Bigband-Anbetung im Wochenrhythmus

JAZZ Das Omniversal Earkestra erweist dem Bigband-Jazz früherer Jahrzehnte jeden Montag die Ehre – rasend, erfrischend und schrullig zugleich. Zum Jazz gehört auch, dass man tief runtermuss, wie zur „Kultstätte Keller“ in Neukölln

VON FRANZISKA BUHRE

Kein Ort steht so sehr für die Geschichte des Jazz in Deutschland wie der Keller. Er ist zumeist billig und schallisoliert, er befeuert Gestaltungsfantasien jenseits irdischer Versammlungsstättenverordnungen, er ist Hort jugendlicher Coolness und der sprichwörtlichen Abgrenzung gegen „die da oben“.

In der Nachkriegszeit wurde die Bundesrepublik von Jazzkellern regelrecht unterquert, hier frönten Jazz-Enthusiasten ihrer Leidenschaft für traditionellen Jazz und hörten gemeinsam ebenso andächtig die neuesten Schallplatten, sie huldigten den Gastspielen US-amerikanischer MusikerInnen und tanzten manchmal sogar den „Bebop“.

Während so mancher Betreiber eines Jazzkellers im Rest des Landes, inzwischen weißen Hauptes, die Lederweste noch immer beharrlich anlegt, sprießen in Berlin eine Reihe neuer Jazzveranstaltungen aus Gewölben unterhalb des Trottoirs. Nicht alle sind so legal wie die wöchentliche Landung des Omniversal Earkestra in der „Kultstätte Keller“ in Berlin-Neukölln nahe dem Rathaus. Das 13-köpfige Ensemble gibt hier seit über einem Jahr montags mit Feuereifer den Ton an.

Während eine Großformation wie Andrej Hermlin und sein Swing Dance Orchestra mit aalglatten Allüren der Musik der 1930er- und 40er Jahre den Swing austreibt (falls sein bevorzugtes Repertoire aus den Federn stocksteifer, weißer Bandleader je welchen hatte), gibt einem das Omniversal Earkestra die Freude an rollenden Bläsersätzen, druckvollem Drive und Stücken mit echten Anliegen zurück.

An erster Stelle steht der astralgeborene Sun Ra, welcher mit seinem Arkestra im Jazz der 1950er Jahre wahre Weltraumpioniertaten vollbrachte, Pate für den Namen des Earkestra. Selbstredend spielen die Musiker seine universal-beglückenden Songs, zum Beispiel „Angel Race“: zwei hervorquellende Töne des großen Baritonsaxofons setzen die gesamte Band in Bewegung, worauf die Trompeten und die anderen Saxofone mit einer heiter-gloriosen Melodie die Segel aufblähen. Nahe an der Bühne bläst einem der durch Blech zu Tönen kondensierte Atem förmlich um die Ohren.

Im „Boogie Stop Shuffle“ von Charles Mingus bricht sich der Blues grollend die Bahn, inklusive eines effektvollen Gebrülls, wie der Bassist es einst selbst gerne von sich gab.

Hier entlädt Ingo seine Stimme, der auch jedes Stück mit einer zwischen Verkündigung und Brandrede schwankenden Anmoderation feilbietet. So schlägt er Volten von der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung zu den Montagsdemos der Pegida, der unsterbliche Titel „Mood Indigo“ von Duke Ellington wird in seiner Rede zu „Mood Ingodo“.

Andrej Ugoljew frönt Duke Ellingtons Spiel mit direkten und indirekten Bläserklängen in einem vollendeten Posaunensolo mit verschiedenen Dämpfern, der Trompeter Florian Menzel schallt weit über die Bühne hinaus wie ein vom Jazz euphorisiertes Martinshorn. Eldar Tsalikov lyrisiert ein Stück hinreißend auf der Klarinette, im nächsten spielt er eine freie Improvisation auf dem Altsaxofon mit allen Schikanen.

In dem Trubel aus anarchischem Vergnügen und kollektiver Neuschöpfung des Bigband-Jazz vergangener Jahrzehnte kann es passieren, dass der Geiger oder der Rap des originären „Omnicalypso“ zwar zu sehen, aber nicht zu hören ist. Anderen Bands würde man solche Unwägbarkeiten vielleicht übel nehmen, im Keller versprühen sie ganz einfach Charme.

Sei es echte Hingabe oder nüchterne Spielpraxis – das Omniversal Earkestra ist ein Phänomen, das seinesgleichen sucht. Begründet hat es Schlagzeuger Max Weissenfeldt 2011 in den Gewölben der Theaterkapelle in Friedrichshain unter dem Namen „Polyversal Souls“, gemeinsam mit Ingo Vaupel, der im irdischen Leben einen Plattenladen führt.

Nach Zerwürfnissen nahm Letzterer das Heft des Handelns und den neuen Namen in die Hand. Ersterer machte aus den „Souls“ ein Ensemble, das derzeit als deutsche Musikversteher ghanaischer Trommeln durch die Medien geistert.

Die Stammbesetzung des Earkestra blieb beisammen und nahm Gäste nun fest auf, seit kurzem bereichert eine Tuba das Klangspektrum. Wie viele musikalische Spielarten im Earkestra zusammenfinden, ist eine schiere Sensation: die Musiker sind mit allem, von kommerzieller Blasmusik über Gypsy Swing, Klezmer, Rock ’n’ Roll bis hin zu zeitgenössischem Jazz und freier Improvisation, vertraut.

Franz Stahl, der Baritonsaxofonist, hält das Earkestra am Laufen. „Wir werden keine Musik je in einem Studio aufnehmen“, erzählt er mit Nachdruck. „Wir sind eben eine Live-Band! Also werden wir Live-Aufnahmen machen.“ Recht hat er – das Hochgefühl eines Montags im Keller reicht für mindestens eine Woche.

■ Omniversal Earkestra, montags ab 21 Uhr in der Kultstätte Keller, Karl-Marx-Straße 58, U-Bahnhof Rathaus Neukölln