DVDESK
: Ein hässliches Lachen, schon vor dem Vorspann

„Mädchen mit Gewalt“ (Regie: Roger Fritz; BRD 1969), Edition Deutsche Vita, ca. 30 Euro

Körperliche Primitivität und verbale Sophistication sind seltsam verschränkt

Werner (Klaus Löwitsch) und Mike (Arthur Brauss) arbeiten am Tag im Büro, da ist Werner der Chef, aber wehe, wenn sie losgelassen: Dann fahren sie in ihrer wenig noblen Karosse durch München und haben kaum anderes, als Frauen aufzureißen, im Sinn. Mit der blonden Nachbarin läuft zwar nichts; eine andere Blonde, die sie schon kennt, belästigen sie beim Sonnenbaden, die Stimmung ist aggressiv, es passiert aber nichts; zwei Frauen steigen ins Auto, denen fahren sie dann selbst wieder davon; interessanter wird es bei einem Gokart-Rennen bei noch aggressiverer Stimmung, da lernen sie Alice (Helga Anders) kennen, die mit ihnen an einen See in der Kiesgrube zu fahren bereit ist. Andere wollen nachkommen, tauchen kurz auf, sind dann jedoch schnell wieder weg.

Damit ist Alice allein mit Werner und Mike in ziemlich postapokalyptischer Landschaft aus Industriegerätschaften, Schrott, Wasser und Kies. Das hässliche Lachen der beiden hat schon vor dem Vorspann nichts Gutes verheißen. Nun treiben sie mit Alice ihre Scherze, ziehen mit Benzin Kreise aus Feuer. Es beginnt ein finsteres Kammerspiel unter freiem Himmel, bei dem ein Gewaltakt dem anderen folgt. Dass Werner Alice vergewaltigt, ist nur der Anfang.

Mike verteidigt Alice nicht, führt ihr sogar teuflisch geschickt die vermeintliche Aussichtslosigkeit einer Anzeige vor Augen, wendet sich dann aber gegen Werner. Wie zwei gereizte Hähne gehen die beiden aufeinander los, prügeln und schlagen der eine auf den anderen ein, ein Ausagieren männlicher Aggression vor dem weiblichen Opfer, das zunehmend passiv bloße Beobachterin der brutalen Dinge ist, die die beiden sich antun.

„Mädchen mit Gewalt“ ist ein verstörender und sehr unangenehm berührender Film. Das ist seine Stärke. Zwar macht er sich und den Zuschauer nicht zum Komplizen der Rohheit von Werner und Mike, er verweigert zugleich aber jede Erlösung durch Rache, die das Grundmuster vieler Exploitation-Filme bis hin zu Tarantinos Nobilitierungen des Genres darstellt.

Schlag auf den Kopf

Nobilitiert wird hier nichts, auch psychologische Schlüssigkeit ist nicht der Punkt. Körperliche Primitivität und verbale Sophistication sind seltsam verschränkt, auf rhetorisch raffinierte Momente folgt ein schlichter Schlag auf den Kopf. Die nie elegante oder subtile, aber gekonnte und hocheffektive Inszenierung von Roger Fritz passt dazu mehr als perfekt.

Es kann nicht verwundern, dass der Film zwischen die Fronten geriet. Als „The Brutes“ (später: „Love by Rape“) lief er in den USA, Klaus Löwitsch erhielt den Bundesfilmpreis für seine Rolle, die Kritik in Deutschland lehnte „Mädchen mit Gewalt“ jedoch mehrheitlich ab. Seitdem ist er gründlich vergessen. Die kühle Aufnahme hatte sicher auch damit zu tun, dass Roger Fritz die Neuer-deutscher-Film-Credibility fehlte. Er kam, nicht unähnlich Will Tremper, von den Illustrierten, als Fotograf, war Gründer der stilbildenden Zeitschrift Twen. Das Regiehandwerk hatte er in der UFA-Nachwuchsschule für Schauspiel und Regie gelernt, bei problematischen Größen wie Frank Wisbar und Alfred Weidenmann. Als Fernsehregisseur war er erfolgreich, auch als Darsteller, er spielte bei Rudolf Thome, in Sam Peckinpahs „Steiner“ – und vor allem mehrmals in Fassbinder-Filmen.

In den DVD-Extras berichtet er ebenso entspannt wie Arthur Brauss von diesen Zeiten. Dass die Edition Deutsche Vita „Mädchen mit Gewalt“, Roger Fritz’ faszinierenden Querschläger der deutschen Filmgeschichte, zurück ans Tageslicht holt, ist ein großes Verdienst. Es ist die erste Heimkino-Ausgabe des Films, sie ist ihren stolzen Preis wert.

EKKEHARD KNÖRER