Ayurveda in Sri Lanka: Einölen, schwitzen, ausleiten

In Sri Lanka ist die jahrhundertealte Naturmedizin Teil derKultur der Insel. Heute liegt Ayurveda wieder im Trend: bei Einheimischen und Touristen gleichermaßen.

Kolonialvilla Greystones im Hochland Sri Lankas Bild: Greystones-Villa

Jürgen hat es heute Morgen erwischt. Mürrisch und ins sich gekehrt nippt er am heißen Wasser, das wir seit unserer Ankunft literweise trinken. Der dritte Tag nur Suppe. Schon am Morgen. Geschmacklose Reissuppe und das bei Jürgens stattlicher Statur. Da hat er selbst das Rauchen, das er hier aufgeben will, vergessen. Seine Krise ist existenziell. Der bittere Entgiftungstrunk, der bereits morgens um 6 Uhr eingenommen werden muss, hat auch mir den Appetit verschlagen. Der dienstälteste Arzt, Doktor Fernando, hat ihm nach der Pulsanalyse bei unserer Ankunft in Sri Lanka das verschrieben.

Mittlere Preisangaben für den kompletten Kuraufenthalt:

2 Wochen (Doppelzimmer) 1.600 Euro,

3 Wochen (Doppelzimmer) 2.150 Euro

Nandhi Ayurvedic Therapies GmbH (Sri Lanka), Christopherstr. 5, 70178 Stuttgart, Tel.: (07 11) 2 34 81 44,

Fax: (07 11) 2 34 81 45

E-Mail: info@greystones-villa.de

www.greystones-villa.de

Eine ayurvedische Panchakarma-Kur zur Reinigung und Regeneration ist kein reiner Wohlfühlurlaub. Zumindest nicht in Greystone, auch wenn alles in der stilvollen Kolonialvilla im Bergland Sri Lankas auf Entspannung angelegt ist: die täglichen Massagen, der ausgedehnte Garten, die tropische Landschaft mit moderatem Klima, die absolute Ruhe, nur unterbrochen von mit Schießübungen beschäftigten Militärs, die hier ein Ausbildungszentrum haben, oder dem Gebell der Hunde, wenn eine Affenbande durch den Garten turnt. Diyatalawa ist reizarm. Ein gesegneter Ort. Nicht nur aus dem buddhistischen Tempel dringen morgens und abends die Rezitationen, auch der Muezzin ruft fünfmal am Tag zum Lob Allahs, und im Hindu-Tempel wird mit Kampfer, Öl und Blumen um den Segen der Götter gebetet. Nur die christliche Kirche im nahe liegenden Beruwela scheint keine Glocke zu haben. Im Gegensatz zu den ethnischen Konflikten zwischen Tamilen und Singhalesen sind religiöse Unterschiede in Sri Lanka zumindest kein offensichtliches Problem.

In der Greystone Villa gibt es nach drei Tagen zum letzten Mal auch zum Mittagessen Suppe. Grüne Suppe. Die ist gesund. Ich träume von Würstchen, Gorgonzola und löffle lustlos weiter, fest entschlossen, konsequent zu kuren. Deshalb ist unsere Gruppe von neun Deutschen schließlich hier. Zur Vorbeugung oder zur Behandlung von Asthma, Arthritis, zu hohem Blutdruck und Blutzucker oder um das Rauchen aufzuhören, gesünder zu leben. Andrea, Beatrice und Ilse waren schon ein-, zwei- und sogar dreimal hier. Die ayurvedische Entschlackung scheint süchtig zu machen. Irgendwann. „Du wirst die Wirkung schon noch spüren, Wochen später“, verspricht die Ayurveda-erfahrene Ilse.

Diyatalawa ist ein Nest, verschlafen, aber geschäftig: hupende Autos, die schwarze Schwaden hinter sich lassen, ein Laden neben dem anderen, wo sich zwischen Damenbinden und Schulheften irgendwo auch ein Teesieb oder ein Kamm findet, eine Liquor Bar für die hier stationierten Militärs und eine gut organisierte Post mit Internet. Die Kokosnuss am Stand gegenüber wird nach Genuss auf die Straße geworfen. Dort liegt schon viel. Die Umweltverschmutzung auf der wunderschönen tropischen Insel mit Müll und Abgasen tut weh. Die Kühe knabbern wegen der Trockenheit an Papier, das zuvor mit einem riesigen Strohbesen ordentlich zusammengekehrt und dann hinter das Haus unter die Palmen geworfen wurde. Der Wind hat es wieder auf die Straße geweht.

