Sozialverband begrüßt Bürgergelddebatte: AWO-Chef fordert Diskussion zur Armutsvermeidung
Michael Groß fordert angesichts des SPD-Mitgliederbegehrens eine Diskussion über soziale Sicherheit. Es dürfe nicht immer um neue Sanktionen gehen.
Der Präsident der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und SPD-Politiker, Michael Groß, fordert angesichts eines möglichen Mitgliederbegehrens in seiner Partei, die Debatte über das Bürgergeld hinaus zu erweitern. „Für uns ist entscheidend, dass nicht über immer neue Sanktionen gesprochen wird“, sagte Groß am Dienstag der taz. Stattdessen müsse die Lebensrealität der Menschen im Fokus stehen, die auf Unterstützung angewiesen seien. Innerhalb der SPD gibt es derzeit Bestrebungen, die geplanten Verschärfungen beim Bürgergeld über ein Mitgliederbegehren zu verhindern.
„Wir begrüßen jede Debatte, die sich ehrlich mit der Frage auseinandersetzt, wie soziale Sicherheit in diesem Land gestaltet werden muss“, sagte Groß auf die Frage, wie er die Mitgliederinitiative in der SPD bewerte. Die Erwartung der AWO sei, dass die Diskussion dafür genutzt werde, über Armutsvermeidung, Teilhabe und „echte Arbeitsmarktintegration“ zu sprechen. Die AWO ist der SPD seit ihrer Gründung 1919 als sozialdemokratische Wohlfahrtsorganisation eng verbunden. Groß, der bis 2021 als SPD-Abgeordneter im Bundestag saß, vertrat die Partei unter anderem im Haushaltsausschuss.
Die SPD hatte am Montag bekannt gegeben, dass der Antrag für ein Mitgliederbegehren zum Bürgergeld das notwendige Quorum erreicht hat. In dem Vorhaben sprechen sich die ehemalige Juso-Vorsitzende Franziska Drohsel, die stellvertretende SPD-Vorsitzende in Bayern, Eva-Maria Weimann, und Melissa Butt aus dem thüringischen Landesvorstand für „eine sozialdemokratische Linie aus, die auf Vertrauen, Unterstützung und Gerechtigkeit setzt – nicht auf Druck und Sanktionen“.
Michael Groß, AWO-Präsident
Damit positionieren sie sich gegen die Politik des SPD-Vorstands; Co-Parteichefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas hatte ihren Entwurf zur Reform des Bürgergelds vergangene Woche durch das Kabinett gebracht. Demnach soll ab 2026 eine neue Grundsicherung das Bürgergeld ablösen. Die Pläne sehen vor, dass die Sanktionen dabei massiv verschärft werden, etwa wenn Menschen ohne Angabe von Gründen mehrfach einen Termin beim Jobcenter versäumen – hier droht eine Streichung des kompletten Regelsatzes.
Eigentlich sollten die Verschärfung des Bürgergelds größtenteils zum 1. Juli 2026 in Kraft treten und entsprechend im Frühjahr den Bundestag passieren. Wie die SPD-Parteiführung mit dem Prozess zum Mitgliederbegehren umgeht, der währenddessen drei Monate läuft, ist bislang unklar.
Das Mitgliederbegehren ist erfolgreich, wenn sich innerhalb der Frist 20 Prozent der etwa 365.000 Parteimitglieder – also etwa 73.000 Menschen – hinter die Forderung stellen. In dem Fall müsste der Vorstand entscheiden, ob er den Forderungen stattgibt. Lehnt er es ab, folgt eine Abstimmung unter den SPD-Mitgliedern.
AWO-Präsident Groß forderte, dass eine „Grundsicherung schützen, stabilisieren und Chancen eröffnen“ müsse und nicht weiter verunsichern dürfe. „Wer soziale Sicherheit ernst nimmt, muss anerkennen, dass steigende Lebenshaltungskosten, unsichere Arbeitsverhältnisse, fehlende Tarifverträge und Perspektiven das eigentliche Problem sind.“
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