Feministische Pornos: Por? Yes!

Alice Schwarzer wollte Pornos noch verbieten, heute machen ihre Nachfolgerinnen solche Sexfilme selbst. Dabei scheitern sie oft an ihrer eigenen Schwanzfixierung.

Neue Ästhetik: Film von Angie Dowling aka Rusty Cave. Bild: Rusty Cave / PorYes /

Einzelne Szenen in diesem Text sind für LeserInnen unter 18 Jahren nicht geeignet.

Ein Klick, und die Welt von Doppel-Anal, Deep-Throat-Orgien und Cumshots steht offen. Millionen Clips und viele kostenlos. Gib mir mehr, betteln die Frauen vor, während und nach ihrer Zurichtung. Und die Hardcore-Branche ist durchaus gewillt. Tiefer in den Rachen, härter in die Möse, dicker in den Arsch. "Irgendwann fährt den Frauen ein Zug durch den Anus." So in etwa prophezeit es eine ehemalige Darstellerin im Dokumentarfilm "9to5. Days in Porn".

Als sich Teile der Emanzipationsbewegung, angeführt von ihrer Grand Dame Alice Schwarzer, in den Achtzigern der PorNo-Kampagne verschrieben, mögen sie solche Entwicklungen im Blick gehabt haben. "Pornografie ist die verharmlosende oder verherrlichende, deutlich erniedrigende sexuelle Darstellung von Frauen oder Mädchen in Bildern und/oder Worten", definierte Schwarzer in ihrem Gesetzentwurf für ein Pornoverbot. Der Erfolg beschränkte sich auf Moralisierung. Ein Verbot kam nicht, und die Hardcore-Branche wuchs in jeder Hinsicht.

PorYes-Award: Der Feministische Filmpreis wird am 15. 10. im Berliner Hackesche-Höfe-Kino zum zweiten Mal verliehen. Nominiert sind "Dirty Diaries", Birgit Hein für ihr Lebenswerk und die Regisseurinnen Rusty Cave, Cathérine Breillat und Emilie Jouvet. Mit der "Auster" werden Filme für ihre positive Darstellung weiblicher Lust, die Vielfalt sexueller Ausdrucksweisen und das Mitwirken von Frauen bei der Produktion ausgezeichnet. www.poryes.de

Pornfilmfestival Berlin: Zum sechsten Mal findet vom 26. bis 30. Oktober das Filmfestival im Moviemento Kino statt. Gezeigt werden Filme, bei denen die Grenzen zwischen Art-House und hartem Porno verschwimmen. Der Regisseur Travis Mathews zeigt "In Their Room – Berlin". Mit der Podiumsdiskussion "Coming Mainstream – Do Good Girls Conqueer Lesbian Porn?" widmen die Kuratoren sich dem lesbischen Porno. www.pornfilmfestivalberlin.de

Während man in Deutschland noch in geschlossenen Gruppen die eigene Vagina betrachtete, war sie in den USA schon Gegenstand von queeren Live-Acts. Das war die andere Seite des sogenannten Feminist Sex War: nicht verbieten, sondern selbst machen. Frauen produzierten ihre ersten Pornos. Erst langsam schwappte dieser Aktivismus nach Europa und noch viel langsamer nach Deutschland. Er ging einher mit einem Verwischen der Grenzen zwischen Kunst und Pornografie.

Es gibt eine Öffnung hungriger als der Mund. Niemals satt. Dort wirst du enden. Früher oder später. Pfirsich, Schwammpilz, Pflaume, Apfel. Feuchte Muschi. Feuchte Früchte. Feuchte Spucke. Feuchtes Loch. Niemals satt. Cut.

Ende der Neunziger sprengte die französische Regisseurin Catherine Breillat die Grenzen mit "Romance XXX". Damit war sie eine der Ersten in Europa, die explizit sexuelle Darstellung raus aus dem Schmuddelkino und auf die Leinwand der Art-House-Lichtspielstätten brachte. Virginie Despentes zog ein Jahr später mit "Baise Moi – Fick mich!" nach und verhandelte Sexualität und Gewalt aus Sicht der Frau. Zu "9 Songs" ließ Michael Winterbottom 2004 ein Liebespaar ficken – und hielt die Kamera drauf.

Einer der Höhepunkte in diesem neuen, schwer definierbarem Genre ist "Shortbus" aus dem Jahr 2006. John Cameron Mitchell zeigt intelligent Sex als Befreiungsakt. Anders als der klassische Porno betten diese Filme pornografische Szenen in ihre Erzählung ein: Dort, wo es Sex gibt, sieht man eben richtigen Sex. Die Streifen laufen im Kino und dann im öffentlich-rechtlichem Fernsehen nach 23.30 Uhr.

Die Pornobranche wird von dieser Nische nicht berührt. Das Image des Erwachsenenfilms bleibt klebrig. Mit Einsamkeit behaftet. Unvereinbar mit einer links-intellektuellen Lebenseinstellung.

"Wartet, ich bin noch nicht locker. Es ist gar nicht so leicht abzuschalten. Können wir nicht erst mal einen Kaffee trinken. Ich komme mir so … Ihr bestellt mich einfach her, damit ich meinen Schwanz zeige." Erst mal ein Kaffee. "Ist es jetzt besser?" - "Ja, alles wieder okay." Sex. "Freut ihr euch, dass ich da bin?" - "Ja, sehr." - "Wartet, jetzt geht's erst richtig los. Stöhn mal ein bisschen." Er kommt. "Ihr wolltet doch, dass ich ganz ich selbst bin, oder?" - "Hmmm." - "Ihr habt ein paar gute Szenen, oder? Von hinten war gut." Cut.

Mit immer krasseren Szenen hält die Hardcore-Branche das ewig gleiche Publikum bei der Stange. So, als gebe es nur Privatfernsehen, und das muss immer schriller, lauter, tabuloser werden, um die Langeweile der Gewöhnung zu durchbrechen. Insofern ist das Internet eine wunderbare Offenbarung in Sachen Zielgruppengewinnung.

Niemand muss mehr Separées betreten, in denen jeder Gegenstand von Sperma zu kleben scheint. Das Web fühlt sich cleaner an, und die Gruppe derjenigen, die zugunsten der Neugier, der Faszination am Tabu, der eigenen Stimulation die Schamschwelle überwinden, wächst zwangsläufig. Hier kommt er, der Moment des feministischen, des künstlerischen, des ethisch korrekten Pornos.

Die Frage, ob es inzwischen auch ein 3sat der Pornobranche gibt, beantwortet Laura Méritt mit PorYes: "Wir wollen das Feld nicht der herkömmlichen Industrie überlassen." Méritt holte vor zwei Jahren mit der Erstverleihung ihres feministischen Porn-Awards einen Hauch verspäteten Sex-War nach Deutschland. Die Gegner_innen sind noch da und die Mechanismen der Ablehnung auch.

Aber die Neugierigen haben Lust bekommen: auf den Porno, der die Vielfalt von Sexualität, von Lustsubjekten, von Befriedigung zeigt. Der sich zur Nachahmung empfiehlt, ohne dass frau zuvor den Anus weiten oder Würgreflex abtrainieren muss. Bei dem mann auch mal ohne 90-Grad-Ständer ins Bild kommen und ohne mechanisch ins Gesicht gewichste Ejakulation wieder gehen darf.

An diesem Wochenende verleiht Laura Méritt zum zweiten Mal ihren feministischen Porn-Award. Bis auf das Urgestein Birgit Hein ist keine Deutsche unter den Nominierten. Die Französin Emilie Jouvet etwa begleitet in ihrer Reportage "Too much Pussy – Feminist Sluts In The Queer X Show" sieben Künstlerinnen, Musikerinnen und Pornostars. Sie sind alle lesbisch oder bisexuell und haben Sex vor Zuschauern. Das alles im Namen des Feminismus.

Angie Dowling aka Rusty Cave geht einen anderen Weg und bedient sich in "Madam and Eve" der Mainstreamporno-Ästhetik. In nahezu jeder Szene stecken sich Frauen in Latex-Krankenschwestern-Outfits und billigen Plastik-Highheels Dildos in die rasierten Muschis. Das mag im Sinne von Beatriz Preciados "Kontrasexuellem Manifest" sein: "Der Dildo ist nicht der Phallus, und er repräsentiert nicht den Phallus, weil der Phallus nicht existiert." Leider erfüllt Rusty Cave bei ihrer Umsetzung auch die primitivsten heterosexuellen Männerfantasien.

Gentlemens Club. Gelangweilte Typen. Die zwei Frauen auf dem Billardtisch legen los. Die eine leckt der anderen die Pussy. Stöhnen. Einer der Typen holt sich einen runter. Bierbauch, Brille, Fischmund. Der Mann ist nur ein Männchen und die Girls sind plötzlich riesengroß. Die Riesenmuschi verschluckt das Männchen und holt sich an ihm einen runter. Dildoman. Cut.

Dass feministischer Porno nicht nur lesbisch sein muss, zeigt die Schwedin Mia Engberg in ihrer vom Staat mitfinanzierten Kurzfilmsammlung "Dirty Diaries". Zum Beispiel "Skin": Zwei Körper sind komplett in Strumpfanzüge gehüllt. Sie streicheln sich zart, erkunden und küssen sich. Nach und nach kommt es zur Entblößung. Sie nimmt seinen Schwanz in den Mund, er leckt sie. Der Mann steckt sanft seinen Penis in die Vagina und ejakuliert am Ende nicht.

Das ist ein klares Zeichen. Die sichtbare Lust der Frau steht an erster Stelle, so steht es auch in Laura Méritts Kategorien für den feministischen Porno. Aber gehört der männliche Höhepunkt nicht zur weiblichen Lust dazu? Müssen wir uns noch immer vom Phallus befreien?

Die schwulen Regisseure scheinen längst einen Schritt weiter zu sein. Sie lassen das Politische, Erzieherische, Emanzipatorische aus ihren Filmen heraus. "Die schwule Pornoemanzipation läuft schon seit den Siebzigern. Man hat alles gesehen, und es ist alles da gewesen", sagt Claus Matthes, Kurator des Ende Oktober stattfindenden Pornfilmfestivals Berlin.

Die aktuelle Tendenz im schwulen Porno ist, Sex so zu zeigen, wie er ist: die Unsicherheit vor dem Ficken, der Akt an sich – von hart bis 08/15. Eine klare Besinnung zur Natürlichkeit, wie sie bei Travis Mathews' "I Want Your Love" zu sehen ist. Der Regisseur aus San Francisco zeigt Intimität und Unbeholfenheit zugleich. Es ist ein authentischer und erregender Kurzfilm und damit Stimme einer neuen queeren Kinobewegung.

Krempeln die Feminist_innen und Ästhet_innen endlich in Deutschland den Pornomarkt um? Auf dem letzten Plakat der weltweit größten Erotik-Fachmesse Venus räkelte sich bis vor zwei Wochen noch eine mit Photoshop glattpolierte Nymphe mit bittendem Blick. Dort stand das Vergnügen der Männer an erster Stelle. Erstmals wurde der feministische Porno aber auch auf der Mainstream-Messe diskutiert.

Nur eine Frage von Angebot und Nachfrage, und die analogen und digitalen Videotheken räumen ihre Regale frei für die "guten Pornos".

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