Nach fünf Tagen greift endlich Präsident Obama die Wut auf

USA Der Tod des jungen Afroamerikaners Michael Brown in Ferguson, einer Vorstadt von St. Louis, durch eine Polizeikugel bringt die ganze Woche lang empörte Menschen auf die Straße. Jetzt nimmt die Politik Notiz und schickt als Erstes die Ortspolizei nach Hause

70 Prozent der Bevölkerung sind Afroamerikaner, aber nur 3 von 53 Polizeibeamten

NEW YORK taz | Am fünften Abend nach dem gewaltsamen Tod von Michael Brown erlebt Ferguson seine friedlichste Demonstration. 300 Menschen ziehen am frühen Donnerstagabend durch die Kleinstadt in Missouri. Wie zuvor skandieren sie: „No justice – no peace“. Und wie zuvor verlangen sie Aufklärung über die tödlichen Polizeischüsse auf den unbewaffneten 18-jährigen Teenager am Samstagnachmittag vor einer Woche.

Doch an diesem Donnerstag ist im Hintergrund ein Trommler zu hören. Autofahrer hupen, um ihre Unterstützung zu zeigen. Gut gelaunte Bürgerrechtler regeln den Verkehr. Die Polizisten, die Ferguson tagelang von Panzerfahrzeugen aus in Schach gehalten haben, sind verschwunden. An ihrer Stelle stehen jetzt unmaskierte Verkehrspolizisten (Highway Patrol) am Rand der Demonstration. Ihr Chef Ronald Johnson ist ein Afroamerikaner, der im Ort aufgewachsen ist. Er spricht mit den Demonstranten, statt auf sie zu schießen. Ferguson versucht die Rückkehr in das zivile Leben.

Das Signal dazu kommt von der Ostküste. Als Erstes fordert dort ein alter Mann, der seit der Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre eine moralische Autorität ist, den US-Präsidenten eindringlich auf, einzugreifen. „Ferguson ist in Amerika“, sagt der Kongressabgeordnete John Lewis, „die Menschen dort haben ein Recht, zu demonstrieren.“ Er verlangt, dass Obama sie dabei unterstützt: „notfalls mit der Entsendung der Nationalgarde“.

Am Donnerstagnachmittag nimmt Obama die Krise in die Hand. Bei einer Pressekonferenz an seinem Urlaubsort Martha’s Vineyard sagt er über Michael Brown: „Wir haben einen jungen Mann verloren.“ Das verlange „offene und transparente“ Aufklärung. Weder für „exzessive Gewalt“ der Polizei noch für Plünderungen und Angriffe gegen Ordnungshüter gebe es eine Entschuldigung. In einem deutlichen Appell an die Verantwortlichen in Missouri sagt der Präsident: „Wir müssen uns alle an hohe Standards halten, insbesondere jene unter uns, die Machtpositionen innehaben.“

Am selben Tag spricht der US-Präsident mit Missouris Gouverneur. Der Demokrat Jay Nixon, der auf das Ende seiner zweiten und letzten Amtszeit in dem erzkonservativen Bundesstaat zugeht, nimmt zunächst an einer Gedenkveranstaltung für Michael Brown in einer afroamerikanischen Kirche in Florissant teil. Dann verkündet er die wichtigste Entscheidung des Tages: Er ersetzt die örtliche Polizei durch jene des Bundesstaates – eben den Highway Patrol.

Für die 21.000 Einwohner von Ferguson am Rand der Millionenstadt St. Louis ist die offiziell vor fünfzig Jahren abgeschaffte Segregation bis heute Alltag: 70 Prozent der Bevölkerung sind Afroamerikaner, aber die örtlichen Würdenträger sind ganz überwiegend weiß. Nur 3 von 53 Polizeibeamten sind afroamerikanisch. In den zurückliegenden Tagen ist diese örtliche Polizei in Kampfuniformen auf Panzerwagen in den Ort gefahren, hat mit Tränengas, Gummigeschossen und anderen Kalibern auf Demonstranten und Plünderer geschossen und Dutzende von Menschen festgenommen. Darunter auch zwei Journalisten, die für die Washington Post und die Huffington Post arbeiten. Die Polizei beschoss auch ein Filmteam von al-Dschasira mit Tränengas.

Schutz hingegen bietet die Polizei dem Todesschützen: Der örtliche Polizeichef Thomas Jackson hält dessen Namen geheim. Er gibt auch nicht bekannt, wie viele Kugeln den Teenager Michael Brown getroffen haben. Das sei zum Schutz des Kollegen nötig, sagt er. In der Version der Polizei hat Michael Brown versucht, dem Polizisten die Dienstwaffe zu entwenden. Augenzeugen bestreiten das.

Ferguson ist einer von Hunderten Orten, deren Polizei gratis vom Pentagon mit überschüssigem Kriegsgerät aufgerüstet wird, darunter minenfeste Panzerwagen und Granatwerfer. Insgesamt hat das Pentagon seit 1997 durch das „Programm 1033“ Kriegswaffen im Wert von 4,3 Milliarden Dollar der Polizei untergejubelt, 450 Millionen davon im vergangenen Jahr. Ursprünglich wurde das mit dem „Krieg gegen die Drogen“ begründet, nach den Attentaten vom 11. September bekam es eine zusätzliche Aufwertung. Aber Bürgerrechtsgruppen wie die ACLU kritisieren schon lange, dass die schweren Waffen auch eine Veränderung der Polizeimentalität bewirkten. „Sie betrachten die Gemeinden, die sie schützen sollen, als Feinde“, sagt Kara Dansky von der ACLU. DOROTHEA HAHN