Sinti und Roma in der Berichterstattung: Roma, aber glücklich

Es ist schwierig, über Roma zu schreiben. Meist wird das Klischee des singenden, tanzenden Armen kolportiert. Oder es geht um Missstände. Eine Betrachtung.

Eine Frage des Blickwinkels: Roma, seit Jahrhunderten – frei und glücklich? Oder doch eher verarmt, schmutzig, unterprivilegiert? Bild: dpa

BERLIN taz | Als ich neulich Roma-Dörfer in der Ostslowakei besuchen wollte, war mir schon vor Beginn der Reise fast klar, dass es unmöglich sein würde, über Roma in Mitteleuropa zu schreiben. Jetzt, nach meiner Rückkehr, bin ich mir sicher: Es ist unmöglich.

Zum einen ist das Thema wie ein Minenfeld. Es ist höllisch schwierig, Stereotype und Klischees zu umgehen. Zwar wusste ich das schon, bevor ich mit Kristina Magdolenova vom Roma Media Center in Kosice, Slowakei, gesprochen habe. Trotzdem bestätigte sie meinen Verdacht nachdrücklich.

Dass Roma in einem Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit und Verelendung gefangen seien, ist das erste und wirkungsvollste Klischee. Ausländische Journalisten tappen leicht in diese Falle, weil sie explizit nur die notleidenden Roma aufsuchen – sei es in den Plattenbauten in Kosice, in der Gemeinde Shutka in Skopje oder in den Tausenden anderen Armutsvierteln, die es in Mitteleuropa gibt.

Der Stand: Zahlreiche Medien wiederholen nach wie vor alte Stereotype über Menschen, die als „Zigeuner“ stigmatisiert werden. Das Cover der Schweizer Weltwoche zeigte am 5. April 2012 einen kleinen Roma-Jungen, der in der kosovarischen Stadt Gjakova mit einer (Spielzeug-)Pistole in die Kamera zielte, und titelte dazu: „Die Roma kommen: Raubzüge in die Schweiz“. In 2011 strahlte Spiegel TV zwei Berichte über rumänische Flüchtlinge in Berlin-Neukölln aus. Der Titel eines Berichts lautete: „Von Bukarest in den deutschen Sozialstaat: Klein-Rumänien in der Harzerstraße Berlin“.

Die Hetze: Die Rechtspopulisten Pro Berlin reagierten auf den Bericht, indem sie im Januar 2012 einige hundert antiziganistische Flugblätter in Neukölln verteilten.

Die Heimat: Als Anfang Mai 2009 etwa 40 rumänische Roma-Familien im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg übernachteten, forderte Der Tagesspiegel das Land und die Bezirke auf, den „Besetzer-Nomaden“ klarzumachen, wo ihre Heimat liege. (ked)

Wer allerdings über die Not hinausschaut, findet viele integrierte Roma aus der Unter- und Mittelschicht, die es aus dem Getto herausgeschafft haben. Wer schreibt über sie? Niemand. Es wäre schließlich nicht fesselnd genug.

Arme ungebildete Menschen gibt es auch unter Nicht-Romas

Das ist nicht alles: Es gibt eine nicht unerhebliche Anzahl von Slowaken, Rumänen, Ungarn und anderen, die genauso arm sind. Ihre Abitur- und Arbeitslosenraten und ihre Lebensbedingungen unterscheiden sich nicht wesentlich von denen der sehr armen Roma.

Journalisten haben den Auftrag, über die Missstände in Europa zu berichten. Dass viele Roma in extremer Armut leben müssen, ist natürlich ein Missstand. Wer allerdings ausschließlich über die besitzlosen Roma schreibt, erhält die Stereotype aufrecht und vermittelt, dass Roma grundsätzlich notleidend und nicht mehr als „ein Problem“ und hilflose „Opfer“ seien, sagt Magdolenova.

Werden immer wieder die gleichen Armutsgeschichten publiziert, verstärkt das nur das Vorurteil, dass es keine Lösung für die Not der Roma gebe; vielmehr sieht es so aus, als sei sie ein charakteristisches Merkmal ihrer Ethnizität.

Das glänzende Projekt

Einige Journalisten ahnen das, tappen dafür aber in eine andere Falle: das glänzende NGO-Projekt. Sie reißen sich ein Bein aus, damit ihre Roma-Geschichte kein Schreckensszenario wird – wer würde das lesen wollen? – und mildern sie stattdessen mit einer erfreulichen Nachricht über eine lokale oder internationale Initiative: ein Jugendzentrum, ein Computerkurs oder eine Frauen-Kooperative.

