piwik no script img

Umweltverbrechen in KolumbienEinmal Whistleblower, immer Whistleblower

Der deutsch-kolumbianische Ingenieur Andrés Olarte wird für seine Enthüllung von Umweltverbrechen mit dem Ellsberg Whistleblower Award ausgezeichnet.

Verdienter Preistäger: Andrés Olarte Foto: whistleblowingnetwork

Entspannt schlendert Andrés Olarte in ein Café in Berlin-Schöneberg. Rundes Gesicht, dunkle Haare und dunkler kurzer Vollbart. Dass der aus Kolumbien stammende Umweltpolitikexperte seit 2019 in Berlin lebt, liegt daran, dass er sich vor über zehn Jahren für den seltenen Nebenberuf eines Whistleblowers entschied, eines „Hinweisgebers“, wie die ungelenke deutsche Übersetzung für Menschen lautet, die geheimes Wissen an die Öffentlichkeit bringen und dabei meist ein hohes Risiko eingehen.

Olarte setzt sich und erzählt mit einem zunächst etwas unsicheren Lächeln seine Geschichte. Sie ist paradigmatisch für Whistleblower, die so wichtig sind für den Investigativjournalismus, und hat ihm jetzt einen prestigeträchtigen internationalen Preis eingebracht, den Ellsberg Whistleblower Award.

1992 in Socorro im Department Santander in Kolumbien als Sohn zweier Mediziner, beide Bakteriologen, geboren, studierte Olarte in Santander Ingenieurswesen für Wasser und Gas sowie Umweltwissenschaften im englischen Cambridge. In seiner Heimat ergatterte er dann einen sehr begehrten Job bei der Ecopetrol, der umsatzstärksten kolumbianischen Firma, die sich zu über 80 Prozent in Staatsbesitz befindet. Er wurde Anfang 2017 Berater des Geschäftsführers und hatte Zugang zu nahezu allen wichtigen Dokumenten. Allerdings kam er schnell zur Erkenntnis, „dass vieles nach meinen Vorstellungen ganz falsch lief“.

Er stieß beispielsweise auf eine Datenbank, in der 839 Orte aufgelistet waren, an denen ehemalige Ölquellen undicht geworden waren und die Umwelt verseuchten. Bei einem Fünftel dieser Orte war angemerkt, dass sie nur Ecopetrol bekannt waren, nicht aber den staatlichen Umweltbehörden. Was die meisten dieser einstigen Ölquellen verband: In ihrer Nähe war das Wasser weit über die gesetzlichen Grenzwerte hinaus belastet.

Der Autor

Der Autor war für die taz Panter Stiftung Mitglied in der Jury für den Ellsberg Whistleblower Award 2026. Die Verleihung des Preises ist für den 12. März 2026 in der taz-Kantine in Berlin-Kreuzberg geplant.

Moralischer Kompass

Als 2018 entlang des Flusses Lizama verschlossene Ölquellen der Ecopetrol aufbrachen und das Gewässer und seine Ufer massiv verseuchten, wurde Olarte dorthin geschickt. Er bereitete das Material auf, das die Ölfirma an Experten der Vereinten Nationen übergab. Dabei erlebte er, wie die Fischer, ohnehin schon arme Leute, um ihre Existenz gebracht wurden und verzweifelten. Deren Schicksal habe ihn berührt, sagt er, denn seine Großeltern seien arme Bauern gewesen.

Olarte war 24 Jahre jung, sein moralischer Kompass schlug aus. Am meisten war ihm zuwider, wie seine Kollegen über Menschen sprachen, die die Führung von Ecopetrol kritisierten; besonders bei den „operational meetings“, bei denen auch der Chef der Sicherheitsabteilung des Ölkonzerns, ein vormaliger Armee-General, mit am Tisch saß.

