Zum Tod von Brigitte Bardot: Die Göttin der Sorglosigkeit
Die Figuren, die Brigitte Bardot in ihren Filmen verkörperte, sind uns fremd geworden. Nun ist auch ihre menschliche Gestalt verstorben. Eine Hommage.
A ls ich begann, mich für das Kino jenseits von „Fuzzy“ und „Dick und Doof“ zu interessieren, war Brigitte Bardot schon, wie man so sagt, eine Leinwand-Legende. Sie spielte in Filmen, vor denen unsere Eltern und unsere Lehrer uns immer gewarnt hatten. Aber gleichzeitig waren eben die, die sie uns verbieten wollten, nachgerade besessen von ihr. Kein Karneval-Sketch, kein Illustrierten-Witz, keine Nachtisch-Zweideutigkeit, ohne dass der Name, was sage ich: die Chiffre Bardot fiel. Sie tauchte in idiotischen Schlagertexten und in den Lamentos über die neue Zeit auf. Diese Kurven. Diese Haare, dieses Blond. Dieser Tanz. Dieses Lächeln. Sie schien Lust und Verderben zugleich der aufstrebenden Nachkriegszeit; weibliche Sexualität, und fast noch mehr: die Angst vor ihr.
Brigitte Bardot war 1959 der erste Bravo-Starschnitt. Netzstrümpfe, umgürtete „Wespentaille“, das lange blonde Haar. Der ikonische „Schmollmund“. Das Bild war mit 156 Zentimetern nachgerade lebensgroß. Und eine Göttinnengestalt, die vielleicht zum ersten mal danach verlangte, dass das Teenager-Zimmer ein vom Rest der Familie abgesonderter Raum war. Das gab Kämpfe. Und Freiheiten.
Diente Brigitte Bardot der alten Lüsternheit der einen oder der neuen Selbstbestimmung der anderen Generation? Später würde man verstehen, dass ein Mythos sich gerade dadurch auszeichnet, dass er solche Widersprüche in sich auflöst. Was Brigitte Bardot anbelangt, war es vielleicht vor allem die offenkundige Unbekümmertheit, ein Lachen, das sich andere „Sexgöttinnen“ nie hätten leisten können. Der Krieg ist vorbei, sagte ihr Blick, ihr Körper, ihre Bewegung, und damit vielleicht auch eine schreckliche Art der Männerherrschaft. Ihre Augen sahen voraus in ein mögliches Zeitalter der Sorglosigkeit.
Simone de Beauvoir und die „neue Eva“
Das Ur-Bild dafür war Brigitte Bardots erster Mannequin-Auftritt in der Zeitschrift „Elle“, der Ur-Text dazu war Simone de Beauvoirs Buch „Das andere Geschlecht“. Beides, gerade in ihrer Unterschiedlichkeit so bedeutsam, erschien als Signal zu einem Aufbruch, dem sich die Leute so nach und nach anschlossen, oder sich ihm widersetzten. Man schrieb das Jahr 1949.
Dass Brigitte Bardot dann das Frauen-Bild im Film revolutionierte, ist fast schon ein Allgemeinplatz und verleugnet, was sich zwischen der scheinbar so einfachen und direkten Leinwand- und Presse-Persona, dem um etliches komplizierteren Menschen Bardot und der hochkomplexen Verarbeitung der erotischen Provokation in der liberal-kapitalistischen Welt der fünfziger und sechziger Jahre abspielte.
In „Brigitte Bardot und das Lolita-Syndrom“ analysierte Simone de Beauvoir die explosive Mischung aus Kindfrau und Femme Fatale, aus der erst eine „neue Eva“ entstehen sollte. Aber nicht diese neue Eva war das, was am Ende bleiben sollte, sondern die Erinnerung an das wunderbare Durcheinander, die heillose aber lustvolle Verwirrung, die sie seit dem Film mit dem abgeschmackten deutschen Titel „Und immer lockt das Weib“ aus dem Jahr 1956 anzurichten imstande war. Die Unruhe, die blieb, auch als aus der realen Brigitte Bardot statt einer neuen Eva eine alte Dame mit schlechter Laune und hochreaktionären Ansichten geworden war.
Die große Brigitte-Bardot-Unruhe
In ihren Filmen zuvor, mit Titeln wie „Reif auf jungen Blüten“ oder „Das Gänseblümchen wird entblättert“, die immerhin zu pädagogischen und kirchlichen Unmutsäußerungen geführt hatten, war das Spiel mit dieser neuen unverfrorenen Erotik noch als leichte Frivolität akzeptabe. Aber Roger Vadim, kein Mann fürs Subtile, tat mit seiner schauderhaften Kolportage so, als würde man’s jetzt ernst meinen. Öffentliche Aufschreie, Zensurverlangen und erboste Eltern, die den Bravo-Starschnitt von den Zimmerwänden ihrer Teenager-Kinder rissen, waren die Folge.
Die Brigitte-Bardot-Unruhe war in der Welt, und jeder neue Film, jede neue Pressegeschichte, jedes BB-Foto war Teil davon. Die durch sie ausgelöste Unruhe war bedeutsamer als die Frage, ob Brigitte Bardot tatsächlich eine selbstbestimmte Frau oder doch nur wieder ein Produkt der mehr oder weniger männlich dominierten Traumfabrik war. Brigitte Bardot war eine Figur in einem kollektiven Traum geworden; weder sie selbst noch die Männer im Hintergrund konnten dieses Bewegungsbild noch wirklich kontrollieren.
