„Sie fürchten sich davor“

SOLIDARITÄTSABEND Eine kurdische Delegation aus der Stadt Kobani im Norden Syriens berichtet

■ 40, stellvertretender Außenminister von Kobani, der de-facto-autonomen kurdischen Region in Nord-Syrien.

taz: Herr Nassan, wie sicher ist die kurdische Stadt Kobani im Nord-Syriens nach dem Sieg über die Angreifer des „Islamischen Staates“?

Idris Nassan: Der Widerstand ist noch in vollem Gange. Es gibt im kurdischen Gebiet Rojava 451 Dörfer – 90 Prozent sind befreit. Die Da’esh, die Kämpfer des „Islamischen Staates“, attackieren uns weiterhin, aber die Verteidigung hält.

Wie ist die humanitäre Situation in Kobani?

Es fehlt an Essen, Medizin, Impfstoffen, Trinkwasser und Elektrizität. Die Luftschläge, mit denen uns die internationalen Koalition unterstützte, trafen auch Kobani. Die Stadt ist zu 70 bis 80 Prozent zerstört. Wir versuchen Schulen und Krankenhäuser wieder aufzubauen, aber brauchen Material. Auch die Beseitigung von Bombenreste verlangsamt den Wiederaufbau.

Bekommen Sie genug Unterstützung von der internationalen Gemeinschaft?

Leider nicht. Wie bekommen Hilfe, aber das reicht nicht. Ich bin deshalb zu Gesprächen nach Brüssel, Straßburg und Berlin gereist. Die Signale waren positiv. Aber das akuteste Problem ist, dass die Türkei keinen humanitären Korridor zulässt, um Hilfsgüter über die Grenze zu lassen – hier muss politischer Druck auf die Türkei ausgeübt werden.

Wie erklären Sie die Zurückhaltung vieler westlicher Staaten bei der Hilfe?

Viele Staaten haben eigenen ökonomischen Interessen und diplomatische Verpflichtungen. Aber ich denke, viele sind vor allem skeptisch gegenüber unserem Gesellschaftsmodells. Wir teilen und sind solidarisch in der Gesellschaft, wir leben eine Demokratie von unten. Das ist für viele Länder um uns herum nicht zu akzeptieren. Sie fürchten sich davor. Die Länder der internationale Gemeinschaft können sich deshalb zu keiner klaren Entscheidung durchringen. Aber sie müssen.  Interview: JPB

18.30 Uhr, Birati e.V., Friedrich-Ebert-Str. 20