Unterdrückte Pressefreiheit in der Türkei: Presse? Auf sie mit Gebrüll!

Gewalt auf der Straße, Hausdurchsuchungen, innere Zensur – drei Journalisten erzählen, wie die Regierung Erdogan die Pressefreiheit unterdrückt.

Istanbul vorige Woche: Ein türkischer Fotograf kümmert sich um einen Kollegen, der von einem Plastikgeschoss verletzt wurde. Bild: ap

ISTANBUL taz | Am Samstag hatte Onur Erem Glück. Der Reporter der linken Tageszeitung Birgün war zwar auf der Straße, um von den Protesten zu berichten. Aber mehr als die obligatorische Dosis Reizgas hat er dieses Mal nicht abbekommen. Andere Journalisten kamen nicht so glimpflich davon; mehrere wurden durch Plastikgeschosse, Tränengaspatronen und Polizeiknüppel verletzt. Das sprechende Bild des Abends: der mit „Presse“ beschriftete und in zwei Hälften zerknüppelte Helm des Reporters Ali Basboga vom Fernsehsender Hayat TV.

Verletzt wurde auch Edda Sönmez von der rechtskemalistischen Tageszeitung Sözcü. Eine Plastikkugel traf sie am Knöchel. Auf Twitter schreibt sie: „Ein Polizist schoss auf uns. Wir hatten Kameras, riefen ’Presse‘. Darauf drehte er sich um und schoss noch einmal.“

Zerschlagener Helm des Reporters Ali Basboga mit der Aufschrift „Presse“. Bild: Hayat TV

Ähnliches hat Onur Erem eine Woche zuvor erlebt, als ihm ein Polizist mit voller Wucht auf den Rücken knüppelte. Er hatte sich zusammen mit einem Fotografen in in einer Seitengasse nahe des Taksimplatzes in einem Hauseingang vor der vorrückenden Polizei versteckt. „Ich hatte ein Presseschild um den Hals“, erzählt der 25-Jährige, dem die Aufregung noch anzumerken ist. „Aber ich habe inzwischen den Eindruck, dass sich die Polizei vom Hinweis auf die Presse nicht abhalten lässt, sondern dies als Einladung zum Zuschlagen auffasst.“

Diese Situation hat Erem mit einer an seinem Helm befestigten Kamera aufgenommen. Der hinterrücks erfolgte Schlag ist auf dem Video jedoch nicht zu sehen. Falls Erem Aufnahmen davon auffinden kann, möchte er Strafanzeige erstatten. Hoffnung, dass diese verfolgt wird, hat er nicht.

Wer drüben steht, ist ein Feind

Bei jeder Demonstration der vergangenen zehn Tage – so auch bei Demonstration von Journalisten gegen die Unterdrückung der Pressefreiheit am Freitag – kam es zu gewaltsamen Übergriffen auf Pressevertreter. „Die Vertreter der regierungsnahen Medien stehen hinter den Polizeireihen und berichten von dort“, sagt Erem. Die oppositionellen Journalisten hingegen − zu denen er in diesem Kontext auch Vertreter großer Blätter wie der Hürriyet oder der Milliyet zählt −, würden das Geschehen aus der Perspektive der Demonstranten verfolgen. „Und die Polizei behandelt jeden, der ihr gegenübersteht, als Feind.“

Zwischen den Demonstranten steht auch Murat Güler. Aber berichten darf er nicht. Denn Güler arbeitet für ein regierungsnahes Medium, wozu die meisten Fernsehsender, darunter die Nachrichtenkanäle Habertürk, NTV und CNN-Türk, ebenso gehören wie die Blätter Zaman, Yeni Safak, Star, Habertürk, Takvim und Sabah.

CNN-Türk blamierte sich zu Beginn der Proteste, als man unverdrossen eine Dokumentation über Pinguine sendete, während CNN-International live von den heftigen Ausschreitungen am Taksim-Platz berichtete. Seither hat sich an der mangelhaften und tendenziösen Berichterstattung bei den meisten Medien nichts verändert. Bei einigen darf das auch nicht verwundern: So gehören der Fernsehsender atv sowie die Zeitungen Takvim und Sabah der Çalik Holding. An deren Spitze steht seit seinem 29. Lebensjahr Berat Albayrak, der Schwiegersohn des Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Das Revolverblatt Takvim fiel während der Proteste unter anderem mit einem gefälschten Interview mit der CNN-Chefmoderatorin Christiane Amanpour auf (Überschrift: „Schmutzige Bekenntnisse“); die, nun ja, etwas seriösere und in Deutschland durch ihre Klage gegen die Akkreditierungspraxis beim NSU-Prozess bekannt gewordene Sabah frohlockte am Tag nach der Räumung des Gezi-Parks mit der Schlagzeile: „Guten Morgen, Gezi!“ Dem Sender NTV wiederum gelang da die Meldung: „Der Gezi-Park wurde wieder dem Volk übergeben. Derzeit wird es niemandem gestattet, den Park zu betreten.“

Das Bitterste für einen Journalisten

Doch zu dieser Nachricht weiß Murat Güler noch eine andere Interpretation als die naheliegende. „Vielleicht war das ein heimlicher subversiver Akt eines Redakteurs“, meint er.

