Debatte Frauen in Afghanistan: Von wegen Frauenförderung

Die Situation der Frauen in Afghanistan hat sich systematisch verschlechtert. Wie konnte das unter den Augen der internationalen Gemeinschaft passieren?

Weshalb wird so wenig von Friedensförderung und Konfliktbearbeitung gesprochen? Wie kann es sein, dass Frauen wieder an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden, während ultrakonservative Strömungen sich in Gesellschaft und Staat breitmachen? Mit Wissen und Unterstützung der internationalen Gemeinschaft wohlgemerkt! Warum schenkt niemand den Stimmen afghanischer Frauen Gehör?

Die Reihe der Fragen ließe sich ohne Mühe fortsetzen. Denn: Zu wenig wurde erreicht und vieles mehr wäre möglich gewesen während des nunmehr fast neunjährigen internationalen Afghanistan-Einsatzes, den auch die Bundesregierung 2001 noch euphorisch gefeiert hatte. Einfache Antworten gibt es nicht, aber Fehler, die gemacht wurden, gilt es zu erkennen und zu revidieren - bevor der geplante Truppenabzug noch selbst zum Erfolg stilisiert wird.

Jahrelang stand das Primat des Militärischen im Vordergrund der Afghanistan-Strategie. Es war, wie sich längst gezeigt hat, nicht nur die gänzlich verkehrte Strategie, sie war zudem konfliktverschärfend, hat zu einer Brutalisierung afghanischer Männer, zu mehr Armut, Gewalt und Korruption beigetragen. Dabei stehen andere wirksame Konzepte zur Verfügung, wie etwa die UN-Resolution 1325 zu "Frauen, Frieden und Sicherheit", deren sicherheits- und friedenspolitische Relevanz bis heute weitestgehend unterschätzt wird. Auch Deutschland hat diese Resolution unterzeichnet, sich einer kohärenten Anwendung und Umsetzung als friedensstiftendes Instrument bislang jedoch verweigert.

Nicht nur der Aufbau tragfähiger demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen sowie eines funktionierendes Staatsapparates wurde von Anfang an sträflich versäumt - auch mangelte es an einer klaren Ausrichtung auf die Menschenrechte. Zivilgesellschaftliche Organisationen standen nie im Mittelpunkt des Staatsaufbaus.

Vor allem Frauen galten nicht als vorrangige Zielgruppe, so dass Frauenrechtsorganisationen kaum von internationalen Programmen profitieren konnten. Das rächt sich nun. Ihre Situation hat sich in den letzten Jahren erneut verschlechtert: Laut einer Studie von Unifem von 2008 sind rund 87 Prozent aller Frauen in Afghanistan familiärer Gewalt ausgesetzt. Die Unama erklärte 2009 zu Menschenrechten in Afghanistan: "Frauen werden ihre fundamentalsten Menschenrechte verweigert, und sie riskieren weitere Gewalt, wenn sie versuchen, Gerechtigkeit für die Straftaten zu erreichen, die ihnen angetan wurden."

ist geschäftsführendes Vorstandsmitglied von medica mondiale. Die Frauenärztin iniitierte 1993 in Bosnien Hilfsaktionen für vergewaltigte Frauen im Balkankrieg und gründete anschließend medica mondiale. Seit 2001 setzt sich die Organisation verstärkt in Afghanistan für kriegstraumatisierte Frauen und Mädchen ein. 2008 wurde Hauser mit dem alternativen Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Angesichts dieser Situation kam der 2010 verkündete Strategiewechsel in Afghanistan hin zur Verstärkung des zivilen Aufbaus und zu Friedensgesprächen entschieden zu spät und war, gelinde gesagt, nur wenig überzeugend. Seit Jahren mahnt der Verband Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen Venro eine stärkere Fokussierung auf den Wiederaufbau und auf die Zivilgesellschaft an. Die Zahlen des Bundes für Soziale Verteidigung ergeben ein schockierendes Bild: Bis 2009 hat die Bundesregierung im Afghanistan-Einsatz 30-mal so viel für Militär wie für Ziviles ausgegeben. Die Vorgabe von Entwicklungsminister Niebel, zivile Hilfe an militärische Vorgaben zu koppeln, ist skandalös.