Ayurveda liegt nicht nur im Westen im Trend, sondern auch auf Sri Lanka. „Man traut der einheimischen Medizin wieder mehr zu“, sagt die Ärztin von Greystone und Leiterin des örtlichen Ayurveda-Krankenhauses, Dr. Kumari. Das „Wissen vom Leben“, die einheimische Naturmedizin, wurde von den Engländern, die die Insel von 1818 bis 1948 regierten, misstrauisch beäugt. Die westliche Medizin setzte sich mit ihren Apparaten und schnell wirkenden Mitteln ohnehin durch. Sie war effektiv und modern. Nach der Unabhängigkeit wurde im Zuge der Nationalisierung auch der Ayurveda wieder entdeckt. Heute hat fast jede Stadt, jeder Bezirk ein - wenn auch ärmliches - Ayurveda-Krankenhaus. Ayurveda steht unter staatlicher Obhut und wird vom Ayurveda-Ministerium gefördert. Dort hofft man, ayurvedische Heilmittel zum Exportschlager machen zu können. Denn Sri Lanka ist ein tropischer Kräutergarten.

Doktor Kumari zeigt mir das Ayurveda-Krankenhaus in Diyatalawa. Krankenschwestern mit weißen Häubchen und weißen Socken erinnern leibhaftig an die englische Kolonialzeit. In kleinen Kabinen wird verbunden und Medizin verschrieben. Acht Frauen liegen in einem kargen Krankensaal nebeneinander. Doktor Kumari möchte die Klinik ausbauen, um auch hier Kuren wie in Greystone für Einheimische anzubieten. Doch überall fehlt es an Geld. In der Klinik werden Rheuma oder Arthritis, Leber- und Galleleiden kuriert. Wenn es nicht mehr weitergeht, überweist man an westliche Mediziner. „Die betrachten den Ayurveda immer noch mit Skepsis“, sagt Dr. Kumari.

Die meisten Medikamente werden im Hospital in der eigenen Apotheke zubereitet. Dr. Kumari präsentiert sie stolz: Berge unterschiedlichster Kräuter liegen in hohen Regalen, große Kupferkessel stehen auf offenen Feuern, mit riesigen Holzstößeln werden Kräuter klein geklopft, in bauchigen Tontöpfen lagern Tinkturen. Mineralien, Wurzelpasten, gemahlene Blätter, zerstoßene Samen. Das Handwerkszeug ist so alt wie die Methoden der Herstellung. Die Anblick mutet mittelalterlich an. „Die Apotheke und die Zubereitung der Medizin sind ein wichtiger Bereich der Klinik“, erklärt Dr. Kumari. „Auch wenn heute bestimmte Medikamente aus den großen staatlichen Ayurveda-Drugstores bezogen werden.“ Auch in Peace Heaven, dem Therapiezentrum der Greystone Villa, wird geköchelt und gestampft: Pillen, Pasten, Tinkturen, Tabletten, Abkochungen und Elixiere sind Teil der Kur. Hier werden die Öle speziell auf den Patienten abgestimmt und mit einer individuell verordneten Kräutermischung zubereitet. Hier wird die gallige Entgiftungstinktur täglich neu gebraut. Nach drei Tagen Kopfmassage bekomme ich am vierten Tag zum ersten Mal den berühmten Stirnguss, Schirodhara, der sich auf Hochglanzmagazinen so gut macht. Heißes Öl rinnt 40 Minuten über die Stirn. Tiefe Entspannung. Wundervoller Schirodhara! „Solange der Kopf behandelt wird, dürfen die Haare nicht gewaschen werden“, weist mich die Therapeutin Nelka an und versteckt die fettigen Haare unter einem Tuch. Der Kopf juckt. Und meine Öl-Kräuter-Mischung riecht muffig. Sie schmeichelt nicht den Sinnen. Noch drei weitere Tage bekomme ich den Stirnguss.

„Der heiße Stirnguss mit Öl, gepaart mit den Kopfmassagen, dient dazu, das zentrale Nervensystem zu beruhigen und Störung wie Nervosität oder Migräne auszugleichen“, erklärt Danyela, die Hausdame von Greystone, im medizinischen Vortrag am Abend. In der Greystone Villa wird mit deutscher Gründlichkeit und Ernsthaftigkeit gearbeitet. Hier wird in der Vorbehandlung gehungert. In der Hauptbehandlung, die „zur Reinigung von Körper, Geist und Gefühlen“ dient, wird mit viel oder wenig Öl gearbeitet. Nach sieben Tagen Kopfmassagen und Stirnguss bekomme ich drei Tage lang Pizzhichil, eine bis zu vierzig Minuten dauernde, von zwei Masseurinnen synchron durchgeführte Ölmassage unter einem warmen Ölstrahl. Die Massage strengt an, macht mich müde. Vielleicht liegt es ja an den Suppentagen. „Bitte nicht duschen, damit das Öl eindringt“, so die Empfehlung meiner Therapeutin Nelka. Beim Essen und Wasserverbrauch sind wir wirklich sparsam!

