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Kemmerich, Merz, TrumpFür verbrauchte Brennstäbe gibt es kein sicheres Endlager

„Team Freiheit“ will FDP und AfD sozialstaatssägende Konkurrenz machen, Friedrich Merz ist ein bisschen DDR und Trumpismus bleibt Trumpismus.

Früher FDP, jetzt „Team Freiheit“: Thomas Kemmerich Foto: Karina Hessland/imago

t az: Herr Küppersbusch, was war schlecht in diesem Jahr?

Friedrich Küppersbusch: Die Versuchung, zu denken: „Schlimmer kann es nicht werden.“

taz: Und was wird besser im nächsten?

Küppersbusch: Wir brauchen Ausdauer.

taz: Friedrich Merz wurde 2025 Kanzler. Was hat er bisher richtig gemacht?

Küppersbusch: Industriestrompreis subventionieren, Schuldenbremse lockern, Riesenschulden aufnehmen, keine Taurus liefern – er ist ein bisschen DDR, von der hat auch nur das Ampelmännchen überlebt.

taz: Und was falsch?

Küppersbusch: Er unterschätzt Spahn, der an seinem Stuhl sägt; er überschätzt die Macht seiner Kraftsprüche. Im Inneren schadet es der AfD null, wenn er wie sie klingt. Im Äußeren, etwa beim Russengeld, ist eine schicke Idee noch keine Mehrheit. Bei beidem fehlt ihm die Demut, alle EntscheiderInnen vorher einzeln durchzutelefonieren. Er kohlt zu wenig und merkelt das nicht.

taz: Das Rentenpaket ist beschlossen. Welche Pakete erwarten Sie 2026?

Küppersbusch: Einer geht noch rein. Der Einzige, der beim Thema Rente noch ruhig schläft, ist Jens Spahn – der so nicht mitkriegt oder nicht wissen will, dass ihm gerade mal wieder eine Fraktionsmehrheit abhandenkommt. So konnte die Pullundertaliban von der „Jungen Gruppe“ Parteichef Merz demolieren und erzwingen, dass das nächste Rentenpaket schneller kommt. Grundlegende Änderungen wie Eintrittsalter, Haltelinien, Einbezug von Beamten und Selbstständigen können am ehesten Union und SPD ihrer Kundschaft verkaufen. Und Spahn kann zeigen, ob es ihm um die Alterssicherung geht. Oder nur um seine.

taz: Saskia Esken ging, Bärbel Bas kam. Bullshit?

Küppersbusch: Die Frage möchte ich an eine Expertin weiterreichen: Esken ist „ehrlich, klar und redlich“, und beim Anblick des neuen Koalitionsausschusses „freut man sich, dass es Bärbel Bas gibt“. So weit Angela Merkel, und je nach Grad der Entmerkelung kann man das als fein beobachtet, ritterinnenlich oder als „Feminismus, aber auf meine Art“ lesen. Oder als charmant verschmitzte Blutgrätsche gegen den Friedrich Merz in allen Parteien. Merkel war bereit, auf dem SPD-Parteitag Esken zu verabschieden, vermutlich duzen sich Klingbeil und Merz seitdem. Bas ist Esken ähnlich, so ne Art Ein-Frau-Grundwertekommission und war in der Ampel als Gesundheitsexpertin zugunsten Karl Lauterbachs übergangen worden. In einer Merkel-Welt wären beide vorne bei den Sozis, doch dies Universum liegt aktuell außerhalb der Bundesregierung.

taz: Der Thüringer FDP-Landeschef Thomas Kemmerich ist jetzt Vorsitzender des von der Ex-AfDlerin Frauke Petry gegründeten „Team Freiheit“. Ist die FDP damit endgültig „Team Sargnagel“?

Küppersbusch: „Sozialstaat absägen“ plakatiert die offenbar finanziell unbesorgte Truppe bereits bundesweit, was die FDP nur träumt. „Heute haun’ wir auf die Frauke“ wäre auch schön provozierend und „Hauptsache: Morgen wieder bei Lanz“ wenigstens ehrlich. Kemmerich, Petry, Cotar und andere Überlebende aus FDP und AfD beweisen, was wir immer befürchteten: Für verbrauchte Brennstäbe gibt es kein wirklich sicheres Endlager. In der Schlagerbranche wäre das ein Sammelalbum von One-Hit-Wonders, die bei jeder Baumarkteröffnung nochmal ihren alten Hit singen müssen: „Weniger Staat“. Und weniger Staat als mit denen ist ja wirklich schwer zu machen.

taz: Robert Habeck hat sich auf den Weg „komplett ins Offene“ begeben. Kommt er da wieder raus?

Küppersbusch: Für Habeck spricht das personelle Loch, das er hinterließ. Dagegen, dass viele Leute Habeck sehen und Heizungsgesetz denken. Joschka Fischer hatte mit 57 fertig, Habeck mit 56. Doch er könnte immerhin einen 14 Jahre älteren Kanzler herausfordern. Die übliche Habeck-Choreo ist, was er unbedingt will, als „gerufen werden“ zu verkaufen. Bleibt spannend.

taz: Trump hat in diesem Jahr Putin den roten Teppich ausgerollt und Selenskyj aus dem Weißen Haus geworfen. Donald – ein verkanntes Strategiegenie?

Küppersbusch: Klassische Faschisten standen immer für und benutzten dann einen brutal starken Staat. Das bleibt ein markanter Unterschied zu den neuen Autokraten. Für sie ist Macht nicht der Endzweck, sondern Mittel der Habsucht. Gewöhnen wir uns an den Gedanken, statt Faschismus Trumpismus zu sagen eines Tages.

taz: Wieder ein Jahr mit Israel-Debatte. Was war Ihr Highlight auf diesem Feld?

Küppersbusch: Unser kommodes Versteck hinter dem Dröhnwort „Staatsräson“ ist aufgeflogen. Wir müssen unsere Haltung offen verhandeln, und da geht es viel zu rustikal zu. Das ist, gemessen am Leid in Israel und seither in Gaza, sensationell nebensächlich, aber unsere Aufgabe.

taz: Und was wird der RWE 2026 machen?

Küppersbusch: Nicht aufsteigen. Falls nämlich doch, müsste der Club 15 Prozent der TV-Erlöse an den Medienunternehmer Michael Kölmel abliefern. Dieser Vertrag aus den 90ern läuft noch bis 2029. Zweite Liga ab 2030 wäre doch auch schön.

Die Fragen stellten: Doris Akrap, Valerie Catil, Ann-Kathrin Leclere und Alice von Lenthe

Friedrich Küppersbusch ist Journalist, Produzent und gespannt auf seine Tarot-Karte für 2026.

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Friedrich Küppersbusch
Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".
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