Indem der Journalist die enthusiastischen Mitarbeiter des Projekts und einige teilnehmende Roma zitiert, wird die Geschichte natürlich überwältigend positiv. Bisher seien viele dieser Projekte gefloppt, sagt Magdolenova. Tatsächlich führen sie nicht dazu, dass sich die Lebensbedingungen der Roma in irgendeiner Weise verbessern. „Am Ende gibt es viele begeisterte Artikel über Projekte, die niemandem helfen“, sagt sie. Sie erwecken den Eindruck, dass sich das Schicksal der Roma zum Guten wende. Tut es aber nicht.

Selbst funktionierende Projekte sind nur ein Tropfen

Wäre das Gegenteil besser – zu berichten, wie ein Projekt für Roma nach dem anderen scheitert? Kaum. Es würde auch niemand ehrlich zugeben, dass selbst die funktionierenden Projekte nicht mehr sind als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Sie erzeugen ein gutes Gefühl, aber ändern nichts an den Missständen.

Daneben gibt es noch das Bild der glücklichen Roma, die singen und tanzen. Sie sind ein weiteres Klischee, nach dem der Journalist greift, wenn er über etwas Positives berichten möchte. Dieses Bild hat der Serbe Emir Kusturica in Filmen wie „Schwarze Katze, weißer Kater“ vervollkommnet. Das Fazit dieses Klischees ist, dass Roma so oder so glücklich seien, selbst wenn sie unter erbärmlichen Bedingungen leben: So sind die Roma nun mal, als sei es in ihre DNA eingeschrieben.

Es gibt natürlich noch weitere Bereiche, die mit Stereotypen behaftet sind, wie Kriminalität, Hygiene, Familiengröße, Erziehung, Prostitution, Menschenhandel, Arbeitsmigration und Zwangsheirat. Als Journalist kann man einfach nicht alles richtig machen – egal, was man tut. Wer darüber schreibt, verfestigt die Stereotype. Wer es ignoriert, beschönigt die Tatsachen und gibt vor, der Missstand existiere nicht.

Einige Stereotype beinhalten mehr als nur einen Funken Wahrheit. Sie sind aber das Ergebnis von sozialen und historischen Prozessen, nicht Merkmale von Roma als solchen. „Wenn alles auf die ,Ethnizität‘ zurückgeführt wird, wird auch die gesamte Gruppe als schuldig stigmatisiert“, so Magdolenova.

Die gleiche alte Geschichte

Eine weitere wichtige Hürde ist, die Redaktion von der Roma-Geschichte zu überzeugen. Zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus haben wir alle immer wieder die gleichen Artikel über Roma gelesen. „Was ist daran neu?“, würde mich die Redaktion fragen.

Inwiefern hebt sich diese Geschichte über slowakische Roma von denen ab, die ich über Roma in Transsylvanien 1991 oder über ungarische Roma vor zehn Jahren oder tschechische Roma vor ein paar Jahren geschrieben habe? Hat sich die Situation verschlimmert? Sich irgendetwas verändert? Oder ist es nur eine neue Version des Altbekannten? Ich könnte ehrlich sagen, dass es praktisch das Gleiche ist; oder lügen und über einen glücklichen Roma-Musiker oder eine erfreuliche NGO-Geschichte schreiben.

Gibt es eine Lösung? Wenn wir nicht über Roma berichten, verschwindet das Thema – so, wie es die nationalen Machthaber wollen: die besitzlosen Roma in abseits gelegene Slums abschieben und die ganze Sauerei dann so gut es geht ignorieren.

Mitreißende Stories statt soziologischer Abhandlungen

Magdolenova versteht, dass Journalisten eingeschränkt sind, was Zeit und Stil angeht, und dass es ihr Job ist, mitreißende Artikel zu schreiben und keine soziologischen Abhandlungen über die Komplexität und Feinheiten des Themas. Gerade deshalb müsse es Medien von den Minderheiten selbst geben, sagt sie. So wie das im Jahr 2000 gegründete Roma Media Center.

Das ist natürlich keine angemessene Antwort für alle, die sich außerhalb der Slowakei befinden. Aber gibt es eine Antwort? Ich glaube nicht. Leider.

Übersetzung: Kerstin Dembsky

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