Überlebenskampf von Ford in Europa: Sterben auf Raten
Zu teure Modelle, keine eigene Elektroplattform: Ford kämpft im Pkw-Bereich ums Überleben. Rettung bringen soll eine Kooperation mit Renault.
Nichts anderes als ein Kotau vor US-Präsident Donald Trump ist der harte Kurswechsel, den Ford-Chef Jim Farley Mitte Dezember verkündete. „Die Menschen wollen Verbrenner“, hatte Trump verkündet – und gleichzeitig Abgasvorschriften für Benziner und Diesel gelockert. Farley reagierte prompt, nachdem Washington schon im August Steuergutschriften in Höhe von bis zu 7.500 US-Dollar für Elektroautos gestrichen hatte. Gestrichen wird auch Fords angekündigte zweite Generation von E-Autos für den US-Markt. Satte 19,5 Milliarden Dollar schreibt Ford deshalb ab.
In Europa dagegen scheint eine solche fossile Rolle rückwärts undenkbar – trotz der Kehrtwende der EU-Kommission, die Mitte Dezember ebenfalls ein Aus vom bisher geplanten strikten Verbrenner-Aus vorgeschlagen hat. Statt den CO2-Ausstoß bis 2035 auf null zu setzen, sollen die Flottenemissionen der Autohersteller nach Willen Brüssels jetzt um 90 Prozent im Vergleich zu Referenzjahr 2021 sinken – immerhin. Durchschnittlich 9,5 Gramm klimaschädliches Kohlendioxid dürften Neuwagen in zehn Jahren dann noch ausstoßen. „Das schafft kein Verbrenner“, warnt deshalb Beatrix Keim, Direktorin des Center Automotive Research (CAR) in Duisburg: „Die Autoindustrie muss auf Elektromobilität setzen.“
An seinem letzten deutschen Produktionsstandort in Köln hat Ford deshalb längst reagiert. Schon 2024 wurde dort die Herstellung auf die vollelektrischen Modelle Explorer und Capri umgestellt. Allerdings: Die Autos, die Ford als „Familien-SUV“ und „Sport-Crossover“ bewirbt, verkaufen sich schlecht. „Wir rechnen für das Jahr 2025 bis zum Jahresende in ganz Europa mit etwa 65.000 verkauften Explorer und Capri aus Köln“, erklärt ein Ford-Sprecher.
Für den Kölner Standort ist das eine Katastrophe. Die Ford-Werke am Rhein sind für eine Produktion von rund 250.000 Autos ausgelegt. Die Auslastungsquote liegt damit bei nur 26 Prozent. Profitabel kann das nicht sein: „Um Gewinne zu machen, müssen Automobilwerke zu 70, besser zu 80 Prozent ausgelastet werden“, sagt CAR-Direktorin Keim.
Gefragt sind preiswertere Autos
Dabei scheinen die Gründe für das Debakel hausgemacht. „Ford ist zu spät ins falsche Marktsegment eingestiegen“, analysiert Stefan Bratzel, Gründer und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. Gefragt seien „preiswerte E-Autos für 30.000, besser für unter 25.000 Euro“, wie sie etwa VW mit dem ID.Polo ab dem kommenden Sommer anbieten will. Bei Ford beginnen die Preise für den Explorer dagegen bei 39.900 und für den Capri bei 40.280 Euro – offenbar zu viel für die klassische Ford-Kundschaft, die bisher qualitativ gute, aber günstige Klein- und Kompaktwagen wie den Fiesta und den Focus nachgefragt hat. Ford biete schlicht „die falschen Produkte für einen zu hohen Preis“, meint CAR-Direktorin Keim.
Zudem sind die Elektroautos aus Köln keine originären Ford-Produkte, was die Gewinne weiter schmälert. „Beide Modelle basieren auf dem Elektrobaukasten von VW, generieren deshalb eine geringere Wertschöpfung als Eigenentwicklungen“, erklärt CAM-Gründer Bratzel. Dazu kommt: Während die Nutzfahrzeugsparte etwa mit dem in der Türkei gebauten Transit weiter gut läuft, verliert Ford im PKW-Bereich schon seit Jahren massiv Marktanteile.
Offenbar rächt sich die ersatzlose Einstellung normaler, preiswerter Autos wie des Fiesta. Stattdessen setzt der Konzern beinahe ausschließlich auf SUV- und Crossover-Modelle, deren Design als „ikonisch“ beworben wird, die aber bei den Kund:innen wenig überzeugen. 2024 konnte Ford europaweit deshalb nur noch knapp 310.000 Autos verkaufen – fast 14 Prozent weniger als im Vorjahr. Damit liegt der Hersteller, der sich im PKW-Massenmarkt einst mit VW oder Opel messen wollte, mit einem Marktanteil von nur noch wenig mehr als 3 Prozent längst hinter koreanischen Marken wie Hyundai oder Kia.
„Die Amerikaner haben große strategische Fehler gemacht, seit Jahren nicht verstanden, wie Europa tickt“, findet CAM-Gründer Bratzel – Fords CEO Jim Farley war zuvor auch Europachef des immer noch sechstgrößten Autoherstellers der Welt. Dennoch ist im Saarland Mitte November das letzte Exemplar des Kompaktwagens Focus vom Band gelaufen, ohne dass der Konzern einen vergleichbaren Nachfolger im Programm hat. Im Werk Saarlouis endete stattdessen nach 55 Jahren die Autoproduktion. Von ehemals 4.600 Arbeitsplätzen bleiben noch 1.000 – in einer Ersatzteilherstellung, die auch nur bis 2032 als gesichert gilt.
