Kommentar Ungarn: Roter Teppich für Rechtsextreme

Das Klima zwischen Ungarns Parteien ist nachhaltig vergiftet. Davon profitiert vor allem die extreme Rechte. Die Krise in Ungarn wird auch ein Expertenkabinett nicht bewältigen.

Was tut ein Regierungschef, wenn er merkt, seine Partei verliert Tag für Tag an Terrain und in einem Jahr sind bereits die nächsten Wahlen? Ungarns glückloser Premier Ferenc Gyurcsány versucht die Talfahrt seiner sozialdemokratischen MSZP zu stoppen, indem er sich selbst aus dem Spiel nimmt. An seiner Stelle soll nun ein vom Parlament eingesetztes Expertenkabinett die so unvermeidlichen wie unpopulären Wirtschafts- und Sozialreformen verantworten. Der Vorteil wäre, dass diese vorübergehende Expertenregierung eine Mehrheit im Parlament hinter sich versammeln könnte. Dennoch ist das ein gewagtes Spiel. Denn: Wer könnte sicherstellen, dass die Opposition tatsächlich nachhaltige Politik und nicht einfach nur Wahlkampf betreibt, um sich ihre Gewinnchancen nicht zu verbauen?

Die Fortsetzung der wirtschaftlichen Talfahrt ist also vorprogrammiert. Gyurcsánys Krisenplan würde nämlich einen patriotischen Schulterschluss erfordern. Der aber ist bei der extremen politischen Polarisierung nicht zu erwarten. Zudem hat auch Viktor Orbán von der rechtspopulistischen Bürgerpartei Fidesz keine alternativen Wirtschaftsrezepte. Und das Klima zwischen den politischen Parteien ist nachhaltig vergiftet.

Von dieser Gemengelage profitiert vor allem die extreme Rechte, deren paramilitärische Formationen, wie die "Ungarische Garde", besorgniserregenden Zulauf bekommen. Erst letzte Woche wurden 650 neue Mitglieder vereidigt. Orbán grenzt sich von rechten Randalierern nur halbherzig ab. Ihm kann es nur recht sein kann, wenn der Regierung auf der Straße eingeheizt wird. Und Gyurcsány schreckt vor einem Verbot der Extremisten zurück, weil sie auch ihm nützlich sind. Schließlich lenken die Krawalle immer wieder von der Wirtschaftsmisere ab, die er und seine Partei größtenteils zu verantworten haben.

Egal ob das Expertenkabinett zustande kommt und scheitert oder ob gleich Neuwahlen angesetzt werden: Dem Ansehen der politischen Parteien und der Demokratie wird die vorhersehbare Entwicklung kaum nützen. Das Tor für Populisten, die programmatisches Vakuum mit nationalistischen Sprüchen füllen, ist weit geöffnet. RALF LEONHARD

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*1955 in Wien; † 21. Mai 2023, taz-Korrespondent für Österreich und Ungarn. Daneben freier Autor für Radio und Print. Im früheren Leben (1985-1996) taz-Korrespondent in Zentralamerika mit Einzugsgebiet von Mexiko über die Karibik bis Kolumbien und Peru. Nach Lateinamerika reiste er regelmäßig. Vom Tsunami 2004 bis zum Ende des Bürgerkriegs war er auch immer wieder in Sri Lanka. Tutor für Nicaragua am Schulungszentrum der GIZ in Bad Honnef. Autor von Studien und Projektevaluierungen in Lateinamerika und Afrika. Gelernter Jurist und Absolvent der Diplomatischen Akademie in Wien.

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