Solch öffentlicher Besitz hat auch seine Schattenseiten. Jean Luc Godard hat 1963 in „Die Verachtung“ den Mythos schon gecrackt; hier, vor dem Hintergrund einer gescheiterten Verfilmung der Odyssee, verliert die Sirene von ihrer destruktiven Schönheit und entwickelt bewussten Widerstand. Das kann nicht gut gehen. Schon gar nicht für die Männer.
Trotz allem: Französisch und bürgerlich
Und die Sirene sang statt zur Verführung der Männer über ihre eigene Reise, womöglich auf einer Harley Davidson. Brigitte Bardot verhalf dem „zweiten Geschlecht“ und der ersten Nachkriegsgeneration zu einem rebellischen Ansatz. Bei alledem aber blieb sie in ihren Filmen, in ihren öffentlichen Auftritten und in ihren Liedern sehr französisch und vor allem sehr bürgerlich. Natürlich hatte das mit ihrem eigenen Herkommen aus dem Großbürgertum zu tun – wie bei allen großen Filmstars war auch bei ihr der Meta-Film eine Autofiktion.
Die leichtfüßige Verführerin stellte immer nur eine sexuelle Ordnung innerhalb der Klasse, nie eine politische Ordnung in Frage. Das unterscheidet Brigitte Bardot von den erotischen Diven des italienischen Films, die oft eine Kraft aus dem Volk verkörperten und deren Sexualität nie ohne die Klasse zu imaginieren war. Nicht aus den Tiefen der Geschichte, sondern aus dem Überfluss der Gegenwart kam diese Schönheit. Man nannte sie die schönste Frau der Welt, auch weil sie dem Ideal des neuen Kleinbürgertums entsprach. Eine leuchtende, keine dunkle Schönheit, klassisches Maß (fast schon proto-barbisch rank im Bravo-Starschnitt), keine barocke Fülle, mehr material girl als übersinnliche Erscheinung, eine Frau, zu der man sich keine Krankheit, kein Leiden vorstellen kann. Brigitte Bardot war das Leben selbst, nicht mehr und nicht weniger.
Aber natürlich ging es vor allem um den Übergang. Von Feminismus war zur Zeit ihres größten Ruhms in der breiten Öffentlichkeit kaum die Rede. Aber davon, dass auch Frauen ihren Anteil an der Lust bekommen, die das Leben nach der großen Katastrophe wieder bereiten kann. Man kann sich BB einfach nicht mit schmutzigen Händen vorstellen.
Am schönsten war sie in Komödien
Brigitte Bardots melodramatische Filme sind, seien wir ehrlich, genauer besehen eher seltsam. Da zerfallen noch die alten Mythen von der Kindfrau oder der Femme fatale; da geht es immer auch um das Strafen und das „Zähmen“, da soll man wohl immer noch Mitleid mit den Männern haben, die an ihr verzweifeln oder in romantische Depressionen verfallen. Am schönsten war Brigitte Bardot in Komödien, genauer gesagt in Abenteuer-Komödien wie „Viva Maria“, „Boulevard du Rhum“ oder „Petroleum Miezen“. In diesen Filmen war es ihr vergönnt, die Unruhe, die sie auslöste, auch selbst zu genießen. Das größte aller Sirenen-Versprechen: Dass die Welt und alles, was in ihr geschieht, ein großer Spaß ist.
In ihrer ironischen Magie überlebte Brigitte Bardots Imago den Zorn der nächsten Revolution. Die Bewegungen, die auf den Mai 68 folgten, mochten Brigitte Bardot wie eine Gestalt aus den Kinderzimmern, die man verlassen hatte, erscheinen lassen. Das Frauen-Bild und die Leinwand-Sexualität aber sahen da schon ganz anders aus. Brigitte Bardot war nun mehr Pop-Ikone, das Modell für oft grausam schlechte Andy Warhol-Imitationen und für Comic Strips wie „Barbarella“ (die im Film zu verkörpern sie ablehnte), Gegenstand für Coffee-Table-Books voller nostalgischer Glamour-Träume. Symbol auch einer vergangenen Epoche des öffentlichen Luxus à la Saint-Tropez und Cocktail-Bar.
Von der Brigitte Bardot-Welt zu träumen war viel schöner, als mit ihr ernsthaft in Berührung zu kommen. Dort hätte man ihren Selbstmordversuch erlebt, ihre Einsamkeit, ihr Gefangensein.
Figuren aus einer anderen Zeit
Jemand wie Brigitte Bardot war für Charakter- und gar „Altersrollen“ nicht geschaffen. 1973 erklärte sie ihren Rücktritt sowohl vom Film als auch von der Musik – und wurde nie rückfällig. Ihr Bild zu bewahren fiel der schon wieder nächsten Generation denkbar schwer: Wie konnte sie, eine einstige Vorkämpferin der Befreiung, nun mit den muffigsten Rechten gemeinsame Sache machen, Rassismus und Nationalismus verbreiten, das lobenswerte Ziel des Tierschutzes mit solchem Fanatismus verfolgen, dass noch die letzten Reste der einstigen Sorglosigkeit verschwinden mussten, die einmal ihr Charakteristikum gewesen waren?
Die Göttin der Sorglosigkeit, die möglicherweise, wie eine Zeitung damals schrieb, den Sex für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts neu erfunden hat, ist uns lange schon fremd geworden. Wir leben in einer Welt, die fast nichts anderes mehr kennt als die Sorge. Auch beim Sex. Auch im Kino.
Den Bravo-Starschnitt von Brigitte Bardot kann man sich heute digital zusammengesetzt aus dem Internet für den Heimdrucker bestellen und das kleine Vermögen dafür per PayPal abdrücken. Aber die Göttin der Sorglosigkeit lebt hier nicht mehr. Und nun ist auch ihre menschliche Gestalt verstorben.
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