Knäste in NRW: Rot-Grün unter Druck wegen Suizidserie

Innerhalb von wenigen Tagen strangulierten sich in NRW drei Gefangene. Die rot-grüne Regierung muss jetzt auf Missstände reagieren, die sie in der Opposition angeprangert hat.

Strafgefangener in der JVA Köln-Ossendorf: Dieses Jahr haben sich in NRW schon zwölf Häftlinge das Leben genommen. Bild: dpa

DÜSSELDORF taz | Unter der Aufsicht der nordrhein-westfälischen Justiz sind erneut Häftlinge ums Leben genommen. In den Justizvollzugsanstalten (JVA) Werl und Remscheid erhängten sich am Wochenende zwei Gefangene. Bereits sieben Tage zuvor hatte sich im Essener Gefängnis ein Häftling selbst getötet. Auch er starb an einer Strangulation. Damit erhöht sich die Zahl der Inhaftierten, die allein in diesem Jahr in NRW Suizid begangen, auf zwölf.

Bereits in der vergangenen Legislaturperiode hatten verschiedene Folterskandale die Justizministerin der im Mai abgewählten schwarz-gelben Landesregierung Rüttgers, Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU), an den Rand des Rücktritts gebracht: In Siegburg schlugen drei Mitgefangene den 20-jährigen Hermann H. über Stunden, missbrauchten ihn sexuell und zwangen ihn dann, sich selbst zu erhängen.

Gefoltert wurde auch im Gelsenkirchener Knast: Dort wurde einem Gefangenen ein Stromkabel um den Hals gelegt - auch er wurde aufgefordert, sich zu erhängen. Auch klagen noch immer über 1.000 Inhaftierte auf Schadenersatz: Sie waren laut einem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm "menschenunwürdig" untergebracht - den Gefangenen stand weniger als fünf Quadratmeter Raum zur Verfügung. Außerdem war der Toilettenbereich bestenfalls durch eine sogenannte Schamwand abgetrennt.

Für einen Skandal hatte auch der Gefangene, der sich jetzt im Werler Knast das Leben nahm, gesorgt: Dem 50-jährigen Klaus-Dieter H. war es im April gelungen, seine Freundin in einem Langzeitbesucherraum zu töten. In einer sogenannten Suizidprophylaxe befand sich der gelernte Dachdecker aber nicht mehr - die Maßnahme, die auch die Unterbringung in einer videoüberwachten Einzelzelle umfasst, sei "nach Absprache zwischen Bediensteten, Psychologen und dem Anstaltsarzt nach zwei Monaten beendet" worden, sagte die Sprecherin des nordrhein-westfälischen Justizministeriums, Andrea Bögge, der taz. Der Leiter der Werler Justizvollzugsanstalt, Michael Skirl, spricht trotzdem von einem "typischen Bilanzselbstmord" - in Abschiedsbriefen an seine Anwältin und an das Gefängnis schildert der bereits zu lebenslanger Haft Verurteilte, dass ihm seine ausweglose Lage erst jetzt klar geworden sei.

Warum die offensichtlich labilen Gefangenen nicht verstärkt überwacht wurden, bleibt auch im Remscheider Fall unklar: Der dortige Gefangene galt als opiatabhängig, war erst vor drei Wochen ins Gefängnis gekommen. Unbemerkt von zwei Mitgefangenen soll er sich dort selbst in der Toilettenkabine erhängt haben - die sei "akustisch vollständig abgeschottet" gewesen, heißt es zur Erklärung.

Nach den Suiziden steht Nordrhein-Westfalens neuer Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) jetzt unter ähnlichem Druck wie seine Vorgängerin Müller-Piepenkötter: Die Christdemokraten, die sich vor dem Regierungswechsel immer schützend vor ihre Ministerin gestellt hatten, fordern dringend Aufklärung: Kutschaty habe "seinen Laden nicht im Griff", glaubt der rechtspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Peter Biesenbach, bereits.

Von "bedauerlichen Einzelfällen" spricht dagegen die Justizexpertin der Grünen im Düsseldorfer Landtag, Dagmar Hanses. "Wir wollen die Situation verbessern. Das geht nur mit mehr Geld", sagt Hanses aber auch - schließlich hatte ihre Partei in der Vergangenheit immer wieder die völlig unzureichende Personalausstattung der Knäste in NRW kritisiert: Noch heute betreuen lediglich 127 Psychologen über 17.000 Gefangene.

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