In Verzweiflung vereint

THEATER Archaisch und aktuell: das kurdische Gastspiel „Wartende Frauen“ aus dem Irak im Theater im Aufbauhaus (TAK)

Ein Chor kriegsgefangener Kurdinnen steht im Mittelpunkt des Stücks „Wartende Frauen“, das für zwei Aufführungen im Theater im Aufbauhaus Kreuzberg (TAK) zu Gast war. Ein Minarett, das kopfüber vom Himmel hängt, versehen mit zwei Lautsprechern, die so normal bedrohlich scheinen wie bei George Orwell abgeschaut, bildet das Bühnenbild. Die gesamte Szenerie – ein Frauenlager irgendwo in der Wüste, eine archaische, gewaltdominierte, von fanatischen Kriegern beherrschte Welt – wirkt so aus der Zeit gefallen, so althergebracht wie leider auch erschreckend aktuell.

In dem Stück „Wartende Frauen“, inszeniert von Ihsan Othmann, aus Dohok stammender, mittlerweile in Berlin lebender Kurde, scheint die Gegenwart in ein Zeitloch gefallen und irgendwo im fünften Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung wieder gelandet zu sein. Wüste, Wehklagen, vergebliche Gottesanrufungen, eine Tragödie der Geschlechter: Angelehnt ist „Wartende Frauen“ an das antike Stück „Die Troerinnen“, das Euripides zugeschrieben wird. Der Unterschied ist bloß: Es wird Kurdisch gesprochen, kein Altgriechisch. Und die aufgeführte Situation ist wie gesagt erschreckend aktuell.

Entwickelt hat Othmann das Stück in seiner Heimatstadt sowie in Erbil im Norden des Irak. Die Schauspielerinnen, die weit jenseits von Dilettantismus agieren und über das Maifestival in Wiesbaden und trotz vieler bürokratischer Hürden nach Berlin gekommen sind, stammen aus den kurdischen Gebieten nicht nur des Irak, sondern auch aus Syrien, dem Iran und der Türkei. In Berlin feiern sie eine Art Heimspiel, weil das Publikum im Bunker des Aufbauhauses am Moritzplatz zum Großteil kurdischstämmig ist. Was sich hinsichtlich der technisch nicht einwandfreien, leider oft asynchronen Obertitel vermutlich als großer Vorteil für sie und für das Stück selbst entpuppt hat.

Andererseits sind die Sprachprobleme nicht wesentlich; das Entscheidende versteht man auch so. Die Situation im Frauenlager ist mehr als übel. Die Männer der Frauen sind tot. Hingerichtet. Sie spuken allein noch als gefallene Helden durch die Köpfe und Sätze der wehklagenden Frauen. „Ehrbarkeit“ ist ein großes Wort unter ihnen; ihren Männern gegenüber haben sie sich stets ehrbar und gerecht verhalten – jetzt sind sie Sexsklavinnen der Feinde, untereinander vereint in Verzweiflung und Wut, aber nicht ohne gruppeninterne Konflikte.

Schön ist, wie durchchoreografiert das Stück ist. Wie gut aufeinander abgestimmt die Zusammensetzung der Darstellerinnen ist (die Frauen sind alle ungefähr gleich klein). Die Frauen tragen sandfarbene Umhänge und sind zunächst nur durch verschiedenfarbige Scherpen voneinander unterscheidbar. Sie treten oft als Chor auf, in einer Szene tragen sie Masken, und doch sind sie durchaus individuell: Es gibt die Mutter, die Prinzessin, die schöne Blondine und die Blinde, die als Hofnarr mit neurotischem Kratztick noch einmal besonders aus der Menge heraussticht.

Männer tauchen auch auf: Sie blicken böse, beseelt vom Feuer des Hasses. Sie repräsentieren die Mudschaheddin, die Krieger Allahs – auch wenn sich das Stück auf Saddam Husseins „Anfal“, also den Genozid an den Kurden, orientiert und erst in zweiter Linie an die Schrecken des „IS“ (dass der kurdische Befehl zum Säckeholen wie das nazideutsche „Los! Los! Los!“ klingt, ist ein merkwürdiger Nebeneffekt). Ein Spaß ist das Stück natürlich nicht, auf einen Bruch wartet man vergebens, selbst das Wehklagen bleibt an Allah orientiert (gebrochen wird mit dem Gott jedenfalls nicht). Die moderne Welt findet nicht statt, von der postmodernen (auch: Theaterwelt) gar nicht zu reden. Kein Brecht, keine Telenovela, kein Smartphone nirgends. Das Stück bleibt archaisch. Es ist die Schönheit der Frauen, die das Elend erträglich macht. RENÉ HAMANN