Seitdem strotzt die Rhetorik der Staatengemeinschaft nur so vor Dialogbereitschaft; eine der wichtigsten Fragestellungen lässt sie dabei jedoch außen vor, nämlich wer da mit wem verhandeln darf? Und vor allem zu welchem Preis?

Der Ausschluss der afghanischen Frauen von politischen Prozessen hat Tradition, nicht nur in Afghanistan selbst, sondern auch auf internationaler Ebene. Schon bei der Petersberger Afghanistan-Konferenz waren Frauen nicht beteiligt, wohl aber viele Warlords. Männer wie Raschid Dostum & Co hätten auf die Anklagebank nach Den Haag gehört und nicht an den Verhandlungstisch auf den Petersberg. Eine wirkliche Auseinandersetzung mit der Frage der Warlords seitens der Bundesregierung hat es nie gegeben.

Auch aktuell werden Frauen als kompetente Akteurinnen kaum ernst und wahrgenommen. An der Londoner Konferenz nahmen von 63 TeilnehmerInnen aus Afghanistan gerade einmal vier Frauen mit insgesamt 20 Minuten Redezeit teil.

Statt Frauenrechtsaktivistinnen zu fördern, die seit Jahren unter extrem gefährlichen Umständen für Gleichberechtigung und Demokratie kämpfen, schaut die Weltgemeinschaft lieber zu, wie sich ein weiteres Mal die Clanchefs und Warlords in Afghanistan die Posten zuschachern und ihre auf Machterhalt ausgerichtete und auf Drogen und Korruption basierende Interessenpolitik betreiben. Dass im neu geschaffenen afghanischen hohen Friedensrat nur wenige demokratische Kräfte und stattdessen hauptsächlich ehemalige Kriegsherren oder Taliban-nahe Politiker vertreten sind, ist ein Schlag ins Gesicht.

Wie die konservativen Kräfte Afghanistans vor den Augen der Weltöffentlichkeit Zug um Zug die Menschenrechte von Frauen und Mädchen weiter einschränken, verdeutlicht ein Beispiel vom Oktober letzten Jahres: Laut einer neuen Rechtsverordnung des Obersten Gerichtshofes werden Frauen und Mädchen, die - meist aufgrund von Gewalt und Zwangsehen - von zu Hause fliehen, mit einer perfiden Logik kriminalisiert: Suchen sie Zuflucht bei Fremden, können sie gemäß der neuen Verordnung wegen Ehebruchs oder Prostitution verurteilt werden.

"Früher hat die internationale Gemeinschaft Druck auf die Regierung ausgeübt. Das tut sie jetzt nicht mehr", beschreibt Humaira Rasuli, Leiterin der Frauenrechtsorganisation medica mondiale Afghanistan, die Sorge von Frauenrechtsverteidigerinnen. So zwiespältig die Afghaninnen auch auf die Rolle der US-Amerikaner und auf die UNO- und Nato-Einsätze blicken, ihre Befürchtungen, dass der internationale Blick auf die Situation afghanischer Frauen gänzlich verloren gehen könnte, sind allemal größer. Mit der alles dominierenden Debatte um Militär und seit kurzem auch um den Truppenabzug ist noch deutlicher geworden, dass der Westen sich mehr und mehr aus seiner Verantwortung zurückzieht. Dieser Rückzug ist vor dem Hintergrund einer emotional gesteuerten Antiterrorpolitik der USA nicht vereinbar mit den Leitlinien einer konfliktbearbeitenden und -präventiven Politik, wie sie unter anderem die Resolution 1325 vorgibt. Würden Frauen maßgeblich an Wiederaufbau und Friedenspolitik beteiligt, können wir davon ausgehen: Es würden andere politische Inhalte zustande kommen!

In dem Mitte Dezember von der Bundesregierung vorgelegten "Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanistan" heißt es: "Die Bundesregierung wird sich weiterhin dafür einsetzen, dass sich Sicherheit und Menschenrechte nicht widersprechen." Daran muss sie sich messen lassen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.