Debatte Pakistan: Land ohne Freunde

Die Katastrophe in Pakistan findet weltweit zu wenig Interesse. Der Krieg in Afghanistan ist dem Westen wichtiger als Hilfe für die Flutopfer.

Findet wenig Anteilnahme: Flutopfer in Pakistan. Bild: dpa

Wäre die große Flut nicht über Pakistan, sondern über Indien gekommen, die Dämme hätten nicht besser gehalten, die Politiker hätten sich kaum weniger arrogant verhalten. Aber die Welt würde hinschauen. Denn Indien ist ein demokratisches, offenes Land und ein Touristenmagnet. Pakistan ist zwar auch eine Demokratie und viel offener, als es von außen oft den Anschein hat. Aber es hat, im Gegensatz zu Indien, wenig Freunde in der Welt und auch kaum Touristen. Diese Isolation kommt die Pakistaner heute teuer zu stehen.

Die Abgeschiedenheit Pakistans ist nicht allein mit den Taliban zu erklären, die es hier seit 20 Jahren gibt. Das Land hatte noch nie viele Freunde in der Region. Im Westen, im Iran, regiert seit 1979 ein fundamentalistisches Schiitenregime, im Norden herrscht seit drei Jahrzehnten der afghanische Krieg, und im Osten liegt Indien, mit dem es seit der Teilung von 1947 in inniger Feindschaft verbunden ist. Der nächste Verbündete sitzt, tausende Kilometer entfernt, in Peking. Doch Regen und Fluten haben die einzige Straße nach China zerstört, den berühmten Karakorum Highway, der auf Jahre hinaus unpassierbar sein dürfte.

Das alles macht die Hilfe aus dem Westen für Pakistan heute so unentbehrlich. Das Land erlebt die mit Abstand größte Katastrophe seit seiner Gründung. Drei Kriege gegen Indien waren nichts gegen diese Flut, die das Land jetzt überschwemmt hat. Die pakistanische Armee ist so hilflos, wie es jede andere Armee der Welt an ihrer Stelle wäre. Denn 20 Prozent des Landes - ein Gebiet größer als England - stehen jetzt unter Wasser.

47, berichtet seit 2009 für die taz und die Zeit aus Indien und Pakistan. Davor arbeitete er von 1990 bis 1997 als Korrespondent in Tokio und danach zwölf Jahre in Peking, wofür ihm 2007 der "Liberty Award" verliehen wurde.

Doppelter Schock

In einst bevölkerungsreichen Gegenden wie bei Peshawar ist außer Wasser weit und breit nichts zu sehen, im Süden ist der Indus jetzt mancherorts bis zu fünf Kilometer breit. Fünf Millionen Obdachlose haben die Vereinten Nationen gezählt, Hunderttausende sind noch von der Außenwelt abgeschlossen und nur per Hubschrauber erreichbar. Gut möglich, dass das wahre Ausmaß der Katastrophe noch gar nicht sichtbar ist. Vielleicht fordert die Flut erst jetzt, mit Hungertod und Epidemien, schleichend immer mehr Opfer. Warum aber tut der Westen nicht mehr? Vom ersten Tag an zeigte sich die Regierung in Islamabad bereit, jede westliche Hilfe anzunehmen. Doch die kam entweder gar nicht oder nur häppchenweise.

Die meisten Flutopfer, die man trifft, haben zwei schreckliche Erfahrungen gemacht. Erst den Schock, durch die Flut Haus und Hof verloren zu haben. Größer noch aber war oft der zweite Schock: dass kein Hilfe kam. Viele hatten mehrere Tage und Nächte auf ihren Dächern in Todesangst verbracht. Hubschrauber sahen sie nur am Himmel. So geht es den meisten der Abgeschlossenen bis heute. Diese Woche haben die USA 22 Hubschrauber für Rettungseinsätze in Pakistan zur Verfügung gestellt. Die Vereinten Nationen forderten 40 weitere Maschinen an. Verfügt der Westen nicht über mehr Hubschrauber?

Halbherzige Luftbrücke

Die Nato hatte angekündigt, eine Luftbrücke nach Pakistan einzurichten. Das klingt nach Entschlossenheit. Doch dann stellte sie zunächst nur eine einzige Transportmaschine aus Leipzig zur Verfügung, die seit letzter Woche zwischen dem Flughafen im nordrhein-westfälischen Geilenkirchen und den Notstandsgebieten in Pakistan hin und her pendelt. Kein Wunder, dass die pakistanischen Medien sich jeden Tag fragen, warum der Westen nur so zögerlich hilft.

