Aufklären und unterhalten

Vom 17. bis 19. April 2009 feiert die taz ihren 30. Geburtstag mit dem Kongress ¿Tu was! Freiheit & Utopie im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. An dieser Stelle wird laufend über die Vorbereitungen des Kongresses, über die Themen, die Zusagen und Orte berichtet. Mehr zum tazkongress: www.30jahre.taz.de Ideen und Vorschläge an: 30jahre@taz.de

Das Wissen wächst, das Verstehen schwindet: Wie kann man die Befunde der sich ständig verändernden Wissenschaften ins breitere Publikum tragen?

Wissenschaftsvermittlung sollte mehr als eine bloße Übersetzung der Forschungsergebnisse in eine verständliche Sprache sein. Wie kann man die Befunde der Wissenschaften ins breitere Publikum tragen? Wie viel Mühe darf man dem Publikum dabei abverlangen, und wie viel Mühe macht dies den Wissenschaftlern? Bei dem tazkongress der anlässlich des 30. Geburtstags der taz vom 17. bis 19. April im Haus der Kulturen der Welt in Berlin stattfindet, geht es nicht nur um den Wissensaustausch der Wissenschaftler unter sich, sondern auch um den Wissensaustausch im Allgemeinen.

Populärwissenschaft hat seit der Aufklärung mit ihrer Idee der Emanzipation des Bürgertums, der Selbstbestimmung des Menschen und der Demokratisierung des Wissens in den westlichen Gesellschaften ihre hohe zivilisatorische Stellung als Bildungswert behalten. Allerdings hat eine Verlagerung in der Wissensvermittlung stattgefunden: von der Aufklärung zur Unterhaltung. Im Idealfall sollten diese beiden Aspekte sich nicht gegenseitig ausschließen. Sieht man sich aber um in der Medienlandschaft, gerade im Fernsehen, tut sie dies meistens doch. Was zu dieser Verlagerung geführt hat, sind die veränderten kulturell-ökonomisch-technischen Bedingungen. Diese treiben die herkömmlichen Elemente auf die Spitze. Die Forschung eilt voraus, und wir als Laien verstehen nicht mehr viel. Und obwohl der Abstand tatsächlich größer wird hat sich ein Markt entwickelt, der mit dem Herstellen von Verständnis handelt. Zwischen Alltagswelt und Wissenschaftswelt ist ein Umschlagplatz entstanden, wo wir nur so tun, als ob wir Wissenschaft verstünden.

Guido Knopp, „Galileo“ usw. sind die Formen der Wissenschaftsvermittlung, die wir heute fast zu jeder Tages- und Nachtzeit im Fernsehen finden. „Science sells“ ist das Motto. Nicht aber die Populärwissenschaft stellt ein Problem dar, sondern die Modeerscheinungen, die aus ihr erwachsen. Bei näherer Beobachtung der derzeitigen Medien erscheint die Bearbeitung von Wissensvermittlung umso trivialer und sogar schlampiger, je mehr die Art von Wissen gerade gefragt ist.

Vorbei die Zeiten der einsamen Genies wie Newton und Einstein: Der Wissenschaftler, der sich zurückgezogen in seiner Kammer der Physik widmet – dieses Bild ist veraltet. Die heutigen Wissenschaftler mögen in ihren Kammern sitzen, aber mit DSL-Anschluss.

Bleiben wir zunächst beim Beispiel des Physikers. Sein Profil hat sich in den letzten hundert Jahren zwangsläufig gewandelt: In den vergangenen Jahrzehnten wurde die Fragestellung in der Physik immer komplexer. Daher musste sich „der Physiker“ auf Teilbereiche der Physik konzentrieren und spezialisieren. Inzwischen werden die Erkenntnisse in der Physik über ein immer enger werdendes Netzwerk von miteinander kommunizierenden Wissenschaftlern in der ganzen Welt voran getrieben.

Aber auch in den anderen Wissenschaften, seien es Natur- oder Geisteswissenschaften, gibt es eine starke Tendenz zur Vernetzung und Aufteilung: Interdisziplinarität heißt seit einiger Zeit das Motto in der Wissenschaft. Interdisziplinäre Forschungsprojekte sind heute gefragter den je. Sie bekommen Förderungen und Exzellenzzentren. Wo Neurobiologen mit Philosophen diskutieren und Ethnologen mit Informatikern, entstehen neue Wissenschaftsfelder. Das heißt, die Disziplinen splitten sich auf und bringen in den Schnittmengen neue Spezialgebiete hervor.

Eine globale Vernetzung, ein globales Miteinander in der Wissenschaft ist heute, wie es scheint, notwendig – keinesfalls aber neu. Reger Wissensaustausch war immer ein Fundament der Wissenschaft. Seit Jahrhunderten haben Wissenschaftler ihr Wissen schon auf internationaler Ebene ausgetauscht.

Die Art und Weise allerdings, wie der Wissensaustausch heute stattfindet, wie Wissenschaftler heute vernetzt sind, ist neu. Fand der bisherige Wissensaustausch meistens in Form von Kongressen und Konferenzen statt, geschieht dies heute auf spezialisierten Internetforen und Mailinglisten. Man braucht nicht einmal mehr den Ort zu wechseln. Man hat globalen Zugang zu Wissen, ganz lokal. Als tägliches Werkzeug zur Vertiefung und Unterstützung von Informationen hat sich das Internet binnen kürzester Zeit zu einem unverzichtbaren Hilfsmittel für die Wissenschaft bewährt. Wozu also noch Konferenzen und Kongresse organisieren, wo wir doch heute von zu Hause aus Zugang zu jedweder Information haben?

