Kunst im digitalen Remix

Wenn man will, kann man mit der Schau „Panoramafreiheit“ von Oliver Laric im Schinkel Pavillon mal wieder über das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit diskutieren. Man muss aber nicht

Blick in die Schau „Panoramafreiheit“ von Oliver Laric im Schinkel Pavillon Foto: Andrea Rossetti

Von Tilman Baumgärtel

Die „Panoramafreiheit“ – was für ein tolles Wort – ist die Freiheit eines jeden, im öffentlichen Raum Bilder zu machen. Auch wenn er dabei Dinge aufnimmt, die eigentlich urheberrechtlich geschützt sind: Architektur, Kunst am Bau, Plakate oder Kunst im öffentlichen Raum.

2015 schlug der Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments vor, die Panoramafreiheit auf die nichtgewerbliche Nutzung zu beschränken; gewerbliche Nutzer sollten sich nicht mehr auf eine Ausnahmevorschrift berufen können. Postkartenverleger hätten dann zahlen müssen, wenn sie urheberrechtlich geschützte Motive wie das Hundertwasser-Haus in Wien auf ihren Karten gezeigt hätten.

Das Europäische Parlament lehnte diese Einschränkung zwar ab. Doch 2016 verbot das höchste schwedische Gericht dann wieder der schwedischen Wikipedia die Veröffentlichung von Fotos von Kunstwerken im öffentlichen Raum, wenn nicht zuvor die Rechte mit den Urhebern geklärt wurden.

Daher bezieht sich der Titel der Ausstellung des österreichischen Künstlers Oliver Laric, die zur Zeit im Schinkel Pavillon zu sehen ist, durchaus auf ein brisantes, aktuelles Thema. Schon fast ein Jahrzehnt arbeitet sich der Innsbrucker, der in Berlin lebt, an den Widersprüchen ab, die entstehen, wenn künstlerische Originale digitalisiert und damit universal teilbar werden.

Zuletzt hat er Werke aus der Albertina oder dem Kunsthistorischen Museum in Wien, dem Musée Guimet in Paris oder dem Museo Archeologico Nazionale in Florenz entweder selbst abgescannt oder die sowieso schon vorliegenden 3D-Scans genutzt, um daraus mit dem 3D-Drucker eigene Werke zu schaffen.

Zum Teil entstanden so Arbeiten, die im Grunde Reproduktionen waren, wie sie die Königliche Porzellan-Manufaktur Berlin (KPM) bereits seit Jahrzehnten vertreibt, und in anderen Fällen wilde Kombinationen aus verschiedenen Versatzstücken – ähnlich dem, was man in der digitalen Kultur um die Jahrtausendwende „Mash-up“ genannt hatte, hier allerdings mit Hilfe des 3D-Druckers aus dem Niemandsland des Digitalen ins Physische übertragen.

In der aktuellen Berliner Ausstellung gehört dazu zum Beispiel eine durch den Wolf gedrehte Version von Max Klingers Monumentalskulptur „Beethoven“ aus dem Museum der Bildenden Künste in Leipzig, ein „Hermanubis“ und die Figurengruppe „Pan mit Bären“.

Alle drei sind offensichtlich aus mehreren Teilen zusammengesetzt, und diese Teile bestehen aus unterschiedlichen Materialien.

Sie mögen auf den ersten, flüchtigen Blick aussehen wie „richtige“ Skulpturen, die halt zur Abwechslung mal aus Kunststoff sind. Aber bei genauerer Betrachtung beginnt man schon, sich zu fragen, wie der Hundekopf auf den Torso kommt, der eher an einen römischen Senator erinnert. Woher die Fragmente nun genau kommen – darüber schweigt sich die Ausstellung pfiffig aus.

Die Thematik betrifft dabei auch den Ort, an dem die Ausstellung zu sehen ist. Der Schinkel Pavillon ist ein Werk des DDR-Architekten Richard Paulick, der 1969 im Park des Kronprinzenpalais ein rundum verglastes, oktogonales Gebäude errichtete, das Elemente aus Klassizismus und Moderne kombiniert. Und das zu DDR-Zeiten als Ort für Cocktailpartys der SED-Parteielite diente.

Bekannter als für diesen Bau ist Paulick allerdings als derjenige, der im Sozialismus am Wiederaufbau des historischen Berlins und Dresdens beteiligt war. Sein Opus Magnum war die Rekonstruktion der Staatsoper Unter den Linden, die nur einen Steinwurf vom Ausstellungsort entfernt ist. Der Schinkel Pavillon ist also das Werk eines Kopisten, in dem nun Werke eines anderen Kopisten zu sehen sind.

Der eine tat’s aus sozialistischer Staatsräson. Der andere tut’s, um im digitalen Zeitalter Fragen zu stellen nach Urheberrecht, geistigem Eigentum und der künstlerischen Freiheit, als Künstler keine genuinen Originalwerke zu schaffen. Man kann diese Fragen aber auch leicht vergessen, wenn man vor den drei gezeigten Skulpturen steht.

Hier geht es nicht mehr um Fragen aus dem digitalen, vernetzten Alltag von heute – etwa darum, dass bei YouTube urheberrechtlich geschütztes Material fröhlich gesampelt und umgewidmet wird oder dass Spotify die Künstler nicht ausreichend bezahlt, deren Werke der Internetkonzern streamt. Hier geht es um rein kunsttheoretische Fragen nach dem Status des Originals und um die Materialität des ausgestellten Werks.

Das eröffnet möglicherweise interessante Diskussionsfelder, etwa nach dem künstlerischen Status der Kunststoffe – welche das sind, erfährt man in der Ausstellung leider auch nicht –, aus denen diese Werke geformt wurden.

Es ist auch irgendwie in­struktiv, durch die transparenten Teile der Plastiken und die Paulick-Fenster auf die gehirntote Investorenarchitektur zu gucken, die Senatsbaudirektorin Regula Lüscher um den Schinkel Pavillon hochwachsen lässt. Die ungelenken Schleifspuren des 3D-Druckers machen klar, warum das digital remixte und wieder ausgedruckte Werk dem Original dann doch unterlegen ist – handwerklich, aber letztlich auch geistig.

Aber vor allem drängt sich der Eindruck auf, dass man einem hier zum xten Mal eine Debatte über das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit aufzwingen will. Von der aber soll an dieser Stelle doch lieber mal abgesehen werden.

Oliver Laric: „Panorama­freiheit“, Schinkel Pavillon, Oberwallstr. 1, Do–So 12–18 Uhr, bis 28. Januar