piwik no script img

Fluten in ItalienWenn Überschwemmungen zur traurigen Routine werden

Michael Braun

Kommentar von

Michael Braun

Cotignola musste über Weihnachten wegen Flutgefahr evakuiert werden. In der norditalienischen Region Emilia-Romagna wird das zur neuen Normalität.

Traversara di Bagnocavallo nach schweren Regenfällen am 20. September 2024 Foto: Alessandro Serrano/Avalon/imago

A m Nachmittag des 25. Dezember waren die Menschen in Cotignola mit dem befasst, was die meisten an Weihnachten so treiben: das Festmahl verdauen, mit Verwandten schwatzen, die Stille genießen, die sich über den kleinen Ort in der Emilia-Romagna gelegt hatte – und die nur vom beharrlichen Prasseln des seit dem Vortag anhaltenden Regens unterbrochen wurde.

Doch gegen 18 Uhr war es schlagartig vorbei mit Ruhe und Besinnlichkeit. Von draußen schallten die Lautsprecherdurchsagen der Streifen der Stadtpolizei herein, sie verkündeten die „Evakuierungsanordnung“ für alle, die näher als 300 Meter am Flüsschen Senio wohnen. Und das sind immerhin rund 2.500 Bür­ge­r*in­nen des 7300-Einwohner-Nests. Für sie hieß es, das Wichtigste zusammenzupacken, um dann bei Verwandten, Freunden oder in einem der kommunalen Notquartiere Unterschlupf zu finden.

Am Ende hielten die Deiche des Senio, blieb die große Überschwemmung von Cotignola aus, doch um die Stimmung der Menschen dort war es nicht gerade bestens bestellt. „Jeder Regen ruft mittlerweile bei mir Angstzustände hervor“, erklärte eine ältere Dame dem TV-Reporter vor Ort. Eine junge Frau bilanzierte: „Daran werden wir uns wohl gewöhnen müssen, das war die dritte Flut in drei Jahren“.

In der Tat werden Überschwemmungen und Evakuierungen zur traurigen Routine in der norditalienischen Region Emilia-Romagna. Dass ihre Häufung Folge des Klimawandels ist, liegt auf der Hand. Auch jetzt, zu Weihnachten, fielen binnen zwei Tagen etwa 150 Liter Niederschlag pro Quadratmeter, genauso übrigens wie bei den vorherigen Flutkatastrophen der letzten Jahre.

Nicht nur drei-, sondern gleich fünfmal kamen in den letzten drei Jahren die Wassermassen. Am verheerendsten schlugen sie im Mai 2023 zu, als 17 Tote und Schäden in Höhe von rund zehn Milliarden Euro zu beklagen waren. Doch auch im September, dann im Oktober 2024 mussten Tausende Menschen in den Provinzen Bologna, Ferrara oder Ravenna ihre Wohnungen verlassen, und so mancher war noch mit der Renovierung seines Heims nach der letzten Flutwelle befasst, als dann die nächste kam.

1.000 versiegelte Hektar

„Das hier wird leider die neue Normalität“, verkündete denn auch Laura Monti, die Vizebürgermeisterin von Cotignola. Eine neue Normalität, die sich auch in Wut- und Hassausbrüchen gegenüber den politisch Verantwortlichen äußerte, zum Beispiel gegen die Bürgermeisterin von Lugo, einem Nachbarort von Cotignola, die den Kommentar lesen durfte: „Wenn die Flut bei mir ankommt, hilft dir auch kein Begleitschutz mehr.“ Sie erstattete umgehend Anzeige.

Ansonsten aber muss die Politik sich den Herausforderungen der „neuen Normalität“ stellen, in einer der Regionen Italiens, deren Böden mit am stärksten zuasphaltiert oder -betoniert sind, in einer Region zudem, in der allein im Jahr 2024 weitere 1.000 Hektar versiegelt wurden.

Die Antworten heißen bisher: Anlegung neuer Hochwasser-Rückhaltebecken, Stabilisierung der Deiche entlang der Flüsschen, die sich bei größeren Unwettern schnell in reißende Ströme verwandeln, gründlichere Säuberung der Gewässer von Unterholz, das bei Überschwemmungen zum Beispiel unter Brücken gefährliche Barrieren bilden kann, die das Wasser stauen. Der Präsident der Region, Michele De Pascale, rühmte sich jetzt, die große Weihnachtsüberschwemmung sei ausgeblieben, weil die in den letzten zwei Jahren ergriffenen Maßnahmen ihre Früchte trügen.

Politische Reaktion heißt aber auch: Teilrückzug aus bedrohten Arealen. Es gibt keine Baugenehmigungen mehr in hochwassergefährdeten Zonen. Ja mehr noch: Diejenigen schon von Überschwemmungen Geschädigten, die von dort wegwollen, bekommen ein großzügiges Angebot. Für den Kauf oder die Errichtung eines neuen Eigenheims auf sicherem Gebiet erhalten sie einen Zuschuss von bis zu 2.350 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche.

Denjenigen allerdings, die von einem solchen Angebot nichts wissen wollen, wird jetzt zugleich mitgeteilt, sie blieben in Zukunft „auf eigenes Risiko“ in der alten Bleibe, dürften also bei durch weitere Überschwemmungen auftretenden Schäden nicht mit staatlicher Hilfe rechnen.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Michael Braun
Auslandskorrespondent Italien
Promovierter Politologe, 1985-1995 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Unis Duisburg und Essen, seit 1996 als Journalist in Rom, seit 2000 taz-Korrespondent, daneben tätig für deutsche Rundfunkanstalten, das italienische Wochenmagazin „Internazionale“ und als Wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Büro Rom der Friedrich-Ebert-Stiftung.
Mehr zum Thema

0 Kommentare