Ein Volk für Giuliana

Italien kennt nur noch ein Thema: Giuliana Sgrena. Der Kampf um die Freilassung der Reporterin eint Politik und Medien

AUS ROM MICHAEL BRAUN

„Ich heiße Giuliana Sgrena, ich bin 57 Jahre alt, ich bin eine italienische Journalistin, und seit Jahren berichte ich über das irakische Volk. Ich schreibe für die Zeitung Il Manifesto, eine Zeitung, die immer gegen das Embargo und gegen den Krieg eingetreten ist.“ So beginnt das Video, das die Il-Manifesto-Redaktion nach der Entführung der Journalistin in Bagdad für den Sender al-Dschasira produziert hat, und während die Stimme aus dem Off ertönt, sieht man nicht Giuliana Sgrena, sondern bloß auf einer Computertastatur tippende Finger. Mit Berichten über das Schicksal der Betroffenen, des „Volkes“, gegen den Krieg schreiben – dies ist die Konstante in ihrer journalistischen Arbeit, die sie in den Siebzigerjahren in der Mailänder Studentenbewegung begann.

Sie, die sich damals in Gruppen links der Partito Comunista engagierte, fand schnell zu Italiens wichtigster pazifistischer Zeitschrift Pace e guerra (Frieden und Krieg), berichtete über die italienische Friedensbewegung, die vor dem US-Stützpunkt im sizilianischen Comiso mit Sitzblockaden gegen die Aufrüstung mit Pershing-Raketen mobil machte. Vor 17 Jahren dann stieß sie zur Redaktion von Il Manifesto. Ganz selbstverständlich geht dem Manifesto-Chefredakteur Gabriele Polo das Wort „Kriegsreporterin“ über die Lippen, doch aus seinen Worten wird schnell klar, dass Sgrena nicht zu den Journalisten gehört, die im Tarnanzug auf dem Panzer mitfahren. Giuliana Sgrena war in Algerien, als dort Islamisten und Sicherheitskräfte Krieg gegeneinander genauso wie gegen die Bevölkerung führten, sie war in Somalia, während des ersten Golfkrieges im Irak, im Afghanistan der Taliban und dann wieder im Irak, als vor knapp zwei Jahren die US-Bomben fielen.

Des Risikos dort war sie sich wohl bewusst. „Aber wenn ich im Hotelzimmer rumsitzen soll, brauche ich gar nicht erst hinzureisen“, kommentierte sie trocken. Sgrena berichtet nicht aus dem Hotel Palestine, sondern aus dem zerstörten Falludscha, aus den sunnitischen Hochburgen in Bagdad, aus Nadschaf, und die Hauptpersonen all ihrer Reportagen sind die von Krieg und Terror heimgesuchten Iraker. Als sie am letzten Freitag entführt wurde, war sie auf dem Rückweg von einem Lager der aus Falludscha Vertriebenen in Bagdad.

Ebendarum gehe es, sagt Gabriele Polo auf dem Flur der Manifesto-Redaktion, während im Hintergrund das für al-Dschasira produzierte Video mit Bildern vom Krieg und mit Zitaten aus Sgrenas Artikeln läuft: nicht um die „Heiligsprechung Giulianas“, sondern einfach darum, ihre Arbeit für ihre Freilassung sprechen zu lassen.

Inzwischen engagieren sich Italiens Medien wie für kein italienisches Entführungsopfer zuvor; selbst das Berlusconi-Blatt Il Foglio druckte am Montag einen Artikel von Giuliana Sgrena. Ihr Engagement gegen die US-Okkupation könne er nur ablehnen, meint Foglio-Chefredakteur Giuliano Ferrara, aber ihr jahrelanger Einsatz für die Rechte der Frauen in den islamischen Ländern sei einfach bewundernswert. Noch wichtiger ist Gabriele Polo aber die Solidarität der arabischen Medien. Alle arabischen Korrespondenten in Rom haben eine gemeinsame Erklärung unterzeichnet; die Redaktion von al-Dschasira hat in einem Kommuniqué die Freilassung Sgrenas gefordert.

Zugleich setzt Il Manifesto auf enge Koordinierung mit der sonst heftig bekämpften italienischen Regierung. Gleich nach Bekanntwerden der Entführung traf sich Valentino Parlato, Nestor der Redaktion, mit Italiens Außenminister Gianfranco Fini. Etwas amüsiert berichtet Parlato, Fini habe ihm gesagt, die Geschichte müsse man wohl gemeinsam durchstehen, „und danach: Feinde, wie gehabt“. Im Al-Dschasira-Interview ließ Fini dann die arabische Welt wissen, Sgrena sei eine Pazifistin, die den Kriegskurs der USA – und Italiens – immer bekämpft habe. Regierung und Opposition verständigten sich darauf, die eigentlich anstehende Parlamentsdebatte über die Weiterfinanzierung des italienischen Kontingents im Irak auf nächste Woche zu verschieben. Zugleich hat die Regierung ihre Verhandlungskanäle im Irak aktiviert, die schon letztes Jahr bei der Freilassung von Simona Pari und Simona Torretta, die für die humanitäre Organisation „Un ponte per …“ (Eine Brücke für …) in Bagdad arbeiteten, nützlich waren. Gestern gab Il Manifesto unter der Schlagzeile „Wir sehen uns wieder“ bekannt, ein Gewährsmann habe am Montag und Dienstag zweimal Giuliana Sgrena gesehen; nun bestehe die reale Chance zur Aufnahme von Verhandlungen.