Auf ein Gespräch lässt sich Güler nur unter der Bedingung ein, dass sein echter Name ebenso ungenannt bleibt wie der Name seines Arbeitgebers. „Während der Besetzung des Gezi-Parks war ich jeden Tag dort“, erzählt er. Aber in meiner Redaktion wollte man keine Beiträge von mir. Am Ende durfte ich nicht einmal mehr Vorschläge auf der Konferenz machen.“

Güler bezeichnet sich als „Liberaldemokraten“. Er ist um die 40 und schon lange für seinen Arbeitgeber tätig. „Sonst mache ich fast jeden Tag etwas. Aber zu den Protesten durfte ich nicht arbeiten und mit anderen Themen wollte ich mich in dieser Situation nicht beschäftigen“, sagt er. Seit Wochen hat er nichts veröffentlicht. Mehrfach hat er sein Material Kollegen von anderen Medien zur Verfügung gestellt. „Können Sie sich etwas vorstellen, das für einen Journalisten bitterer ist?“, fragt er.

Die gleiche Kritik wie die Demonstranten

Seine Kritik an der Berichterstattung unterscheidet sich nicht groß von den Vorwürfen der Protestbewegung: Übernahme der Regierungspropaganda, verzerrte, mitunter erlogenen Berichte, hetzerische Kommentare, Unterschlagung von Polizeigewalt, geringstmögliche Beachtung der Proteste. Viele, vielleicht die Hälfte seiner Kollegen, würden ähnlich denken wie er. „Aber die meisten haben sich arrangiert, auch einige der verantwortlichen Redakteure. Intern Kritik geübt haben bei uns nur ein paar.“

Am liebsten wäre es Güler, entlassen zu werden. „Vielleicht wäre es aufrichtiger, wenn ich selbst kündigen würde. Aber auf meinen Anspruch auf Abfindung kann ich nach so vielen Dienstjahren nicht einfach verzichten“, sagt er. Er sympathisiert zwar mit den Demonstranten, aber wenn er zwischen ihnen unterwegs ist, verrät er nicht, für wen er tätig ist. „Die Leute schließen von den Medien auf die einzelnen Mitarbeiter“, meint er. Auch das klingt verbittert. Dann räumt er ein: „Aber bei manchen trifft das ja auch zu.“

Womöglich gilt das auch für den Reporter des Senders Habertürk, der während der Räumung des Parks live vorm Divan-Hotel berichtete, dass „marginale Gruppen die Polizei provozieren“ würden und dafür vor laufender Kamera von einem Demonstranten geohrfeigt wude.

Die Folterer von früher

Ein solcher Übergriff aber ist bislang die Ausnahme geblieben. Ebenso wurden bislang nur in wenigen Fällen rechtliche Schritte unternommen. Mehrere kleine Fernsehsender − Hayat TV (sozialistisch), Halk TV (sozialdemokratisch), Ulusal Kanal (linkskemalistisch) und Cem TV (alevitisch) − erhielten Geldstrafen. Außerdem gab es eine Razzia bei der prokurdischen Nachrichtenagentur Etha.

Die hat Arzu Demir aus der Nähe erlebt. Die 38-Jährige ist Türkin, hat ihre 15 Berufsjahre aber größtenteils bei Medien gearbeitet, die der kurdischen Bewegung nahestehen. Einige Tage nach der Räumung des Gezi-Parks standen frühmorgens Beamte der Abteilung für Terrorismusbekämpfung vor ihrer Wohnungstür. Einen Durchsuchungsbefehl für das Büro der Etha, das sich im selben Gebäude befinden wie ihre Wohnung, hatten sie dabei, einen Befehl, Demir oder ihre Kollegin und Mitbewohnerin zum Verhör zu bringen, nicht.

„Rechtlich gesehen hätten wir einfach gehen können“, erzählt Demir. „Stattdessen wurden wir in unserer eigenen Wohnung 18 Stunden lang gefangen gehalten. Nicht einmal einen Anwalt durften wir verständigen.“

Als besonders erniedrigend empfand sie es, dass eine Polizistin Genitalien und After kontrollierte. „So etwas gibt es sonst bei Drogendelikten, aber nicht, wenn der Vorwurf auf Unterstützung einer terroristischen Vereinigung lautet.“ In ihrer Agentur wurden alle Computer und sämtliches beschriebenes Papier beschlagnahmt: Dokumente, Unterlagen, Bücher. „Von Althusser bis Zola“, erzählt Demir.

Sie gehört zu den derzeit rund 2.100 der kurdischen Bewegung nahestehenden Personen, darunter 44 Journalisten, die im Zusammenhang mit der „Union der Gemeinschaften Kurdistans“ (KCK), dem zivilen Arm der PKK-Guerilla, zum Teil abenteuerlichen Anklagen ausgesetzt sind. Unter den angeklagten Journalisten zählt Demir zu wenigen, die sich auf freiem Fuß befinden.

Bekanntschaft mit der türkischen Polizei hat sie schon mehrfach gemacht. 1996, in Zeiten, in denen in der Türkei Folter und „Verschwindenlassen“ von Oppositionellen an der Tagesordnung waren, wurde sie in einem Polizeirevier mit Elektroschocks an den Brüsten misshandelt. Einer der beteiligten Polizisten sei heute stellvertretender Leiter der Istanbuler Antiterror-Einheit, berichtet sie in einem Tonfall, als sei dies die normalste Sache der Welt. „Die AKP spricht von einer ’fortgeschrittenen Demokratie‘“, sagt Demir. „Aber was wir gerade erleben, erinnert an diese überwunden geglaubte Zeit.“

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