Kündigungsschutz in Köln nur noch bis 2032
Im großen Stil vernichtet werden Jobs auch am Ford-Standort Köln. Arbeiteten dort Ende des vergangenen Jahrzehnts noch rund 20.000 Menschen, sind es heute nur noch etwa 11.500. Und von denen sollen bis Ende 2027 noch einmal 3.700 gehen. Von den 50.000 Arbeitsplätzen, die Ford in den Achtzigern am Rhein bot, werden dann nur noch 7.800 übrig sein. Zwar gab es bei den Ford-Werken einen bestehenden Kündigungsschutz bis Ende 2032.
„Der Konzern hat uns deshalb die Pistole auf die Brust gesetzt“, sagt dazu Kerstin Klein, 1. Bevollmächtigte der Gewerkschaft IG Metall in Köln. Gedroht wurde mit dem Ende der Patronatserklärung, mit der die Ford-Zentrale in Dearborn im US-Staat Michigan, die 2024 einen Gewinn von 5,9 Milliarden US-Dollar einfuhr, für Schulden seiner Tochter bürgt – und damit faktisch mit der Insolvenz von Ford in Deutschland.
„Bei Insolvenz“, sagt IG Metall-Geschäftsführerin Klein, „hilft auch kein Kündigungsschutz“. Die Kölner Ford-Belegschaft hat deshalb gekämpft. Im Mai gab es den ersten regulären Streik in der 100-jährigen Geschichte des Standorts. Ergebnis waren großzügige Abfindungszahlungen in sechsstelliger Höhe – und eine werksinterne Arbeitsplatzbörse, in der Mitarbeiter:innen, die bleiben wollen, ihre Jobs mit Kolleg:innen tauschen können, die den Konzern verlassen möchten.
taz-Serie: Krise in der Autoindustrie
Im Autoland Deutschland spielt die Branche wirtschaftlich und politisch eine große Rolle. 2024 beschäftigte sie im Schnitt 772.900 Menschen – in Großkonzernen von BMW bis Volkswagen und in zahlreichen Zulieferbetrieben. In Berlin und Brüssel bilden die Hersteller und ihre Verbände eine starke Lobby.
Krise: Verspäteter und zögerlicher Einstieg in klimafreundlichere und digitale Technologien haben sie auf dem internationalen Markt zurückfallen lassen. Hinzu kommen strukturelle und Lieferkettenprobleme.
Serie: Die taz wirft einen Blick auf verschiedene Facetten der Krise. Was ist schief gelaufen? Und mit welchen Strategien versuchen Autobauer, Zulieferer, Verbände, Gewerkschaften und Politik, die Probleme zu überwinden und sich für die Zukunft zu rüsten?
Der Arbeitsplatzabbau dürfte dennoch weitergehen. „Ein so großes Werk wie in Köln lebt davon, Volumen zu bauen“, warnt Gewerkschafterin Klein. „Bezahlbare Kleinwagen – das ist es, was die Leute nachfragen. Wir wünschen uns deshalb ein kleines, bezahlbares E-Modell, das in großem Volumen gebaut wird“, sagt die Kölnerin – und klingt dabei wie CAM-Direktor Bratzel: „Ford Köln braucht dringend attraktive Modelle“, sagt der Analyst. „Spätestens 2028 muss etwas kommen – sonst ist der Laden dicht.“
Dass Ford in Europa zumindest im PKW-Bereich ein Sterben auf Raten droht, weiß auch das Management um den seit dem 1. November amtierenden neuen Europachef Jim Baumbick. In einem am 9. Dezember veröffentlichten Strategiepapier wird endlich die „Einführung neuer erschwinglicher PKW“ angekündigt. Allerdings: Gebaut werden sollen die nicht in Köln, sondern in Kooperation mit dem Hersteller Renault in dessen nordfranzösischem Werk Douai – auf Basis der „Ampere“ genannten Elektro-Plattform von Renault.
Gewerkschaften blicken skeptisch auf Kooperation
„Ford ist im PKW-Bereich zu schwach aufgestellt“, sagt auch der als „Autopapst“ geltende Ferdinand Dudenhöffer. „Renault braucht Volumen, und Ford deren Elektroplattform“, sagt der Autoexperte. Denkbar sei, dass das „Zusammengehen mit Renault“ zumindest für Fords PKW-Sparte ende wie bei Opel: Die einstige Tochter des US-Konzerns General Motors war 2017 vom französischen Peugeot-Konzern geschluckt worden, der nach der Fusion mit Fiat seit 2021 unter dem Namen Stellantis firmiert.
Skeptisch auf die Zusammenarbeit blickt auch die Gewerkschaft. Schließlich soll Ford in Köln ab Januar im Ein-Schicht-Betrieb laufen – und damit sei „die Zukunft des Kölner Ford-Werks auf Dauer nicht wirtschaftlich darstellbar“, erklärt IG-Metall-Geschäftsführerin Klein: „Natürlich ist es schmerzhaft für die Kölner Belegschaft, dass neue, kleine, preislich attraktive Elektromodelle bei Renault in Nordfrankreich gebaut werden sollen.“
Am Rhein dringend gebraucht werde „eine eigene Elektroplattform von Ford, auf der wir aufbauen können“, fordert Klein. Denn noch gebe es in Köln das Know-How, die Anlagen, die Fachkräfte, um neue Automodelle zu entwickeln und zu bauen, mahnt die Gewerkschafterin – „wenn das gewollt ist“.
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