Kolumne Knapp überm Boulevard: "Schluss mit der arroganten Scheiße!"

Der deutsche Rapper Sido leistet in einer österreichischen TV-Castingshow echte Kulturarbeit – und räumt mit dem Sumpf an Korruption auf.

Mal ganz ehrlich: Mich frisst der Neid. Da hat Berlin eine Wahl hingelegt, bei der sich SPD, Grüne, Linkspartei und Piraten das Feld teilen. Wien wird zwar auch erstmals rot-grün regiert, aber die ganz Rechten haben an die 30 Prozent. Und Berlin? Die FDP fällt raus, und eine Partei wie die FPÖ, die gibt es erst gar nicht. Und dann haben sie auch noch Sido. Der hat dieser Tage einen Ausflug nach Wien gemacht. Was heißt nach Wien? Er ist vorgestoßen dorthin, wo Wien am wienerischsten, wo Österreich am österreichischsten ist. Und der Mann hat hier aufgeräumt.

Das war am Freitag bei der Sendung "Die große Chance", einer TV-Castingshow, wo Leute sich und ihre Talente ausstellen dürfen. Sido ist einer der Juroren. Auf die Bühne kamen zwei Männer: ein Bewerber und ein zweiter. Dieser Begleiter trat mit unverhohlenem Selbstbewusstsein auf und sagte in Richtung der vier Juroren den hierzulande entscheidenden Satz: "Ah, die kenne ich ja, die zwei."

Jemanden kennen heißt wissen, wer der andere ist, und wissen, wen der andere kennt. Und es heißt, dass der andere weiß, wer man selber und in welche Reihe man einzuordnen ist, welcher Platz einem zukommt. Sido wusste das nicht. Aber mit untrüglichem Gespür blaffte er den Mann an: Wozu brauche der Kandidat eine Begleitung, der könne sich doch selbst ankündigen. Überhaupt sehe er aus wie ein Hausmeister mit seinem herabhängenden Schlüsselbund.

Nun traf es sich, dass der Begleiter Journalist war, was jeder außer Sido wusste. Er ist nicht bei irgendeiner Zeitung, sondern bei der Kronenzeitung, dem auflagenstärksten Medium des Landes. Jenes Medium, dessen Einfluss auf die Politik legendär ist. Dieser Tage muss sich der Bundeskanzler mit Vorwürfen herumschlagen, er habe als Minister der Kronenzeitung horrende Beträge für Inserate zukommen lassen, um sich deren Gewogenheit zu sichern.

Der österreichische Franz Josef Wagner

Der Mann auf der Bühne war - um diese Reihe mal zu öffnen - auch nicht irgendein Journalist dieser Zeitung, sondern deren mächtigster und rabiatester Kolumnist, eine österreichische Version von Franz Josef Wagner. Wir von "Knapp überm Boulevard" würden den Kollegen sogar als das Herzstück von knapp drunter bezeichnen. Sido blaffte das Herzstück an: "Du willst dich doch nur großmachen. Verschwinde von der Bühne!"

Der eigentliche Bewerber, ein Heurigenwirt, dessen Prominenz daher rührt, dass er Prominente kennt, blieb also allein zurück und nützte seine "große Chance", indem er Motorengeräusche imitierte: eine kreischende Motorsäge, ein jaulendes Motorrad.

Es bleibt ein Rätsel, warum sich Menschen ohne Not so bloßstellen. Was treibt sie, öffentlich die Hosen runterzulassen? Nach diesem hochpeinlichen Auftritt und in die Buhrufe des Publikums hinein kehrte die Journalistenlegende zurück. Und nun entfaltete das Wienerische all seine Duftnoten: "Was sagst du dazu, Bernhard?", wandte er sich an den anderen Juror. Bernhard - man kennt sich, man duzt sich. Und Bernhard war natürlich nicht irgendein Bernhard. Genau darin besteht ja die Verhaberung, dass man aufhört, irgendeiner zu sein. Es war Bernhard Paul, Direktor des Zirkus Roncalli.

Wiener Verhältnisse

Und dieser Bernhard drückte nicht auf die Minustaste. Er drückte auf die Plustaste. Zwei plus! Das meinte er. Und dann zu Sido gewandt: "Die zwei sind ein Doppel, das man in Wien kennt und der Kollege ist Journalist, der dich morgen fertigmachen könnte", klärt er den Nichtsahnenden auf. "Du kennst die Wiener Verhältnisse nicht."

Diese Verhältnisse sind ein Sumpf an Korruption, in dem Medien, Politik und Wirtschaft heillos verstrickt sind. Seit Wochen kommt eine abgründige Sumpfblüte nach der anderen an die Oberfläche. Und diese in jeder Hinsicht kleine, diese jämmerliche Szene führt die dazugehörige Mentalität in Reinkultur vor. Der Clip kursiert seit Tagen auf YouTube.

Sido aber, der die Verhältnisse nicht kennt, Sido aber sagte: "Darauf geschissen. Schluss mit der arroganten Scheiße!" Das war echte Kulturarbeit. Das hatte was vom Ausmisten des Augiasstalls. Berlin - das hat Leute wie Sido und solch ein Wahlergebnis. Vielleicht hängt das ja auch zusammen. Mich frisst der Neid.

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