Querschläger im Mainstream

RARITÄT „Cover Girls“ von José Bénazéraf bietet statt konventionellem Erzählkino eine freiformatige, strukturell dem Jazz verwandte Reflexion über Macht, Kunst und Sinnlichkeit

Gelegentlich unternimmt Bénazérafs Film Ausflüge ins Surreale

VON LUKAS FOERSTER

Dass José Bénazéraf, ein französischer Filmemacher, der den Großteil seiner Karriere in den schmuddeligeren Ecken der Filmindustrie zugebracht hat, der „Godard des Pornos“ gewesen sei, wird meist nur so dahingesagt, um das Sonderbare, Widerständige an seinen Filmen gleich wieder wegzuerklären, mithilfe des Verweises auf einen Kanonregisseur. Seinen zweiten Film, „Cover Girls“, aus dem Jahr 1964 allerdings kann man tatsächlich als eine Art Antwort auf Godards ein Jahr zuvor entstandenen Film „Die Verachtung“ sehen. Da meinte ein von Fritz Lang verkörperter fiktionaler Filmregisseur: „Cinemascope ist nur dazu gut, Schlangen und Särge zu filmen.“

Bei Bénazéraf antwortet Faschetti, ein weiterer fiktionaler Filmemacher, während er seine Muse, die Schauspielerin Carlotta, durch ein Breitbild-Aquarium hindurch anblickt: „Dafür ist die Cinemascope-Leinwand gemacht!“ Carlotta wird von Giorgia Moll gespielt – die auch in einer Nebenrolle in „Die Verachtung“ zu sehen gewesen war.

Natürlich war diese Wendung schon in Godards Film angelegt, wo sich Brigitte Bardot nackt auf der Leinwand breitgemacht hatte. Doch wo es der Nouvelle-Vague-Starregisseur bei einer sexistischen Pointe bewenden ließ, interessiert sich Bénazéraf ernsthaft dafür, wie sich das Blickregime Kino zu seinen Schauwerten verhält. Faschetti hat direkt neben seinem Bett eine Kontrollmechanik installiert, mit deren Hilfe er seinen Star hinter dem Aquarium inszenieren kann.

Das ist ein wundervolles Bild für die Begehrensstruktur des Kinos, in dem die Starkörper wieder und wieder drapiert, freigestellt, angestarrt, aber doch nie eigentlich besessen werden können. Freilich wechselt Bénazérafs Film auch auf die andere Seite des Aquariums und zeigt Carlottas Versuche, sich ihr eigenes Bild wieder anzueignen.

„Cover Girls“ war Bénazérafs einziger ernsthafter Versuch, im Mainstream Fuß zu fassen: einigermaßen bekannte Akteure, ein ordentliches Budget, edles Produktionsdesign. Gleichzeitig zeigt der Film, dass den Regisseur vom respektablen Qualitätskino mehr ferngehalten hat als nur seine erotomane Ader: Bénazéraf hat nicht das geringste Interesse daran, die edlen Zutaten zu einer konventionell erzählten Geschichte zusammenzusetzen.

Die Szenen mit Faschetti und Carlotta bilden nur eine von mehreren Episoden, alle drehen sie sich um künstlerisches Schaffen und den weiblichen Körper: Mal geht es um ein Model, das sich in ihrer Beziehung mit einem Modefotografen immer weniger wohlfühlt, mal um einen asketisch lebenden Bildhauer, der von seiner Muse ebenfalls Selbstverzicht verlangt – sie flüchtet verzweifelt, in einer der faszinierendsten Szenen des Films, unter einen Wasserfall. Die Stränge laufen entspannt und meist ohne offensichtliche Verbindungen nebeneinander her, gelegentlich unternimmt der Film Ausflüge ins Surreale oder suggeriert, dass alles nur Film im Film beziehungsweise Tagtraum eines sich lasziv ans Treppengeländer schmiegenden Mädchens gewesen sein könnte.

Im Kern ist „Cover Girls“ kein Erzählkino, eher eine freiformatige, strukturell dem Jazz verwandte Reflexion über Macht, Kunst und Sinnlichkeit – die ein paar besonders schöne Minuten lang auch einen Abstecher in das Westberlin der 1960er unternimmt. In die Berliner Gegenwart holt ihn die Filmreihe Nachtschicht, die im Kino Babylon Mitte Monat für Monat eben solchen Grenzgängern des Kinos nachspürt.

(Wieder-)Entdecken kann man da, stets in historischen 35-mm-Zelluloidkopien, die „Sumpfblüten“ (Dominik Graf) der Filmgeschichte: rabiate Exploitationkunst, poetische Bahnhofskinoeskapaden, oder, wie im Fall von „Cover Girls“, Querschläger im Mainstream. Allesamt Filme, die aus der Perspektive der kanonisierenden Filmgeschichtsschreibung als bloßer und ein wenig illegitimer Überhang erscheinen müssen; dabei zeigt die Nachtschicht, dass es viel interessanter ist, sich die Filmgeschichte genau von diesem Überhang her zu erschließen.

■ „Cover Girls“: Babylon Mitte, Rosenthaler Str. 30, 1. 2., 22 Uhr, mit Vorfilm