Die Ausstellung "Female Trouble": Das verpuppte Geschlecht

Die Fotoausstellung "Female Trouble" in der Münchner Pinakothek der Moderne zeigt anschaulich, wie radikal Künstler mit den gesellschaftlichen Konventionen von Weiblichkeit umgehen.

So viel exzentrischer Wehrhaftigkeit. So viel Unverschämtheit. Und so viel Zauber. Bild: Pinakothek der Moderne

Ein Mädchen in einem türkisfarbenen Tüllkleid schwingt eine Feuerlilie, seit der Antike ein Zeichen von besonders unbeugsamen Frauen. Auf roten Lackschuhen spaziert das Mädchen eine Wohnstraße entlang und rammt die Blüte in eine Autoscheibe nach der anderen, bis das Glas krachend zersplittert. Passantinnen lächeln ihr zu. Eine Polizistin geht vorbei und grüßt freundlich.

Von wegen "Female Trouble" also: Schwierigkeiten hat diese hyperzuckersüße, von Pipilotti Rist gefilmte Vandalin nicht zu erwarten. Doch geht es in der Ausstellung "Female Trouble" in der Münchner Pinakothek der Moderne auch nicht um Ärger mit der Weiblichkeit. Angelehnt ist der Titel vielmehr an Judith Butlers Buch "Gender Trouble" und die darin publizierte radikale Negation des biologischen Geschlechts.

Männlich wie weiblich, schreibt die US-Soziologin, seien nichts anderes als soziale Zuschreibungen. Und so stellen die 180 in der Pinakothek versammelten Werke von 34 verschiedenen Fotokünstlerinnen und -künstlern nicht weniger als den Anspruch, sich auf unterschiedliche Arten dem genuin Weiblichen zu nähern. Die Frau als Suchtstoff und in Überdosis, neu ist das nicht, und so muss man sich schon aktiv vornehmen, diverse Alphamädchen zu verdrängen und die Sache vorbehaltlos anzugehen.

Dieser Schau gelingt aber, was so schnell kein Feuchtgebiet schaffen wird. Dass sie trotz ihres recht global formulierten Ansinnens nicht beliebig gerät, liegt an der eng gefassten Themenwahl: Den Blick von außen erfährt man besonders beim Transgenderkünstler Jürgen Klauke, Geburt und Totgeburt bei Sarah Lucas, Alter und Verfall bei der Gräfin Virginia di Castiglione. Und überall gegenwärtig ist das unselige und letztlich doch so grandiose Hineingeworfensein in einen biologischen Zustand, den man sich nicht selbst ausgesucht hat - und daher leider auch nicht verantworten kann. Es sind die Motive, in denen sich Ästhetik und moderne Genderforschung, Pipilotti Rist und Julia Kristeva, berühren.

Auf der Suche nach leidenschaftlichen und widerwärtigen, immer exaltierten Fantasien vollführt die Ausstellung große Zeitsprünge, vom 19. Jahrhundert bis in die Zwanzigerjahre, weiter in die Achtziger und in die Gegenwart. Im 19. Jahrhundert konnten sich Künstlerinnen mittels Fotografie besonders an Körperdarstellungen erproben. Denn selbst als sie schließlich an Kunstakademien zugelassen waren, blieben ihnen Aktmalkurse als unschicklich verboten.

In den Zwanzigerjahren wurde die Fotografie als generelle Kunstform entdeckt, und zeitgleich wurden Frauen zum Thema für die Wissenschaft. 1929 greift die Psychoanalytikerin Joan Rivière in ihrem Essay "Weiblichkeit als Maskerade" eine These aus der bildenden Kunst auf: Weiblichkeit und Maskerade seien, schreibt Rivière, ein und dasselbe (selbst wenn "Maskerade" einen verborgenen, "wahren" Kern suggeriert). Die Maske dient dazu, die Frau vor ihrer eigenen Männlichkeit zu schützen; sie soll sie aber auch vor Sanktionen wegen dieser Männlichkeit bewahren, was, so Rivière, unter anderem erklärt, weshalb sich Frauen in Führungspositionen oft überweiblich kleideten; vergleiche Benita Ferrero-Waldner.

Einen Höhepunkt der Münchner Schau bilden daher auch die Werke der amerikanischen Künstlerin Cindy Sherman, die die Maskerade des Weiblichen nicht als Facette, sondern als Grundaussage ihres Werkes betrachtet. Sie inszeniert sich als biedere Hure, als gefallene Arztgattin, als Amme und Madonna, die den Betrachter mit ihren mal verwelkten und mal spitzen, immer schwer milchgefüllten Brüsten überfordert. Sherman übernimmt alle Rollen, die eine Frau nur einnehmen kann, und überhöht sie zur gesellschaftlichen Parodie: Sie kostümiert sich überweiblich, verzichtet aber auf den damit verbundenen Schutz und macht sich gerade durch die gekonnte Brechung ihrer Posen angreifbar. Betrachter werden so auf ihre Vorurteile zurückgeworfen.

Auch die Anfälligkeit des weiblichen Körpers für physische Gewalt wird in "Female Trouble" thematisiert. Nur indem er schamfrei vorgeführt wird, wird dieser von seiner erotischen Dimension entbunden, lautet die These der jung verstorbenen Ana Mendieta. Ihren nackten Leib presst sie zwischen Glasscheiben, als wäre der mikroskopische, sezierende Blick des "Gegenübers" durch die Objektträger lenkbar. Bewusst unspektakulär wird ausgebreitet, was vorhanden ist, ob Genitalien oder Blut, das möglicherweise von einer Vergewaltigung stammt.

Valie Export setzt dagegen auf den möglichst brutalen Gegenangriff: Durch aggressive Attribute wird ihrer Entblößung nochmal kräftig Schwung gegeben. In "Genitalpanik" stemmt sie ein Maschinengewehr, das lange Haar ist wild toupiert, der Blick dunkel, die Hose an entscheidender Stelle weit aufgeschnitten.

Alle Exponate der großartigen Schau verfolgen einen klaren gesellschaftlichen Anspruch, sind stellenweise der Geschlechterforschung fast so nahe wie der Kunst. Resultat ist eine auch "zweckgebundene" Ausstellung, die sich daran messen lassen muss, ob sie ihr doppeltes Ziel erfüllt.

Die Wirkung der Fotografien ist heute zweifelsfrei eine andere als noch zum Entstehungszeitpunkt. Was damals gezielte moralische Provokation war, ein Angriff auf den konventionellen Geschmack, ist heute ein Tabubruch des bildungsbürgerlichen Mainstreams. Dennoch wirken die Fotografien auf krude Art sexuell (nicht moralisch) herausfordernd. Gezielt dürfen sich die Betrachter hier jenem Voyeurismus ergeben, gegen den sich die Abbildungen in vorauseilendem Ungehorsam so heftig zur Wehr zu setzen scheinen. Doch wer zwischen den verschiedenen angebotenen Sichtweisen oszilliert, den männlichen wie den weiblichen Blickwinkel zulässt, der begreift schnell, was weibliche Inszenierung hier ausmacht. Man wird sich der Bildgegenstände genauso rücksichtslos bemächtigen, wie es die vertretenen Künstlerinnen und Künstler begrüßt hätten: Auf eine abgeklärte Art ist man schlicht angeturnt von so viel exzentrischer Wehrhaftigkeit. So viel Unverschämtheit. Und so viel Zauber.

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