Aktivistin in Tunesien vor Gericht: Das Gegenteil der verhassten politischen Elite
Die Tunesierin Saadia Mosbah kämpft gegen Rassismus und für die Rechte von Migranten. Das stört die Regierung in Tunis. Nun steht sie vor Gericht.
Saadia Mosbah, Tunesiens bekannteste Aktivistin für die Rechte von Migranten, Flüchtlingen und gegen Rassismus, steht seit Montag in Tunis vor Gericht. Sie sitzt bereits seit mehr als eineinhalb Jahren im Gefängnis. Ihr wird Geldwäsche vorgeworfen und dass ihre Menschenrechts-NGO Mnemti Gelder aus dem Ausland entgegen genommen habe.
Vor Gericht wird sie sich erstmals selbst zu diesen Vorwürfen äußern können. Die Anhänger der 65-jährigen Schwarzen Tunesierin fürchten allerdings, der Prozess könne ähnlich wie die Verfahren gegen 40 Oppositionelle und Geschäftsleute enden, die im November wegen „Verschwörung gegen den Staat“ zu Haftstrafen von bis zu 45 Jahren verurteilt wurden. Der Geldwäscheparagraf und ein präsidiales Dekret, das sich vorgeblich gegen Falschmeldungen und üble Nachrede richtet, sind die Instrumente, mit denen die Justiz derzeit den größten Erfolg des ehemaligen Vorzeigelands des arabischen Frühling abwickelt: die Meinungsfreiheit.
Während viele Tunesier harte Urteile gegen die politische Elite mit Schulterzucken hinnehmen, steht im Verfahren gegen Saadia Mosbah etwas auf dem Spiel, auf das viele Tunesier stolz sind: die lange Tradition des Antirassismus.
Unter Herrscher Ahmed Bey hatte Tunesien 1845 als erstes arabisches und muslimisches Land die Sklaverei verboten. Nach der französischen Kolonialzeit mit dem überall präsenten Rassismus schrieb sich auch Habib Bourguiba, der erste Präsident des unabhängigen Tunesiens, das Thema auf die Fahnen. Dass Saadia Mosbah nach der Revolution von 2011 häufig in den Medien zu sehen war, schien wie der Beweis für die tunesische Kultur der Toleranz.
„Ich lehne Pseudo-Toleranz ab“
Doch nur wenige hörten, was Mosbah zu sagen hatte. Von ihren nachrevolutionären Touren durch den Süden Tunesiens kam sie oft wütend nach Tunis zurück. Auf Djerba fanden sie und ihre Freiwilligen Geburtsregister, in denen Familiennamen ehemaliger Leibeigener noch immer mit dem Zusatz „befreit von“ geführt wurden.
In dem Dorf Gosba bei Medenine traf sie auf Schwarze Schulkinder, die bis heute nicht denselben Bus wie ihre hellhäutigen Mitschüler nutzen dürfen. Als sie hörte, dass Hotelbesitzer ihre Angestellten aus dem verarmten Hinterland „Oussifi“ – also Diener – riefen, platzte Mosbah in tunesischen Fernseh-Talkshows der Kragen. „Wir müssen der Realität ins Auge schauen“, forderte sie 2015. „Wir benötigen einen Nationalen Dialog über Rassismus im Land.“
Im selben Jahr fiel die Visapflicht für viele westafrikanische Länder. Die Freiwilligen von Mnemti halfen den Gestrandeten, für die Tunesien ein Zwischenstopp auf dem Weg nach Europa war. Saadia Mosbah wurde zusammen mit ihrem Ehemann, dem Sänger Slah Mosbah, landesweit berühmt. Denn sie repräsentiert das Gegenteil der verhassten politischen Elite. „Ich lehne eben Pseudo-Toleranz ab“, sagte sie vor ihrer Verhaftung.
Aus einem Nationalen Dialog über Migration und Rassismus wurde nichts, im Gegenteil. Präsident Kais Saied erklärte die Migranten aus Subsahara-Afrika im Februar 2022 zum Teil einer Verschwörung gegen die Kultur Tunesiens. Die EU schickte Schiffe und Überwachungstechnik, die Migration über das Mittelmeer ist praktisch zum Erliegen gekommen.
Wohl um die zunehmende öffentliche Debatte über die Rechte Schwarzer Tunesier und Migranten nicht weiter anzuheizen, wurde der nächste Verhandlungstag nun auf den 26. Februar verlegt. Gespannt warten viele in Tunis darauf, was Saadia Mosbah dann zu sagen hat.
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