Nach der Behandlung mit viel Öl folgen drei Tage Massagen mit weniger Öl, die tief ins Gewebe gehen. Die Massagen sind wohl tuend, doch mit dem etwas muffig riechenden Öl auf der Haut fühle ich mich nicht unbedingt wie eine Göttin. Schon eher im anschließenden Kräuterbad mit Blüten und Blättern. Nelka begießt mich kneippartig mit dem grünlichen Wasser.

Kopfmassagen und Ölgüsse gehören zum Programm Bild: Greystones-Villa

In aller Stille soll die Panchakarma-Kur die aus dem Gleichgewicht geraten Doschas - Vata, Pitta, Kapha - wieder ins Gleichgewicht bringen. Die Doschas sind die Bioenergie, die je nach Konstitutionstypen verschieden stark ausgeprägt ist. Mit Kräutern, warmen Ölen und Massagen sollen Krankheitsstoffe aus den Geweben gelöst und in den Darm abtransportiert werden. Dort werden sie dann oral mit einer Lösung und mit Einläufen abgeführt. Einölen, schwitzen ausleiten - das ist die Zauberformel, die zu Wohlbefinden und Gesundheit führen soll. Und zwar nach einer bestimmten Systematik: Alles Gewebe, von Kopf bis Fuß, wird bearbeitet. Neuralgische Punkte werden speziell behandelt. Ich bekomme eine tägliche Gesichtsmassage und Kräuterpackungen zur Behandlung meiner chronisch verstopften Nebenhöhlen. Mit Erfolg.

Ayurveda, das Wissen vom Leben, kommt aus Indien. Die vedischen Schriften sind in Sanskrit geschrieben. Auf Sri Lanka ist es so alt wie der Buddhismus. In den buddhistischen Klöstern wird es weitergeben. Viele ayurvedischen Ärzte stammen bis heute aus einer Ayurveda-Dynastie, in der sich das Wissen auf die Kinder vererbt. Auch Dr. Kumari. Ihr Vater und Großvater waren schon Ayurveda-Ärzte. Doch die Ausbildung auf Sri Lanka ist längst professionalisiert. Sechs Jahre dauert das Studium des Ayurveda an der Universität von Colombo.

Zum Ayurveda-Arzt gehen die Sri Lankesen dann, wenn eine Krankheit chronisch oder schwer zu heilen ist. Ansonsten, sagt Ravi, Kräuterexperte, Gärtner und Mädchen für alles in Greystone, gehe seine Familie häufig zum westlichen Mediziner: „Das geht schneller.“ Doch die traditionelle Naturmedizin wird geschätzt: „Der Ayurveda ist mehr als Medizin, er ist eine Lebensweise, und dazu gehört gesundes Essen genauso wie Meditation oder Yoga“, doziert Dr. Kumari. Auf Sri Lanka ist das Teil der Kultur, keine Ideologie.

Die letzten drei Tage nach 14 Tagen Kur in der Greystone Villa dienen der körperlichen Reinigung. Nach einem etwas üppigeren Abendmahl nehmen wir eine abführende, scheußliche Öllösung. Die Erfolgsmeldungen am nächsten Tag sind reichlich: Jürgen war schon fünfmal, ich andauernd und Ilse belegt die Toilette bis in den Abend hinein. Jeder von uns hat abgenommen. Zwei bis sechs Kilo, ich drei. Auch Jürgen ist längst wieder zufrieden. Am nächsten Tag gibt es noch die letzte Einlaufölung, die recht harmlos ist.

Bei der abschließenden Arztkonsultation bekommen wir Verhaltens- und Ernährungstipps für drei Monate Nachkur und unseren Konstitutionstyp mit auf den Weg: kein Kaffee, keine Schokolade, kein Kohl, kein Obst am Abend, lieber Käse von der Ziege als von der Kuh. Nicht joggen. Auch kein Sex.

Warum? Das beantwortet keiner. Es ist eben das alte Wissen vom Leben.

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