Piraten setzen alles auf eine Karte

PARLAMENT Die Fraktion will, dass Flüchtlinge eine Krankenversicherungskarte wie Deutsche bekommen, und bringen dafür heute den Antrag ein. Sogar die SPD ist dafür

„Parteipolitisches Gezänk“ fehl am Platze

THOMAS ISENBERG, GESUNDHEITSPOLITISCHER SPRECHER, SPD-FRAKTION

VON SUSANNE MEMARNIA

Die Piraten treiben Rot-Schwarz vor sich her: Am heutigen Donnerstag bringt die Fraktion einen Antrag ins Abgeordnetenhaus ein, der die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen drastisch verbessern soll. Damit stößt die Oppositionspartei bei Teilen der Koalition grundsätzlich auf Zustimmung: „Der Antrag zeigt, dass die Piraten manchmal auch gute Arbeit machen“, sagte Thomas Isenberg, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, am Mittwoch der taz. Man werde im Sozialausschuss über das Thema intensiv diskutieren, „parteipolitisches Gezänk“ sei hier fehl am Platze.

Der Vorschlag der Piraten zielt darauf, dass Asylbewerber und geduldete Flüchtlinge eine Krankenversicherungskarte bekommen und damit „de facto den gleichen Behandlungsumfang wie gesetzlich Versicherte erhalten“, wie es im Gesetzesentwurf der Piraten heißt. Bislang ist es in Berlin wie in den meisten Bundesländern so, dass Flüchtlinge nur im Notfall oder bei Schmerzen eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen dürfen. Das führt etwa dazu, dass Karies erst behandelt wird, wenn der Zahn völlig verfault ist. „Am Ende kostet das viel mehr“, sagt der flüchtlingspolitische Sprecher der Piratenfraktion, Fabio Reinhardt. „Das Prinzip der Vorsorge basiert ja auf der Annahme, das es der ganzen Gesellschaft Folgekosten in größerem Umfang erspart. Aber für Flüchtlinge gibt es keine Vorsorge“, kritisiert er. Dies sei „menschenverachtend, denn es spielt mit der Gesundheit der Menschen“. Außerdem fuße es auf der irrigen Annahme, dass sie das Land bald wieder verlassen und sich anderswo behandeln lassen. „Aber viele bleiben über Jahre hier, vielleicht sogar für immer.“

Hinzu kommt: Kranke Flüchtlinge müssen derzeit lange Wartezeiten beim völlig überlasteten Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Kauf nehmen, wo sie sich vor dem Arztbesuch einen Krankenschein abholen müssen. Jede Behandlung, die über Schmerz- und Notfallbehandlung hinausgeht, müssen sie überdies vom Amtsarzt genehmigen lassen – ein bürokratischer Hürdenlauf.

Der Flüchtlingsrat fordert daher schon seit Jahren Gesundheitschipkarten für Flüchtlinge: „Es gibt keine vernünftigen Argumente dagegen“, sagt Mitarbeiter Georg Classen: „Es ist für alle Beteiligten weniger bürokratisch und menschenwürdig.“

Classen wie auch die Piraten in ihrem Antrag verweisen auf das Vorbild von Bremen und Hamburg. Im Bremen, erklärt Classen, seien bei den Versicherungskarten für Flüchtlinge „nur ganz wenige Leistungen ausgeschlossen“. Zwar müssten die Patienten einige Leistungen, wie etwa Zahnersatz, genehmigen lassen, „aber das müssen gesetzlich versicherte Deutsche auch“.

Auch die SPD hat die Dringlichkeit erkannt: „Der Zugang zur Gesundheitsversorgung muss verbessert werden, zum Beispiel durch die Ausgabe einer Krankenversicherungs-Chipkarte (vgl. Bremer Modell)“, heißt es in einer Resolution zum Thema Flüchtlinge, die die Fraktion auf ihrer Klausur in Leipzig beschlossen hat. Dies könne durchaus auf Landesebene geschehen, erklärt Isenberg. Im zweiten Schritt müsse bundeseinheitlich geregelt werden, „dass gleiche Leistungen für Flüchtlinge und Deutsche möglich sind“.

Allerdings habe Berlin bislang eine entsprechende Novelle des Asylbewerberleistungsgesetzes blockiert, kritisieren Flüchtlingsrat und Piraten. „Der Senat sagt zwar immer, er wolle die Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen verbessern, stimmt aber im Bundesrat einem Gesetz zu, dass die Ungleichbehandlung weiter zementiert“, so Reinhardt.

Tatsächlich sagte Sozialsenator Mario Czaja (CDU) vor Kurzem im Abgeordnetenhaus, Gesundheitschipkarten für Flüchtlinge seien denkbar – aber nur, wenn die bisherigen Verwaltungskosten von fünf Prozent nicht überschritten würden. Unter dieser Voraussetzung sei man sehr für eine bundeseinheitliche Regelung, erklärt die Sprecherin des Lageso auf taz-Anfrage. Aber: „Die Verwaltungskosten des Chipkartenverfahrens in Hamburg und Bremen sind höher bemessen.“ Der Flüchtlingsrat bestreitet das. Classen: „Unterm Strich rechnet sich das.“