Die autonome Unverträglichkeit

Seit 15 Jahren ist die Flora im Schanzenviertel rot. Razzien, Polizeiaufmärsche, Räumungsversuche und andere Feindseligkeiten von SPD, CDU und Schill schmücken den langen Weg vom „rechtsfreien Raum“ zum geduldeten Stadtteilzentrum

von Kai von Appen

Eigentlich ist es nicht ihr Ding, auf Geburtstage zu achten. Doch als jemand darauf aufmerksam wurde, dass an diesem 1. November die Rote Flora seit 15 Jahren besteht, ist doch eine Festwoche konzipiert worden. „Um zu zeigen, dass es uns noch gibt“, grinst Regina Bernd*, eine der Sprecherinnen des autonomen Stadtteilzentrums. „Die Rote Flora hat einen Brand überstanden, Razzien auch, geräumt werden sollte sie schon häufig, verkauft wurde sie auch“, ergänzt Britta Peter*, „aber nach wie vor gilt: Die Flora bleibt autonom und unverträglich.“

Die Rote Flora ist aus dem Widerstand gegen die Kommerzialisierung und Umstrukturierung des Schanzenviertels hervorgegangen. Als der Musical-Papst Fritz Kurz 1988 aus dem historischen Film-Theater auf dem Schulterblatt einen Kommerztempel machen wollten, hagelte es Proteste. Kurz zog schließlich den Bau der Neuen Flora am Holstenbahnhof vor; die Rote im Schanzenviertel wurde nach einem kurzfristigen Instandsetzungsvertrag von einem bunten Grüppchen besetzt. „Die Rote Flora steht für den Versuch, Gegenkonzepte zur kommerziellen Verwertung des öffentlichen Raums umzusetzen“, so Peter. „Ziel war und ist es, den Einfluss von städtischer Politik und ökonomischen Sachzwängen so weit wie möglich zurückzudrängen, damit eigene Konzepte der Nutzung und Bestimmung entwickelt werden können.“

75 Prozent ist Konsens

Entscheidungen würden im Konsens getroffen und getragen. Dabei räumt Bernd ein, dass sich „auf einer Ebene zu verständigen nicht immer möglich war“. So 1992, als es um die Frage von Vertragsverhandlungen ging. „Damals war die Formel Konsens: 75 Prozent ist Konsens.“

In 15 Jahren gab es unzählige Menschen, die an dem Projekt mitgewirkt haben, berichten Bernd und Peter. „Viele sind an eigenen, politischen und strukturellen Problemen gescheitert.“ Keine Person lebe außerhalb der Gesellschaft, deshalb sei durch das Betreten des Hauses nicht automatisch alles anders. „Politisch emanzipatorisches Bewusstsein muss innnerhalb der Idee Rote Flora immer wieder neu entwickelt werden.“

Und das ist den Staatsorganen natürlich ein Dorn im Auge, sodass die Flora seit ihrem Bestehen immer wieder Ziel von Polizeiübergriffen geworden ist. Etwa 1991, als die Floristen die Freifläche hinter dem Gebäude als Park beanspruchten, die Stadt dies wegen der Randbebauung aber nicht zulassen wollte. 1.500 Polizisten räumten am 23. Juli 1991 das Areal.

Zu einer echten Machtprobe mit der Stadt kam es auch 1992. Der Hamburger Senat in Person der damaligen Stadtentwicklungssenatorin Traute Müller (SPD) drängte auf eine vertragliche Regelung. Wenn es nicht binnen sechs Wochen zu einer Vertragslösung auf der Basis staatlicher Konditionen käme, drohte der Senat mit Räumung. „Obwohl noch vor Aufnahme der Verhandlungen klar war, dass es der Stadt nur darum ging, die politische Autonomie der Roten Flora massiv zu beschneiden und daraus ein weich gespültes, angepasstes Stadteilzentrum zu machen“, berichtet Peter, „wurden Verhandlungen aufgenommen.“ Aufgrund der Bürgerschaftsneuwahlen verläuft die Sache damals nach vier Monaten Verhandlungen im Sande. Die Flora blieb besetzt und ohne Vertrag, worüber man bis heute zufrieden ist. „Jede vertragliche Lösung bedeutet Hierarchien und ein Ende der Selbstverwaltung.“

Der „rechtsfreie“ Raum

Erst im Bürgerschaftswahlkampf 2001 wurden Forderungen nach Räumung des angeblich „rechtsfreien Raumes“ wieder laut. Die CDU kündigte für den Fall eines Wahlsieges das unverzügliche Ende der Roten Flora an, der an die Macht strebende Ronald Schill drohte ohnehin mit bürgerkriegsähnlichen „Maßnahmen“. Um die Flora nicht zum konservativen Wahlkampfhit werden zu lassen, verkaufte der rot-grüne Senat das Gebäude im Frühjahr 2001 kurzerhand an den Kulturmäzen Klausmartin Kretschmer. Der lässt die Rotfloristen seither völlig in Ruhe.

Auf wenig Gegenliebe in Politik und Öffentlichkeit stießen die Positionen der Rotfloristen zur Drogenpolitik. „Die Diskussion war schwer, weil auch hier die Grundhaltung herrscht: ‚Aber nicht vor meiner Haustür‘“, erinnert sich Peter. Seit 1998 sei die Politik der Vertreibung von Drogen-Konsumenten durch Platzverweise und Ingewahrsamnahmen verstärkt worden, um das Straßenbild zu verschönern. „Dabei hat sich eine erstaunliche Wandlung der öffentlichen Wahrnehmung der Polizei im Schanzenviertel vollzogen“, staunt Bernd. Waren die Beamten der federführenden Lerchenwache zehn Jahre lang vor allem durch Übergriffe, Misshandlungen und rechtswidrige Einsätze aufgefallen, präsentierten sie sich nun gern als Anwälte der Sorgen und Nöte der Leute. „In der Schaffung eines provisorische Druckraums direkt hinter der Flora hat das Projekt dann praktisch Stellung genommen. Inzwischen haben sie es aber wirlich geschafft, auch durch die Fixstern-Schließung, die Junkies zu vertreiben.“

Billig, lecker und vegan

Die Rote Flora ist noch heute ein Raum, der von den verschiedensten Zusammenhängen und Gruppen genutzt wird und sich dadurch mit den unterschiedlichsten Inhalten und Aktivitäten füllt, „von Antifa bis Antiatom trifft sich hier vieles“, so Bernd. Es gebe Räume für eine Food-Coop, Sportgruppen und Bands, die Volxküche kocht billig, lecker und vegan, die Cafés bieten die Möglichkeit zum Reinschnuppern. „Eine offene Druckwerkstatt, ein Atelier, Motorradselbsthilfe, Fahrradwerkstatt und das Archiv der sozialen Bewegungen runden das ab“, sagt Peter: „Es gibt also einen Grund zum Feiern, und wir freuen uns schon auf die nächsten 15 Jahre.“

* Namen geändert