Pakistan erwartet mehr vom Westen, weil sich das Land diesem Lager viel mehr zugehörig fühlt, als es viele Europäer und Amerikaner ahnen. Bis heute wird es - mit dem Bhutto-Zardari-Clan in Islamabad und dem Sharif-Clan in der wichtigsten Provinz Punjab - von aristokratischen, formal in demokratischen Parteien organisierten Eliten regiert, die noch den alten Kolonialherren in Großbritannien verbunden sind. Aber auch das Militär, das immer wieder die Macht an sich riss, war stets am Westen orientiert.

Anders als es das verbreitete Zerrbild will, war Pakistan auch zu keinem Zeitpunkt seiner 63-jährigen Geschichte von einer radikalislamistischen Machtübernahme bedroht. Und wann immer gewählt wurde, stimmten die Pakistaner stets mit überwältigenden Mehrheiten von 80 bis 90 Prozent für gemäßigte, mehr oder weniger säkulare demokratische Parteien. Die verschwommene Rolle, die Pakistan im Afghanistankrieg spielt, ist dagegen viel stärker durch geostrategische Sicherheitsinteressen und die Rücksicht auf Pakistans wichtigste Minderheit, die Paschtunen, als durch eigene radikalislamische Überzeugungen geprägt.

Wenn das Fernsehen in Pakistan nach einem aktuellen Bericht über die Flut aber zeigt, dass die USA an der Grenze zu Afghanistan ein Dorf bombardiert haben, in dem sie versteckte Taliban-Kämpfer vermuteten, drängt sich vielen Pakistanern der Eindruck auf, dass der Westen seinen Krieg immer noch wichtiger nimmt als die Hilfe für ihr überflutetes Land. Wie zur Bestätigung berichtet die New York Times, dass sich US-Militärs in Afghanistan besorgt zeigen, die Fluten in Pakistan könnten ihnen die Nachschubwege versperren. Auf die Idee, ihre Truppen aus Afghanistan zur Nothilfe ins Nachbarland zu schicken, kommen sie offenbar nicht.

Sympathiegewinn verpasst

Das verspricht nichts Gutes. Denn die überfluteten Gebiete im Norden Pakistans und das Kampfgebiet im Süden Afghanistans bilden geografisch eine Region, es ist das Heimatland der stolzen Paschtunen. Mit einem Großeinsatz hätte die Nato die einmalige Chance gehabt, in diesem bislang gegen jede Fremdherrschaft feindseligen Volk Sympathien zu gewinnen. Doch stattdessen blieben die Nato-Truppen lieber in ihren Zelten.

Auf Desinteresse stößt das Leid aber auch auf der anderen Seite der Grenze. "Keine Sympathien. Die schicken uns sonst nur Terroristen", fasste ein Immobilienmakler in Indien seine Haltung zusammen. Gegen solche Vorbehalte können nur jene eine Gegenrede halten, die das Land, seine Geschichte und seine wieder lebendige Demokratie kennen. Doch solche Menschen findet man kaum, weder in Indien noch im Westen - zum großen Unglück für das ertrinkende Land.

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Georg Blume wurde 1963 in Hannover geboren und ist gelernter Zimmermann. Er leistete seinen Zivildienst in einem jüdischen Kinderheim sowie in einem Zentrum für Friedensforschung in Paris. Danach blieb Georg Blume in Frankreich und wurde Korrespondent der taz. 1989 wurde er Tokio-Korrespondent der taz, ab 1992 auch für die Wochenzeitung DIE ZEIT. Von 1997 bis 2009 lebte er in Peking, wo er ebenfalls als Auslandskorrespondent für die ZEIT und die taz schrieb, seit August 2009 ist er für die beiden Zeitungen Korrespondent in Neu-Delhi. Bekannt geworden ist Georg Blume vor allem durch seine Reportagen über Umweltskandale und Menschenrechtsverletzungen in China. Für dieses Engagement erhielt er 2007 den Liberty Award, mit dem im Ausland tätige Journalisten für ihre couragierten Berichterstattungen gewürdigt werden. 2012 wurde er mit dem Medienethik-Award META der Hochschule der Medien in Stuttgart ausgezeichnet. Publikationen: „Chinesische Reise“, Wagenbach, Berlin 1998. „Modell China“, Wagenbach, Berlin 2002. „China ist kein Reich des Bösen“, Körber, Hamburg 2008.

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