BARBARA BOLLWAHN über ROTKÄPPCHEN
: Mein subversives Sitzkissen

Zum Thema Terror habe ich ein gemütliches Verhältnis. Ein verdächtig gemütliches Verhältnis sogar

Mich lassen drei Buchstaben, über die derzeit heftig diskutiert wird, ziemlich kalt: R, A und F. In der DDR hatte ich es mit einem anderen Typus von Terroristen zu tun. Als die alle abgesägt, verurteilt oder vom lieben Gott geholt wurden, dachte ich, dass damit das Kapitel Terrorismus für mich beendet sei. Denkste.

Ich lebte schon fast sechs Jahre im Westen und fand es toll, tun und lassen zu können, was ich will. Trotz meiner Aversion gegen Kollektive und den Begriff „Genosse“ wurde ich Teil des taz-Kollektivs und damit Genosse, oh nein, Genossin, wie es westdeutsch heißen muss. Nachdem ich mich also irgendwo links positioniert hatte, geriet ich unversehens in den Dunstkreis einer terroristischen Vereinigung.

1995 schrieb ich über ein Bekennerschreiben einer Gruppe „K.O.M.I.T.E.E.“, das in der taz eingetrudelt war. Die Gruppe hatte sich zu einem gescheiterten Anschlag mit 120 Kilo Sprengstoff auf ein im Bau befindliches Abschiebegefängnis in Berlin bekannt. Für die Bundesanwaltschaft ein klarer Fall einer terroristischen Vereinigung. Weil die Ermittler immer an Original-Bekennerschreiben interessiert sind, wegen Fingerabdrücken und so, war schnell klar, dass das Original verschwinden musste. Für die Jungs aus Karlsruhe hatten wir in der Redaktion Kopien gemacht, die sie bei einer Durchsuchung ruhig finden konnten.

Ich weiß nicht, warum, aber das Original nahm ich mit nach Hause. Vielleicht wollte ich den mir so fremden Sprachduktus studieren. „Konsequente militante Praxis könnte einer der Hebel sein, den Kreislauf der Linken von Glaubwürdigkeitsverlust nach außen und Mutlosigkeit und Anpassung nach innen zu durchbrechen.“ Weil ich mich nicht zum Handlanger der Staatsanwaltschaft machen wollte, stopfte ich das sechsseitige Schreiben in ein Ledersitzkissen in meinem Wohnzimmer, das mit Zeitungspapier gefüllt ist. Manchmal setzte ich mich drauf und fand das, ja, irgendwie lustig. Und hatte, so wie früher, das angenehme Gefühl, dem Staat eins ausgewischt zu haben. Außerdem hatte die Gruppe in ihrem Schreiben sowieso ihre Auflösung mitgeteilt.

Für die Ermittler war das aber nur ein Täuschungsmanöver. Deshalb standen einige Tage nach dem Artikel über das Bekennerschreiben Polizisten und Staatsanwälte vor meinem Schreibtisch in der Redaktion. In aller Seelenruhe ließ ich sie meinen Arbeitsplatz durchsuchen. Ich wusste ja, dass sie das Original nicht finden würden. Als mir einer von ihnen eröffnete, dass zeitgleich meine Wohnung durchsucht werde, raste ich wie angestochen nach Hause.

Durch die offene Wohnungstür sah ich wildfremde Männer, die in meinem Kleiderschrank wühlten, in meiner Unterwäsche, in Fotoalben und Tagebüchern. Mein Bild von der grenzenlosen Freiheit im Westen zerbrach in diesem Moment. Die Herren zeigten mir den Durchsuchungsbefehl, mit dem der Generalbundesanwalt die Durchsuchung angeordnet hatte. Das Beschlagnahmeverbot, das normalerweise Journalisten vor der Beschlagnahme ihres Informationsmaterials schützt, stünde dem nicht entgegen, hieß es lapidar.

Als unabhängige Zeugin überwachte eine Beamtin vom Bezirksamt die Durchsuchung. Die Trulla saß mit ihrem dicken Hintern auf meinem Sofa, als wäre sie bei mir zu Hause. Hätte sie auf dem Sitzkissen mit dem Bekennerschreiben Platz genommen, wäre das ja noch lustig gewesen. Aber so. Egal, gefunden wurde das Schreiben nicht.

Vor wenigen Tagen las ich, dass das BKA noch immer nach den mutmaßlichen Terroristen vom „K.O.M.I.T.E.E.“ fahndet, unter der Rubrik „Meistgesuchte Personen“.

Deshalb habe ich das Bekennerschreiben wieder mal aus dem Sitzkissen geholt: „Revolutionäre Politik hatte hier in den letzten Jahrzehnten gesellschaftlich immer nur eine Randposition inne und konnte nie eine realistische Strategie zum Umsturz der Verhältnisse vorweisen“, las ich. Terroristen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Eine erneute Durchsuchung ist zwecklos. Das Sitzkissen ist jetzt weniger prall gefüllt.

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