Ein Ideal existiert nur in Gedanken

Während die Kölner Möbelmesse Traditionen verhaftet blieb, war auf der Parallelschau zur Messe, den „Passagen“, Überraschenderes zu sehen

VON MICHAEL KASISKE

„Und immer lockt das Weib.“ Ob die Funktionäre der imm cologne unbewusst an die Suggestionskraft des Filmtitels von 1958 dachten, als sie die niederländische Designerin Hella Jongerius und ihre spanische Kollegin Patricia Urquiola für die nunmehr dritte Auflage des „Ideal House“ engagierten? Möglicherweise wollte sich die internationale Möbelmesse, die im Januar in Köln stattfand, aber auch nur das allgegenwärtige „Gender Mainstreaming“ für ihre „beliebteste Tradition“ zu Eigen machen. Jedenfalls wurden die Entwürfe der beiden renommierten Gestalterinnen unter dem kecken Motto „Women’s revenge“ zusammengefasst. Der Gang durch die Installationen führte freilich zur Verwirrung vieler Besucher, vielleicht aber auch nur der männlichen.

Den taktile Bedürfnisse ansprechenden Objekten von Urquiola, etwa lederbezogenen Kissen oder mit Textilcollagen bezogenen Sitzgelegenheiten, stand bei Jongerius eine in Reih und Glied aufgebaute Sammlung ausgesuchter Alltagsgegenstände gegenüber. Ad absurdum führten beide den Wunsch nach vollkommenem Wohnen mit den Kommentaren: „Ideale sind in die Zukunft gerichtete Wunschvorstellungen. Würden sie erreicht, bliebe kein Spielraum mehr für Ideen“ (Jongerius), und: „Ein Ideal gibt es nicht in der Realität. Es existiert nur in unseren Gedanken“ (Urquiola).

Daraus kann man folgern, dass dynamisches Verhalten wie Aneignen inzwischen die Passivität bloßen („männlichen“) Besitzens übertrumpft hat, Anpassungsfähiges ebenfalls dem mehr für Männer typischen Repräsentativen vorgezogen wird. Unabhängig von geschlechtsspezifischen Zuschreibungen ist dieser Wandel von zeitgenössischen Designern intellektuell längst vollzogenen worden. Von den Ausstellern allerdings nicht, denn sie stellten wie gewohnt das singuläre Exponat in den Mittelpunkt ihrer Stände, ein im Übrigen gleichfalls geschlechterübergreifendes Verharren.

Das „Alles wie immer“-Verhalten trotz der negativen Entwicklungen in der Möbelbranche – stagnierende Umsätze, rückläufige Beschäftigungszahlen – ließ denn auch kaum Neuheiten zu. Bei dem alteingesessenen Hersteller Thonet, bekannt für Kaffeehausstühle und Freischwinger, wurde ein Stuhl von Piero Lissoni vorgestellt, der die beiden Materialien des Unternehmens, Stahl und Bugholz, elegant miteinander vereinigt. Nils Holger Moormann präsentierte den Dresscode von Jörg Boner, einen ohne Werkzeug aufbaubaren Schrank mit Wänden aus leichtem, in Rahmen gespanntem Textilverbundmaterial.

Die jungen Designer beim „future point 05“, dem Bereich der Hochschulprojekte, und des Nachwuchsprogramms „inspired by cologne“ haben sich mehrheitlich auf das Künstlerisch-Konzeptionelle kapriziert. Prototypen für eine größere Produktion waren kaum zu sehen, was auf Ratlosigkeit auch in den Hochschulen schließen lässt. Die einst mit großem Echo und Unterstützung der Messe gestartete Nachwuchsplattform „spin off“ ist in diesem Jahr wohl mangels potenter Förderer auch auf den „Passagen – Interior Design in Köln“ suspendiert worden. Bei dieser Parallelschau zur Messe dominierten verstärkt etablierte Firmen, die sich vorzugsweise in fertigen, noch nicht vollständig vermieteten Gewerbeobjekten wie den Spichernhöfen darstellten und damit Teil des Standortmarketings wurden.

Wer angesichts dieses alles durchwirkenden wirtschaftlichen Denkens Zweifel an der Kraft von Gestaltung bekam, konnte unkonventionell Trost in dem von Frauke Gerhard initiierten Dollies Pillow Club© finden. Unter dem Motto „Jedem sein Pillow. Gott für uns alle“ bot die Kölner Künstlerin mit Schaffellen bezogene Kissenobjekte an, die als weicher Fetisch den Großstadtnomaden „erden“ sollen.

Der prominenteste Ort der Passagen war wie im vergangenen Jahr der „Stylepark in Residence“. In dem ehemaligen Direktionsgebäude der Deutschen Bahn AG zeigten Anbieter der Internetplattform beeindruckende Installationen. So ließ sich die Firma NYA Nordiska Textiles vom Büro David Chipperfield Architects zwei Räume mit stoffbespannten Säulen bestücken, was eine überraschende Alternative zum konventionellen Drapieren der Produkte aufzeigte. Der Kunststoffhersteller Koziol verfremdete den Eingang und einen Raum mit schier endlosen, weiß schimmernden Ketten aus Plastik, die eine geradezu außerirdische Wirkung entfalteten.

Für die Aufsehen erregende Inszenierung mit Mosaiken und großen Spiegeln im Vestibül des Gebäudes zeichnete Urquiola mit Martino Berghinz verantwortlich, was eines der inzwischen rar gewordenen „Cross-over“ mit der Messe war. Wie sinnlich hingegen auch der Schönheit gewidmete Dinge sein können, zeigten die von italienischen Produzenten gestellten Sitzlandschaften im Interni-Café, das sich durch seine rosa-fleischfarbene Ausstattung auf einem Grat zwischen Lounge und Bordell bewegte.

Dieser zweite Auftritt des Styleparks lebt vom Reiz des ephemeren Standorts, den die Messe nicht aufweisen kann. Auch wenn die imm cologne nächstes Jahr in neuen Hallen residiert, werden weiterhin wohl eher „Traditionen“ gepflegt. Bis sich die Messe auf die immerhin sogar lokal verwurzelte Wirkung von Filmtiteln wie „Der bewegte Mann“ einlässt, ist es jedenfalls noch ein weiter Weg.

www.imm-cologne.de, www.nilshol germoormann.de, www.thonet.de, www.dollies-pillow-club.de