldigte sich öffentlich bei den rund 800.000 österreichischen Muslim:innen: „Entschuldigung! Wir sind nicht so.“

Auch Yannick Shetty, Fraktionsvorsitzender der mitregierenden liberalen Neos, kritisierte scharf: Wer alle Mus­li­m:in­nen pauschal unter Generalverdacht stelle, spalte bewusst die Gesellschaft und befördere Rechtsextreme wie Islamisten gleichermaßen. Die Sozialistische Jugend (SJ) stellte gar Anzeige wegen Verhetzung gegen die Partei und Ministerin Plakolm. In ihrer Kritik verwies die SJ auf Schüsse auf eine niederösterreichische Moschee, die zeitgleich zum Start der Kampagne am Wochenende abgegeben wurden. Der Vorfall zeige, wohin derartige Stimmungsmache führen könne.

„Solche Pauschalurteile verstoßen gegen christliche Werte“

Kritik kommt auch aus der Zivilgesellschaft. Die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch warf Plakolm vor, Mus­li­m:in­nen kollektiv an den Pranger zu stellen. Ungewöhnlich deutlich reagierte Ferdinand Kaineder, Präsident der Katholischen Aktion Österreich: Solche Pauschalurteile von einer Partei, die sich als Vertreterin christlicher Werte darstelle, seien schmerzhaft.

Die Debatte ist brisant, da die konservative ÖVP seit Jahrzehnten für das Innenministerium und sämtliche Integrationsagenden zuständig ist. Auch der Integrationsfonds (ÖIF), auf dessen Befragung die Kampagne basiert, untersteht dem Bundeskanzleramt und wird seit Jahren für seine ÖVP-Nähe kritisiert.

Der Sozialforscher Günther Ogris bezeichnete bereits 2020 eine ÖIF-Studie als „Wahlkampfmaterial für eine Propaganda-Abteilung“. Auch damals wurden suggestive Fragen gestellt, etwa zur „gesellschaftlichen Abschottung durch Parallelstrukturen von zugewanderten Personen“. Die Ergebnisse wurden von der ÖVP in ähnlicher Form wie jetzt ausgeschlachtet.

FPÖ fordert „Festung Europa“

Unterstützung erhält die Volkspartei von der FPÖ. Deren Generalsekretär Michael Schnedlitz fordert noch schärfere Maßnahmen und eine „Festung Österreich“. Tatsächlich ist die Linie der beiden Rechtsparteien kaum mehr unterscheidbar. Erst kürzlich beschloss die Regierung auf ÖVP-Initiative ein Kopftuchverbot für muslimische Mädchen unter 14 Jahren in der Schule. Verfassungsexperten rechnen damit, dass es neuerlich vom Verfassungsgerichtshof gekippt wird.

Die ÖVP verteidigt ihre Kampagne vehement. Generalsekretär Nico Marchetti hält die Empörung für „verwunderlich“, man präsentiere lediglich wissenschaftliche Fakten. Zudem gebe es „wirklich Parallelgesellschaften“, wie er aus eigener Erfahrung bestätigen könne. Die Transparenz der Partei ist jedenfalls ausbaufähig: Eine taz-Anfrage zu Umfang und Kosten der Kampagne sowie zur Frage, ob dafür Steuergelder aufgewendet werden, ließ die ÖVP unbeantwortet.

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