ALI EL BAYA ÜBER DIE WESTLICHE HALTUNG ZUR ÄGYPTISCHEN FREIHEITSBEWEGUNG
: Sagt euch von Mubarak los!

Im Irak hatten die USA keine Skrupel beim Sturz eines Diktators. Warum also jetzt in Ägypten?

Die ganze Welt richtet sich derzeit mit wohlwollenden Ratschlägen an den ägyptischen Präsidenten: Er möge demokratische Prozesse einleiten, seine Sicherheitskräfte sollten die friedlichen Demonstranten schützen. Nur die zentrale Forderung der Demonstranten wird – auch auf Nachfrage – geflissentlich vermieden: ein sofortiger Rücktritt Mubaraks.

Natürlich wäre eine Rücktrittsforderung an den Präsidenten eines unabhängigen Staates eine eindeutige Einmischung in innere Angelegenheiten. Allerdings erinnern wir uns daran, dass vor wenigen Jahren ein anderer Despot im arabischen Raum durch militärische Intervention in die Knie gezwungen wurde: Saddam Hussein. Er endete bekanntlich am Galgen. Es gibt also offensichtlich Situationen, in denen sich die westlichen Mächte das Recht nehmen, sich in die inneren Angelegenheiten unabhängiger Staaten einzumischen.

Zugegeben, es geht im Falle Ägyptens nicht um die Abwehr des internationalen Terrorismus oder um Massenvernichtungswaffen (ging es im Irak darum?). Es geht hier „nur“ um die Unterstützung eines Großteils der Ägypterinnen und Ägyptern, vor allem einer jungen und gut ausgebildeten Generation, die heute auf den Straßen Kairos, Alexandrias und anderer Städte ihren Wunsch nach Demokratie zum Ausdruck bringt.

Auch aus einem anderen Grund hinkt der Vergleich mit dem Irak. Während es bei Saddam Hussein um einen weithin anerkannten „Bösewicht“ ging, galt der ägyptische Präsident den meisten bis gestern als Garant für die Stabilität in der Region. Und – was die Sache noch komplizierter macht – diese Einschätzung entspricht weitgehend der Realität. Nicht zu Unrecht wurde Mubaraks Vorgänger Anwar al-Sadat 1978 gemeinsam mit dem israelischen Premier Menachem Begin der Friedensnobelpreis zugesprochen. Ägyptische Spitzenpolitiker wie der eben zum Vizepräsidenten ernannte Omar Suleiman waren vom Westen gern gesehene Vermittler im israelisch-palästinensischen Konflikt.

Dabei ging es allerdings um außenpolitische Stabilität. Die Stabilität im Inneren Ägyptens wurde durch Diktatur, Korruption, Repressalien und Stillstand der ökonomischen und sozialen Entwicklung erkauft. Das war kein Geheimnis. „Die ägyptische Polizei nimmt nicht nur Oppositionelle willkürlich fest und foltert sie. Die Regierung geht auch nicht gegen willkürliche Festnahmen und Folter gegen einfache Bürger vor, sondern setzt Übergriffe von Polizisten als Mittel der Einschüchterung ein“: Das stellte eine Delegation des Ausschusses für Menschenrechte des Deutschen Bundestages im Oktober 2010 nach einer Ägyptenreise fest.

Die letzten Tage haben gezeigt, dass der Westen an der Realität vorbeigeht, sollte er in Mubarak immer noch einen möglichen Garanten der Stabilität sehen. Schon die Berichte über freigelassene Häftlinge und das zeitweilige Abtauchen der Polizeikräfte während der Proteste haben die Eskalationsstrategie des ägyptischen Regimes erkennen lassen. Die sich häufenden Hinweise darauf, dass es sich bei den sogenannten Mubarak-Anhängern teilweise um Sicherheitskräfte des Systems handelt, können diesen Eindruck nur bestätigen. Oder glaubt irgendwer, dass ein durchschnittlicher Ägypter die Reitpferde und Kamele zur Hand hat, von denen aus er dann auf Demonstranten einprügelt? Dieses Regime setzt auf Gewalt und Zerstörung, um an der Macht zu bleiben – so zynisch wie alle Diktaturen.

Noch sieht man, dass auf den Demonstrationen positiv auf eine mögliche Rolle des Westens in diesem Umbruchprozess Bezug genommen wurde – etwa auf Plakaten mit der Aufschrift „Yes, we can – too“. Aber es gibt auch deutliche Hinweise darauf, dass die Demonstranten frustriert auf die halbherzige Unterstützung aus dem Westen reagieren.

Wenn die westliche Diplomatie ein Interesse daran hat, einer Radikalisierung der derzeitigen Bewegung vorzubeugen, muss sie nun endlich eindeutig Position beziehen, die Bewegung offen unterstützen und sich ihre zentrale Forderung zu eigen machen: den sofortigen Rückzug Mubaraks aus seinen Funktionen! Nicht zuletzt, um Vertrauen bei denen aufzubauen, die hoffentlich morgen die Geschicke Ägyptens lenken werden.

■ Der Autor, geboren in Kairo, ist Biologe und lebt in Münster. Seit den 80er Jahren ist er in der Friedensbewegung aktiv