Die Maßeinheit für Misserfolg im Fußball

HISTORIE Tasmania Berlin ist der schlechteste Verein, der jemals in der Bundesliga spielen durfte. Ein neues Buch würdigt die Mannschaft und ihre epochale Leistung

■  Fünf junge Rixdorfer gründen 1900 einen Fußballverein, den sie nach Tasmanien benannten, der zu Australien gehörenden Insel, für die sie schwärmen. Nach 1945 steigt der Club aus dem Stadion an der Oderstraße in Neukölln zum Rivalen der Westberliner Vereine Hertha und Tennis Borussia auf.

■  1959, 1960 und 1962 erringt TAS gegen die Rivalen den Titel in der Stadtliga. In der Endrunde um die Deutsche Meisterschaft 1962 unterliegt Tasmania dem Hamburger SV mit 0:3.

■  Bekanntester Spieler war Horst Szymaniak, der zur Bundesliga-Saison 1965/1966 für 50.000 Mark aus Varese (Italien) verpflichtet wurde und für die Berliner vier Länderspiele bestritt.

■  Nach dem Konkurs 1973 gründeten Mitglieder Tasmania 1973 Neukölln. Der Club spielt aktuell als SV Tasmania-Gropiusstadt 1973 in der siebtklassigen Landesliga. (jüs)

VON JÜRGEN SCHULZ

Es war einmal eine Fußballmannschaft, die in einer Spielzeit so viel Pleiten, Pech und Pannen anhäufte, dass sie zur Legende wurde. Was wie ein Märchen klingt, wurde in der Bundesliga-Spielzeit 1965/66 bei SC Tasmania 1900 Berlin (TAS) traurige Wirklichkeit. „Tasmania Berlin. Der ewige Letzte“, lautet der Titel des Buches von Hanns Leske, der dieses Sportphänomen nun in Hardcover packt. Es ist der gelungene Versuch des Historikers, einen Sportverein in seine Zeit einzubetten; ein Kapitel Stadtgeschichte, aufwändig bebildert mit Impressionen aus den Pioniertagen des deutschen Profifußballs nach 1945.

„Es gibt in der Bundesrepublik keinen in der Versenkung verschwundenen Verein, an dem nach so langer Zeit noch ein so großes Interesse besteht“, sagte Hans-Günter Becker, einst Kapitän des Neuköllner Sportclubs Tasmania 1900, bei der Buchpräsentation vergangene Woche in Kreuzberg. Tasmania gilt seit 1966 als Maßeinheit für Misserfolg in der erst 1963 gegründeten Fußballbundesliga. Obwohl der Club 1973 in Konkurs ging, steht er bis heute als Synonym für das Scheitern auf ganzer Linie.

Obwohl auch Hertha in der vergangenen Saison, die mit dem Abstieg der Berliner endete, häufiger mit Tasmania verglichen wurde, gilt für die Neuköllner: Schlimmer geht’s nimmer. Sie sind der vermutlich ewige Letzte in der ewigen Bundesligatabelle: TAS schoss 1965/66 in 34 Auftritten die wenigsten Tore (15), kassierte die meisten Gegentreffer (108) und errang nur 8 Pluspunkte (nach der damals geltenden Zweipunkteregel für einen Sieg).

Schon der Aufstieg in die Beletage war eine Mischung aus Sport-Comedy und Politgroteske: Weil Hertha BSC wegen überhöhter Prämienzahlung an Spieler 1965 die Lizenz verlor, suchte der Deutsche Fußball-Bund für seine Topliga einen Nachrücker aus Westberlin, um die politische Verbundenheit der Mauerstadt mit der Bundesrepublik zu demonstrieren. „Man hat uns keinen Gefallen damit getan, uns in die Bundesliga zu lassen“, gestand Hans-Joachim Posinski, der 1965 mit 33 Jahren sein Bundesligadebüt als Torhüter von Tasmania feierte, bei der Buchvorstellung.

„Die meisten Spieler von uns waren damals schon über ihrem Zenit“, erzählt der frühere Kapitän Becker, der den Spruch prägte, dass man „aus Ackergäulen keine Rennpferde“ machen könne. Viele seiner Sportkameraden mussten vor Saisonbeginn 1965/66 per ADAC-Ferienfunk über Radio aus dem Urlaub zurückbeordert werden. Drei Wochen Zeit blieb für die Vorbereitung auf das Bundesligaabenteuer.

Entsprechend mager war bald das Ergebnis und der Publikumszuspruch. Bejubelten zur Premiere im Olympiastadion gegen Karlsruhe noch über 80.000 Fans den 2:0-Sieg gegen Karlsruhe (den ersten von zwei Saisonsiegen), wollten wenige Monate und viele Niederlagen später keine 900 Menschen mehr das 0:0 gegen Mönchengladbach sehen. Auch das ein Tiefpunkt der Bundesligahistorie.

„Die meisten von uns waren damals schon über ihren Zenit“

EXKAPITÄN HANS-GÜNTER BECKER

Tasmania hatte nicht nur auf dem Platz einen schweren Stand, das Team war in Berlin generell nicht sehr angesehen. Leske, der selbst in der Tasmania-Jugend spielte, beschreibt in seinem Buch, dass tonangebende Journalisten von BZ, Fußball-Woche und Tagesspiegel Fans von Hertha waren, dem massenkompatiblen Proletarierclub aus dem Wedding. Auch in der Politik genoss „Ha-Ho-He!“-Hertha BSC einen stärkeren Rückhalt als TAS. „Die Rechtssozialdemokratie war auf Seiten von Hertha. Tasmania fehlte diese politische Unterstützung“, urteilt der Historiker.

Tasmania, „kein Arbeiterverein, sondern ein Verein der kleinen Leute“ (Leske), musste sich außerdem gegen Tennis Borussia erwehren. Der Club der Reichen und Kunstsinnigen aus Eichkamp hatte den frei gewordenen Startplatz von Hertha in der Bundesliga beansprucht, obwohl man sportlich in der Aufstiegsrunde gescheitert war. Ohne Erfolg.

Nach dem Ende des Bundesligaabenteuers geriet SC Tasmania 1900 ins Trudeln, 1973 war der Club am Ende. Der Verband versagte ihm die Lizenz für die Regionalliga. Die Politik, die Hertha in prekärer Lage stets aus der Patsche half, sprang nicht ein, obwohl die 800.000 Mark Schulden zu stemmen gewesen wären. SC Tasmania 1900 wurde zu Grabe getragen. Die Bundesliga-Negativstatistik hat als Legende überlebt.

■  Hanns Leske: „Tasmania Berlin. Der ewige Letzte“. Agon Sportverlag, Kassel 2011, 400 Seiten, 29,90 Euro