piwik no script img

Thailands Konflikt mit KambodschaNächster Versuch einer Waffenruhe

Der Konflikt um Gebietsansprüche schwelt seit Jahrzehnten. Immer wieder flammten Kämpfe auf. Über ein dauerhaftes Schweigen der Waffen sollen nun bilaterale „Grenz-Koordinierungseinheiten“ wachen.

Der thailändische Verteidigungsminister Natthapon Nakpanich (r) führt an einem Grenzkontrollpunkt Gespräche mit dem kambodschanischen Amtskollegen Tea Seiha Foto: Sun Weitong/XinHua/dpa

dpa | Nach wochenlangen Gefechten an der Grenze haben sich Thailand und Kambodscha auf eine sofortige Waffenruhe geeinigt. Die Verteidigungsminister der beiden Nachbarländer unterzeichneten eine entsprechende Vereinbarung. Diese betrifft „alle Arten von Waffen, Angriffe auf Zivilisten, zivile Objekte und Infrastruktur sowie militärische Ziele beider Seiten – in sämtlichen Fällen und in allen Gebieten“, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. Mehr als 100 Menschen kamen bei den Kämpfen seit Anfang Dezember ums Leben, über eine halbe Million Anwohner auf beiden Seiten wurden zudem in die Flucht getrieben.

Die Waffenruhe sollte der Erklärung zufolge um 12 Uhr mittags (Ortszeit) in Kraft treten. Die Einigung sehe vor, dass sie über eine Dauer von 72 Stunden überwacht und beobachtet werde, um ihre Umsetzung sicherzustellen, erklärte das thailändische Außenministerium.

Hintergrund der Feindseligkeiten ist ein jahrzehntelanger Streit um Gebietsansprüche. Bereits im Juli war es zu schweren Gefechten mit zahlreichen Toten gekommen; nach einigen Tagen wurde eine Waffenruhe vereinbart. Doch im November wurde die Feuerpause nach einem neuerlichen Grenzvorfall ausgesetzt. Seit dem 7. Dezember verschärfte sich die Lage, und nach einem Grenzscharmützel kam es zu neuen Kampfhandlungen an mehreren Stellen der Grenze. Beide Seiten warfen sich gegenseitig vor, für die Eskalation verantwortlich zu sein.

Der thailändische Verteidigungsminister Nattaphon Narkphanit und sein kambodschanischer Amtskollege Tea Seiha hatten sich jetzt an einem Grenzkontrollpunkt zwischen der kambodschanischen Provinz Pailin und der thailändischen Provinz Chanthaburi getroffen. Vorausgegangen waren in den vergangenen Tagen vorbereitende Beratungen in einem gemeinsamen Ausschuss zu Grenzfragen.

Die Vereinbarung sieht außerdem vor, dass Thailand nach einer 72-stündigen Einhaltung der Waffenruhe insgesamt 18 kambodschanische Kriegsgefangene freilässt. Thailands Außenministerium sprach mit Blick auf die Freilassung von einer Demonstration des guten Willens. Die Einhaltung einer dauerhaften Waffenruhe sollen nun bilaterale „Grenz-Koordinierungseinheiten“ unter Beobachtung eines Teams der südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean gewähren, hieß es weiter in der gemeinsamen Erklärung.

Die Kämpfe in den vergangenen Wochen wurden an mehreren Stellen der etwa 800 Kilometer langen thailändisch-kambodschanischen Grenze geführt. Die beiden Länder beschuldigten sich gegenseitig, auch zivile Gebiete unter Beschuss zu nehmen. Thailand und Kambodscha wiesen diese Vorwürfe jeweils zurück.

Malaysia begrüßt Einigung

Der Ministerpräsident Malaysias, Anwar Ibrahim, begrüßte die Verständigung zwischen beiden Seiten. „Die Entscheidung, die Kämpfe zu stoppen und die Streitkräfte an ihren Orten zu halten, spiegelt die gemeinsame Einsicht, dass vor allem im Interesse der Zivilbevölkerung Zurückhaltung erforderlich ist“, schrieb er auf X.

Malaysia, das noch bis Jahresende den Vorsitz bei Asean hat, spielte bei bisherigen Vermittlungsbemühungen eine zentrale Rolle. Die Feuerpause im Sommer war auch dank der Vermittlung Anwars sowie auf Druck von US-Präsident Donald Trump zustande gekommen, der mit Handelssanktionen gedroht hatte. Im Oktober hatten sich die beiden Seiten dann unter anderem auf den Abzug schwerer Waffen aus dem Grenzgebiet sowie eine gemeinsame Minenräumung verständigt.

Konflikt reicht bis in die Kolonialzeit zurück

Der Konflikt der beiden Länder schwelt bereits seit Jahrzehnten und reicht bis in die Kolonialzeit im 19. Jahrhundert zurück. Einige der damals von der Kolonialmacht Frankreich willkürlich gezogenen Grenzen sorgen bis heute für Streit.

Im Zentrum des Konflikts steht der Tempel Preah Vihear, ein Bauwerk aus der Zeit des Khmer-Reiches. Zwar entschied der Internationale Gerichtshof 1962, dass der Tempel zu Kambodscha gehört. Dennoch hat auch Thailand immer wieder territorialen Anspruch auf den Tempel und das umliegende Grenzgebiet erhoben.

Gleichzeitig wird der Konflikt zwischen den zwei Staaten auch durch innenpolitische Interessen und einem zunehmenden Nationalismus angeheizt. Politiker auf beiden Seiten nutzen die Gefechte, um ihren eigenen Rückhalt zu festigen.

Die Bevölkerungen in Kambodscha und Thailand sind beide mehrheitlich buddhistisch geprägt. In Thailand leben knapp 72 Millionen Menschen, in Kambodscha zwischen 17 und 18 Millionen. Auch wirtschaftlich besteht zwischen den zwei Staaten ein deutliches Ungleichgewicht: Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist in Thailand mehr als zweieinhalbmal so hoch wie in Kambodscha.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare