„Wir sind zu technokratisch geworden“

Nach fast vier Jahrzehnten Politik geht der Vordenker der CSU in Rente. In der taz spricht Alois Glück über die Arroganz seiner Partei und behauptet dreist, die Christsozialen seien noch vor den Grünen die erste Umweltpartei gewesen

ALOIS GLÜCK, 68, war 15 Jahre Fraktionschef der CSU im bayerischen Landtag und 5 Jahre Landtagspräsident.

taz: Herr Glück, Sie gehen morgen nach 38 Jahren Landespolitik in den Ruhestand. Zuvor mussten Sie noch die bittere Wahlschlappe der CSU erleben. Woran lag es?

Alois Glück: Die Menschen haben zwar weitgehend unserer Politik zugestimmt – von Einzelthemen und kleinen Gruppen einmal abgesehen, aber die Art der Machtausübung durch die CSU nicht mehr akzeptiert. Das ist eine klare Botschaft. Die enge Verbindung Bayern und CSU hat so nicht mehr gegriffen.

Ein Vermittlungsproblem?

Nein. Wir lagen hier neben dem Lebensgefühl für uns wichtiger Menschen.

Wie sieht dieses Lebensgefühl aus?

„Den Bayern“ gibt es nicht. Auch nicht das eine bayerische Lebensgefühl. Was hier besonders ist: Die Menschen identifizieren sich mit ihrem Heimatland Bayern in einer Weise, wie es das sonst nirgendwo in Deutschland gibt. Sie tun es aber in unterschiedlicher Weise. Das Bayernbild ist bei jemandem, der im Trachtenverein ist, ganz anders als bei einem Manager, der aus Singapur nach Hause kommt und sich hier zu Hause fühlt. Die Befindlichkeiten, die Lebenseinstellungen haben sich auch in Bayern bei vielen Menschen massiv verändert. Die innere Bandbreite von Lebensstilen, von Wertvorstellungen, aber auch Erwartungen an die Politik, sind sehr viel breiter geworden. Das haben wir als Partei zu wenig aufgenommen.

Sie haben auch in ganz traditionellen Milieus verloren. Bei den Bauern hat die CSU 40 Prozent an Stimmen eingebüßt. Wie konnte das passieren?

Auch in der bäuerlichen Bevölkerung hat sich die Lebensweise verändert. Selbst für den Bauernverband wird es schwieriger, alle zu erreichen. Die einen arbeiten modern, fast industriell, die anderen ökologisch. Das macht es für uns schwer, die „50 plus x“ unter einem Dach zu versammeln.

Die klassischen konservativen Milieus haben sich in den vergangenen Jahrzehnten aufgelöst. Wo will die CSU denn in Zukunft ihre Stammwähler hernehmen?

Die Erfolge der Vergangenheit sind ja auch nicht nur auf diesen Milieus begründet. Schon vor zwanzig Jahren hat einmal ein Pfarrer in meinem Heimatlandkreis gesagt: „Früher sind die Menschen bei uns aufgefallen, die am Sonntag nicht regelmäßig in die Kirche gehen. Jetzt fallen die auf, die regelmäßig gehen.“ Die Bindekraft von Milieus ist schwächer geworden. Die CSU war aber bis zuletzt für viele Menschen der stabile Faktor in einer sich rasch verändernden Welt. In den vergangenen fünf Jahren sind viele Gewissheiten noch stärker ins Schwimmen gekommen. Das alles miteinander macht die Situation sehr labil

Neulich haben Sie gesagt, der Konservativismus vergangener Zeiten biete keine ausreichende Orientierung mehr für die Gegenwart. Was meinen Sie damit?

Man erschöpft sich oft im Beschwören alter Werte. Die eigene Kultur und die eigene Identität sind natürlich wichtig. Aber gleichzeitig müssen wir uns auch mit dem Weltbild von Menschen aus anderen Kulturen und Religionen vertraut machen. Bisher war das konservative Denken vor allem auf die Vergangenheit bezogen. Das geht heute nicht mehr. Die Verantwortung für die Zukunftschancen der Nachkommen ist noch wichtiger als die Verpflichtung gegenüber dem Erbe der Väter und Mütter. Wir dürfen nicht nur im Bremserhäuschen der Moderne sitzen.

Werfen Sie das der CSU vor?

Nein. Wir sind in den vergangenen zehn Jahren vielen Menschen vielleicht zu technokratisch und fortschrittsgläubig geworden. Zur Bundestagswahl 2005 waren viele Jahre auch durch eine sehr marktgläubige Position geprägt. Wir haben jetzt eine besondere Chance, jetzt wo das sozialistische Modell nicht mehr trägt und auch die liberale Vorstellung der zügellosen Märkte zusammengebrochen ist, können wir aus unserem programmatischen Fundus heraus gestalten. Voraussetzung ist, dass alle bei uns die Zeichen der Zeit erkennen.

Bisher hat die CSU sich für Großprojekte eingesetzt: den Transrapid, den Ausbau des Münchner Flughafens. Ist das noch zeitgemäß?

Ob es für die dritte Startbahn am Münchner Flughafen bei den gestiegenen Kerosinpreisen noch einen Bedarf gibt, wird das Planungsverfahren zeigen. Wenn es keinen Bedarf gibt, wird sie nicht gebaut. Man muss das Thema aber unabhängig von der Frage „groß oder klein“ behandeln. Nirgendwo sonst ist der Anteil an erneuerbaren Energien so groß wie in Bayern.

Weil es in Bayern viele Wasserkraftwerke gibt.

Nicht nur deswegen. Bei uns ist auch die Fotovoltaik mehr verbreitet als anderswo in Deutschland. Es wäre falsch, nur auf die Kernenergie zu setzen. Es ist aber auch unrealistisch, jetzt nur auf regenerative Energien zu bauen. Kommuniziert haben wir unsere Bandbreite schlecht. Bei der Stromversorgung denken die meisten bei CSU nur an Kernkraftwerke, obwohl wir uns nie darauf reduziert haben.

Müssten sich dann CSU und Grüne in Bayern nicht eigentlich viel besser verstehen?

Die Grünen sind einseitig fixiert auf ihre Lieblingstechnologien. Im Moment ist eine rationale Debatte über eine vernünftige Energiestrategie mit denen nicht möglich. Die Umweltpolitik haben in Bayern nicht die Grünen erfunden. Wir haben 1970 schon ein Umweltschutzministerium gegründet, da gab es weder die Ökologiebewegung noch die Grünen.

Die CSU hat die Umweltbewegung aber auch stark gemacht, etwa mit dem Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf.

Das ist längst Geschichte. Das ändert nichts an unseren Pionierleistungen im Umweltschutz. INTERVIEW: BERNHARD HÜBNER