Verfahren gegen das Recht

SCHLAGLOCH VON ILIJA TROJANOW Zwei aktuelle juristische Fälle zeigen, wie fragil die europäische Demokratie ist

■  ist Schriftsteller und Weltensammler. Zuletzt veröffentlichte er gemeinsam mit Juli Zeh: „Angriff auf die Freiheit. Sicherheitswahn, Überwachungsstaat und der Abbau bürgerlicher Rechte“ (Hanser Verlag, 2009).

Was haben Tierschützer und Menschenrechtler gemein? Sie sind in der Europäischen Union, zumindest in einigen ihrer Mitgliedsländer, unerwünscht. Dieser Eindruck lässt sich gewinnen und zugleich viel Vertrauen in das vermeintlich rechtsstaatliche Europa verlieren, schaut man sich zwei Fälle genauer an.

Am 21. Juni 2010 gegen drei Uhr am Nachmittag wurde vor dem Obersten Gerichtshof in Sofia, Bulgarien, ein stämmiger Mann mit Aktentasche in der Hand von zwei Unbekannten überfallen, die ihm mit einem harten Gegenstand einen heftigen Schlag versetzten und dann mit gezielten Tritten traktierten, die ihn verletzen, aber nicht töten sollten. Er erlitt einen fünffachen Knochenbruch. Es ging alles so schnell, das Opfer konnte weder die Identität der Männer noch die Art der Waffe wahrnehmen, mit der sie es niederschlugen. Es konnte sich mit Hilfe eines Passanten aufraffen und mit einem Taxi in ein staatliches Krankenhaus retten, wo ihm rechtswidrig die Behandlung verweigert wurde. Erst solle er 750 Euro bezahlen.

Bulgariens Rechtsbeugung

Nichts an diesem Überfall ist zufällig. Nicht die Identität des Opfers: Es handelt sich um Janko Jankow, Juraprofessor an der Universität in Plowdiw und seit fast dreißig Jahren einer der mutigsten Verfechter der Menschenrechte in Bulgarien. Seit dreißig Jahren? Hat nicht in der Zwischenzeit eine vielbesungene Wende zum Besseren stattgefunden?

Janko Jankow verbrachte die letzten sechs Jahre der kommunistischen Herrschaft im Gefängnis, weil er Informationen über Menschenrechtsverletzungen gesammelt und an westeuropäische Botschaften weitergeleitet sowie staatskritische Pamphlete verbreitet hatte. Amnesty International erwählte ihn zum führenden politischen Gefangenen Bulgariens. Seit der „Wende“ versucht er mit allen Mitteln eines Juristen und Rechtsanwaltes, eines Journalisten und Aktivisten die Amnesie gegenüber den Verbrechen aus kommunistischer Vergangenheit und die enorme Verfilzung sowie Rechtsbeugung im heutigen Bulgarien zu bekämpfen. Auch der Ort des Angriffs war bewusst gewählt. 16 von Janko angestrengte Verfahren gegen den bulgarischen Staat sind derzeit anhängig, vor verschiedenen Gerichten (alle diese Verfahren werden seit Jahren verschleppt), doch vor dem Obersten Gerichtshof wird ein Fall verhandelt, der für ernsthafte Unruhe sorgt.

Last Exit Strassburg

Schon vor 20 Jahren hat Janko Jankow versucht, die Bulgarische Sozialistische Partei als juristische Nachfolgerin der Bulgarischen Kommunistischen Partei für illegal erklären zu lassen, offensichtlich mit bedachten Argumenten, denn die ersten beiden Instanzen gaben ihm Recht; erst der Oberste Gerichtshof unter dem Vorsitz von Dimitar Gotschew hob das Urteil wieder auf. Gotschew, der später als Verfassungsrichter an den Europäischen Gerichtshof nach Straßburg wechselte, war allerdings, wie vor einem Jahr bekannt wurde, früher Agent der Staatssicherheit, weswegen Janko Jankow für eine Neuaufnahme des Verfahrens wegen Befangenheit des führenden Richters plädiert.

Bemerkenswert ist, dass der Jurist Jankow stets nur legale Wege des Protests gewählt hat und gerade damit in einem Land der Grauzonen zwischen Rechtlichkeit und Willkür als unerträglicher Provokateur erscheint. Die gewalttätige Drohung von neulich beweist, dass seine Strategie, die Verfahren zunehmend auch nach Straßburg auszuweiten (wo gegenwärtig neun von ihm initiierte Verfahren anhängig sind), Teile der Oligarchie Bulgariens nervös stimmt. Deswegen schweigen die bulgarischen Medien diesen Fall tot, abgesehen von einem kurzen Beitrag in einem der kleinen privaten Fernsehsender und einem Artikel auf einer Webseite.

Erstaunlich wenig wird auch über einen Prozess berichtet, der seit dem 2. März dieses Jahres in Wiener Neustadt gegen 13 Tierschützer geführt wird, die sich gegen den Vorwurf der Beteiligung an einer kriminellen Organisation verteidigen müssen. Der einschlägige Paragraf 278a wurde verabschiedet, um gegen organisierte Kriminalität vorgehen zu können, gegen Menschenhändler, Drogendealer und Geldwäscher. Im großen Stil angewandt wird er nun jedoch gegen Tierschützer, die vor Pelzgeschäften demonstriert und eine Kampagne gegen Legehennenfabriken organisiert haben. Die Staatsgewalt klotzt nun nach dem Motto: Wo wenig Beweise sind, dauert die Wahrheitsfindung besonders lange. Daher mussten die Angeklagten (der Hauptangeklagte Martin Balluch verbrachte 110 Tage in Untersuchungshaft) bislang 34 Verhandlungstage über sich ergehen lassen, bei Anwesenheitspflicht.

Österreichs Rechtsbeugung

Der Protest des Juristen war stets legal. Genau das macht Jankow in Bulgarien zu einem unerträglichen Provokateur

Augenzeugen berichten von einer voreingenommenen Richterin, die den Gummiparagrafen zuungunsten der Angeklagten dehnt. Dafür ist § 278a bestens geeignet, denn er bezieht sich auf die Vorbereitung verbrecherischer Taten – die ansonsten straflos ist, sonst wäre jede Drohung à la „Das wirst du mir bezahlen“ justiziabel. Entsprechend besteht das Verfahren vor allem aus Spekulationen, ob bestimmte Aussagen der Angeklagten als Anstachelung zu Sachbeschädigung oder Nötigung hätten verstanden werden können (zu diesem Zweck wurden jahrelang Telefongespräche abgehört und E-Mails abgefangen).

In Deutschland werden mithilfe des § 129a StGB (Bildung einer terroristischen Vereinigung) und konstruierten Vorwürfen Umweltschützer, antifaschistische Aktivisten oder G-8-Protestler kriminalisiert. Gesetze, die uns vor Terroristen schützen sollen, werden inzwischen vor allem gegen jene angewandt, die zivilen Ungehorsam leisten. Dabei dient das Einleiten des Strafverfahrens schon als Mittel der Drangsalierung, unabhängig vom Ausgang. In Deutschland führen nur 1 Prozent der Verfahren wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung zu Verurteilungen!

Die österreichischen Tierschützer haben indessen viel Lebenszeit, Geld und Energie verloren. Zu Recht trägt daher die Webseite, die den Prozess kritisch verfolgt, den Namen: „Gemeint sind wir alle“.