Das Internet, dieses demokratischste Medium in der Geschichte der Kommunikation, ist mit größter Vorsicht zu benutzen. In dieser von Blogs und Wikis überlasteten Welt ist nämlich niemand gegen die Unrichtigkeit gefeit, am wenigsten, wenn es sich um die Wissenschaft handelt. Den Verfassern fehlt nicht selten die kritische Distanz und mit journalistischem Vorgehen, oft ohne Informationsvergleich, werden viele Inhalte im Internet produziert, die noch weitgehend unausgereift und verwirrend sind.

Bisher zugesagt, am tazkongress teilzunehmen, haben unter anderem: Mona Abaza (Soziologin), Jutta Almendinger (Präsidentin des WZB), Bernd Begemann (Sänger und Entertainer), Micha Brumlik (Erziehungswissenschaftler und Autor), Heiner Bielefeld (Philosoph und Direktor des Instituts für Menschenrechte in Berlin), Dietrich Brockhagen (Chef von Atmosfair), Horst Dreier (Jurist), David Cohn (US-Blogger), Daniel Cohn-Bendit (Politiker und Publizist), Robert Habeck (Schriftsteller und Landesvorsitzender von Bündnis 90/ Die Grünen in Schleswig-Holstein), Carolin Emcke (Journalistin und Autorin), Günter Faltin (deutscher Hochschullehrer und Unternehmensgründer), Heiner Flassbeck (Chefvolkswirt bei der Unctad), Dagmar Herzog (Professorin für Geschichte), Barbara Keddi (interdisziplinäre Entwicklungsforschung), Nadja Klinger (Journalistin), Maria Kniesburges (Journalistin), Andreas Kraß (Philologe), Constanze Kurz (Sprecherin des Chaos Computer Clubs), Stefan Niggemeier (Deutschlands oberster Blogwart), Christine Plüss (Geschäftsführerin des Basler Arbeitskreises Tourismus & Entwicklung), Cord Riechelmann (Geschichte biologischer Forschung), Gerd Rosenkranz (Politischer Leiter der Deutschen Umwelthilfe), Saskia Sassen (Soziologin), Richard Sennett (Kulturwissenschaftler), Harald Schumann (Redakteur beim Berliner Tagesspiegel), Paul Scheffer (Soziologe), Max Stadler (FDP-Bundestagsabgeordneter), Gerhard Seyfried (Comiczeichner), Franz Walter (Politikwissenschaftler), Harald Welzer (Sozialpsychologe), Dieter Wiefelspütz (SPD-Bundestagsabgeordneter) …

Zum Wissensaustausch heute ist es nicht mehr notwendig, sich gemeinsam an einem Ort zu versammeln, sondern man tauscht sich ganz lokal von zu Hause in der einsamen Kammer aus, per Mausklick. So handelt man heute, wie Ulrich Beck sagt, „glokal“. Gemeint sind damit die Wechselwirkung zwischen globalen und lokalen Handlungen, Entwicklungen, Ideen und Entscheidungen. Aber nicht nur, wie man sich heute austauscht, ist neu, sondern auch worüber. Das Problem des weltweiten Klimawandels zum Beispiel ist inzwischen in aller Munde. Während Umweltprobleme früher als lokales, regionales oder maximal nationales Problem gehandelt wurden, verschwimmen heute die Grenzen zwischen regional und global relevanten Fragestellungen zusehends: Nehmen wir das Beispiel eines umkippenden Sees irgendwo auf der Welt. Das stellt ein regionales Problem dar und ist nicht wirklich von globalem Interesse. Im Bezug auf das Klima und die Klimaveränderung allerdings verschwinden diese bisher gekannten Grenzen zwischen regionalen und globalen Problemen mehr und mehr. Hier wird es plötzlich wichtig den tropischen Regenwald zu retten, obwohl er am anderen Ende der Welt liegt, weil er das Klima an sich beeinflusst und seine Zerstörung eben nicht nur lokale Konsequenzen nach sich ziehen würde, sondern auch globale. Gerade am Beispiel Umwelt wird die Wichtigkeit des beständigen internationalen Wissensaustauschs sichtbar.

Dank alter und neuer Medien haben wir heute wie nie zuvor mühelosen Zugang zu Wissen, aber es könnte genau diese Mühelosigkeit sein, die das Verstehen hintertreibt. Und schon stehen wir vor dem Paradoxon, dass das Wissen in unserer Gesellschaft zwar stetig wächst aber das Verstehen im Gegenzug schwindet. Auch an den Universitäten heute geht es beinahe mehr um ein Wissensmarketing als um die Wissensproduktion. Man denke nur an die diversen Exzellenzzentren.

Auf dem tazkongress wollen wir nicht nur global relevante Themen ansprechen, indem wir uns gemeinsam mit Wissenschaftlern, Publikum und Machern an einen Tisch setzen. Wir wollen auch zurück zur Aufklärung mittels Wissenschaft. Anstatt Mythen mit Hilfe der Wissenschaft aufzubauen, wollen wir uns zu kritischen offenen Menschen entwickeln, die Mythen und Illusionen misstrauen. Nicht nur der tazkongress, sondern auch die taz selbst steht in der demokratischen Pflicht der Wissensvermittlung. MAREIKE BARMEYER