Richtungsstreit im Wendland

Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg verliert ihre Ehrenvorsitzende: Die Anti-Atomkraft-Veteranin Marianne Fritzen gibt Titel zurück. Kritik an vermeintlichem Linkskurs und handwerklichen Fehlern

VON REIMAR PAUL

In der ältesten und größten Organisation des wendländischen Anti-Atom-Widerstands köchelt eine Krise: Erst nach zwei teils turbulenten Mitgliederversammlungen ging die jüngste Vorstandswahl der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) über die Bühne. Einige altgediente Mitglieder monieren einen vermeintlichen „Linksruck“, dann kulminierte die interne Kritik mit dem Rücktritt einer BI-Mitbegründerin: Marianne Fritzen will nicht länger „Ehrenvorsitzende“ sein.

Ursprünglich schien es um Formalitäten zu gehen. Bei den Mitgliederversammlungen im Frühjahr stellte sich der alte Vorstand um die Vorsitzende Kerstin Rudek komplett zur Wiederwahl und schlug dafür eine Abstimmung „en bloc“ vor. Aus dem Saal kam der Gegenvorschlag, die Kandidaten einzeln zu wählen. Rund 40 der 70 Anwesenden votierten jedoch für die erste Variante und der um einen Co-Vorsitzenden und einige Beisitzer erweiterte Vorstand wurde schließlich in einer einzigen Abstimmung im Amt bestätigt. Inhaltliche Kontroversen wurden allenfalls angedeutet.

Das änderte sich schlagartig, als Fritzen Ende April ihren Posten aufgab. Die Ehre, der BI in ihrer „jetzigen politischen Zielrichtung zu dienen, ist für mich nicht mehr tragbar“, begründete Fritzen ihren Schritt. Die jüngsten Versammlungen hätten ihr „noch einmal ganz deutlich vor Augen geführt, dass die Art und Weise, wie mit den Mitgliedern umgegangen wird, die eine andere Meinung als der Gesamtvorstand vertreten – weit entfernt ist von dem, was ich unter Wahrung der Grundrechte und Demokratie verstehe“.

In einem Interview legte Fritzen, die die BI vor mehr als 30 Jahren mit ins Leben rief, noch nach: Neben dem aus ihrer Sicht undemokratischen Modus bei den Wahlen kritisierte sie auch die politische Orientierung: Die BI sei keine Organisation mehr, die sich um alle Bevölkerungsspektren kümmere, sondern „driftet mir zu sehr einseitig ab, nach links“. Viele Mitglieder fühlten sich vom Vorstand nicht mehr vertreten. Briefe an Ministerien und andere Institutionen seien teilweise so beleidigend formuliert worden, dass die Adressaten sich gar nicht mehr mit der BI beschäftigt hätten. Zudem habe der Vorstand handwerkliche politische Fehler gemacht, bemängelte die 84-Jährige. All das habe zu einem erheblichen Bedeutungsverlust der Initiative geführt.

Die Vorsitzende Rudek räumt Darstellungsprobleme ein. Den Vorwurf einer Linkswende weist sie dagegen zurück: Die BI repräsentiere vielmehr als eine Art „Plattform“ alle Strömungen der Anti-Atom-Bewegung.

Der Vorstand ist um Deeskalation bemüht, bedauerte per Presseerklärung sowie in einem Brief an Fritzen deren Rückzug vom Ehrenamt. „Wir wünschen uns sehr, dass Marianne Fritzen als die Grande Dame des Gorleben-Widerstandes sich weiterhin mit uns und unseren Mitstreitern verbunden fühlt“, heißt es. Man hoffe, nun wieder gemeinsam für die Abschaltung aller Atomanlagen und gegen ein Endlager in Gorleben kämpfen zu können. Fritzen hat mittlerweile erklärt, dass sie als einfaches Mitglied weiter mitarbeiten will.