„Wie der, aber auch andere langjährige Manager, über Gewerkschafter und Umweltschützer redete“, erinnert sich Olarte, „war einfach gruselig, unmenschlich“. Er habe ihnen widersprochen, habe offen seine Meinung gesagt, aber er wurde nicht ernst genommen und bekam zur Antwort: „Warum fragen Sie das?“ oder „Sie haben wohl nicht verstanden, was hier Ihr Job ist.“

Nach einer Weile beschloss er, seinen Job neu zu definieren. Er begann damit, Firmendaten auf Festplatten zu kopieren und diese zu Hause sicher zu lagern. Ungeheure Datenmengen waren das, schätzungsweise zehn Terrabyte. Er lagerte die Hard Disks zu Hause und speicherte besonders interessante Files in eine Cloud.

Menschen werden für weniger umgebracht

„Ursprünglich wollte ich die zuständigen staatlichen Institutionen über die Umweltschweinereien und Gesetzesverstöße von Ecopetrol informieren“, berichtet Olarte, aber es kam anders. Bis heute ist unklar, wie IT-Experten der Firma hinter seine heimliche Kopiertätigkeit kamen und das Management darüber informierten, aber als sein Vertrag 2019 zur Verlängerung anstand, wurde er nicht verlängert. Eine führende Managerin sagte zu ihm: „Andrés, es werden Menschen für wesentlich weniger umgebracht.“

Nicht lange, nachdem er damit begonnen hatte, für die staatliche Umweltbehörde zu arbeiten, bekam er einen Anruf, bei dem ihn der anonyme Anrufer fragte: „Was hast du mit dem Material gemacht, was du bei Ecopetrol gestohlen hast?“ Es folgten weitere Anrufe, schließlich steckte jemand unter der Tür des Hauses seiner Eltern eine Notiz: „Olarte, lass dich nicht umbringen. Wenn du etwas sagst, weißt du, was dir passiert.“ Als auch noch dicke Autos mit dunklen Scheiben vor dem Haus seiner Eltern parkten, sagt sein Vater: „Du musst das Land verlassen, aber ganz schnell.“

In dem nach Jahrzehnten des Bürgerkrieges verrohten Land ist es kein für Whistleblower unübliches Schicksal, von Unbekannten ermordet zu werden. Olarte weist auf einen Fall hin, in dem einer über Korruption beim Bau von Schnellstraßen berichtete. Er wurde von Unbekannten umgebracht, der Mord wurde nicht aufgeklärt.

Zuletzt meldete die BBC, dass allein im Jahr 2023 in Kolumbien 79 Umweltaktivistinnen und -aktivisten ermordet wurden. Die meisten hatten sich gegen Pläne der Ecopetrol gewandt, die freilich dementiert, auch nur das Geringste damit zu tun zu haben. Gleichzeitig beschäftigt die Staatsfirma mehr als 2.800 Sicherheitsdienste und spendete 29 Millionen US-Dollar an die Armee und die Polizei.

Weil eine Studienfreundin, eine Südamerikanerin, in Berlin lebte, flüchtete Olarte nach Berlin. Aber natürlich wollte er etwas mit den Ecopetrol-Daten anfangen. Als auch seine Familie sicher außerhalb Kolumbiens war, nahm er Kontakt zu einer NGO auf, der Environmental Investigation Agency (EIA) in Washington, die das Material aufarbeitete. Später bekam es die BBC, die es für eine sehenswerte TV-Dokumentation und verschiedene Artikel verwendete. Heute arbeitet Olarte für eine Ökofirma und an seiner Dissertation, wurde voriges Jahr Deutscher, aber fragt sich, ob sich die ganze Aufregung gelohnt hat.

„Für meine berufliche Laufbahn war die Veröffentlichung auf jeden Fall schlecht“, meint er. „Bei etlichen Firmen erlebte ich bei der Jobsuche, dass man erst sehr angetan war, aber nach dem Background Check ohne Angabe von Gründen absagte.“ Olarte vermutet, dass man auf sein Vorleben gestoßen war. Einmal Whistleblower, immer Whistleblower.

Sein Fazit: „Ich bedauere nicht, dass ich Whistleblower geworden bin. Das war richtig. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, welche enormen Kosten das mit sich bringt.“

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!