Wunder der Elektrizität

RETROMANIA Electro-Swing ist der Vintage-Sound der Stunde. Doch das Swing-Revival hat viele Gesichter

Es herrscht Sehnsucht nach einer Zeit, als Mode und Tanz, Musik und Eleganz noch eine Symbiose eingingen

VON ZONYA DENGI

Sie hat dem Swing-Revival ein Gesicht gegeben. Die niederländische Sängerin Caro Emerald wurde zwar eher zufällig von zwei Produzenten gecastet, als die eine Stimme für einen Song suchten, den sie für einen japanischen Auftraggeber geschrieben hatten. „Back it Up“, mit einem federnden Funk-Groove unterlegt, erwies sich in Holland als Überraschungshit. Flugs ließ man daher mit „Deleted Scenes from the Cutting Floor“ ein ganzes Album folgen.

Der clevere Mix aus Mambo, Tango, Swing und tanzbaren Jazz-Rhythmen, mit modernen Beats und Bässen aufgepeppt, dazu der geheimnisvolle Titel, der auf die Hollywood-Stars der Schwarz-Weiß-Film-Ära anspielte – das erwies sich als zündende Kombination, denn Caro Emerald brach damit in den Niederlanden alle Rekorde. Bald sprach sich ihre Erfolg auch in Ausland herum – auch in Deutschland, wo die 31-Jährige in diesem Jahr gleich mehrere Preise einheimste, von der „Goldenen Kamera“ bis zum Nachwuchs-„Echo“.

Wenn Caro Emerald für die Hochglanzvariante des Neo-Swing steht, dann sind die Gesellen von Budzillus aus Berlin ihr räudiges Gegenstück: „Oriental Swing Punk“ nennen sie ihr Gebräu aus Surfgitarren, Leierkasten-Moritaten und nostalgischen Melodien, aus Klezmer, Polka und Punk mit deutschen Texten, von dem ihr aktuelles Album „Auf Gedeih und Verderb“ schier überquillt. Ihre Originalität stellen Budzillus mit selbst geschneiderten Kostümen, Masken und Perücken sowie ausgefallenen Instrumenten der Marke Eigenbau unter Beweis.

Kellerkinder aus Berlin

Mehr als hundert Konzerte haben Budzillus schon gegeben, in Kellerclubs in New York oder vor Straßencafés in Istanbul, getreu ihrem Motto: „Immer weiter, immer weiter“. Elektrizität brauchen die blässlichen Kellerkinder aus Berlin dafür wenig: Sie setzen auf alte Handwerkskunst.

Für ein anderes Extrem stehen die Dirty Honkers aus Berlin. Das Trio, das aus der kanadischen Sängerin Andrea Roberts, dem französischen Saxofonisten Florent Mannant und dem israelischen DJ und Produzenten Gad Hinkis besteht, versetzt dem guten, alten Swing ein paar kräftige Stromschläge. Ihre hochgetunten Swing-Variationen würzen sie mit wilden Jazzsoli und brachialem Humor. „Death by Swing“ lautet ihr Schlachtruf. Mit der Tradition von Techno und Acid-House aus den Kellerclubs der Hauptstadt hat das Ergebnis mehr gemein als mit Federboas, Burlesque-Shows und Charleston-Tänzen – es ist mehr Neon-Swing als Neo-Swing.

Seltsam aber: Fast hundert Jahre nachdem der Swing in den Ballrooms, Jazzclubs und Vaudeville-Theatern der USA geboren wurde, ist diese erste Unterhaltungsmusik der Moderne plötzlich wieder der Sound der Stunde. Elektronisch aufgemotzt, tönen einem in Swing-Melodien in Filmen und Werbespots, auf Hinterzimmerpartys und im Mainstream-Radio entgegen. Der Trend lässt sich auch am Erfolg eines Films wie „The Artist“ ablesen, einer Liebeserklärung an das Kino der Stummfilmzeit – oder am Remix des Dean-Martin-Klassikers „Mambo Italiano“ durch das deutsche NuJazz-Projekt Club des Belugas, der plötzlich im Formatradio reüssierte.

Comeback nach 100 Jahren

Woher aber erklärt sich die nostalgische Faszination für jene Zeit, als die Bilder laufen lernten und die Großstädte erstmals im Licht der Elektrizität erstrahlten? Sorgt die neue Unordnung der Welt, mit globalen Wirtschaftskrisen, Rezessionen und politischen Verwerfungen, für ähnliche Endzeitstimmung und Eskapismus, wie er für die „Roaring Twenties“ und die Jahre danach kennzeichnend war? Manche glauben, der Swing sei einfach der adäquate Sound für den Tanz auf dem Vulkan – in einem Europa, das wieder mal am Abgrund steht. Aber man sollte die Parallelen nicht überstrapazieren. Denn aus diesem erneuten Swing-Revival spricht vor allem die Sehnsucht nach einer Zeit, als Mode und Tanz, Musik und Eleganz noch eine Symbiose bildeten.

Sicher ist jedenfalls, dass dieses Swing-Revival ein europaweites Phänomen ist. In Frankreich bringen Caravan Palace den Sinti-Swing eines Django Reinhardt mit Lounge-Elektronik und Zirkus-Flair auf die Bühne. In Schweden kombiniert das Trio Movits! den Ballhaus-Swing der Zwanzigerjahre mit HipHop-Beats und einem Faible für schwarze Anzüge, Fliege und Pomade im Haar; ihr Debütalbum „Äppelknyckarjazz“ (zu Deutsch: „Apfeldiebejazz“) brachte ihnen sogar in den USA Fans ein. Ihre griechischen Kollegen von Imam Baildi aus Athen dagegen mischen griechische Oldies aus der Ära der Schellack-Platten mit zeitgemäßen Club-Sounds, Latin-Rythmen und HipHop-Beats: das ist die mediterrane Variante des Swing-Revivals.

Der Swing der späten Jahre

Doch Vorsicht: Swing ist nicht immer gleich Swing. Manche, wie eCaro Emerald, bedienen sich beim amerikanischen Swing-Jazz der Fünfzigerjahre. Ihr Schlager-Swing erinnert an die Andrew Sisters („Rum and Coca Cola“) oder dem Pink-Panther-Komponisten Henri Mancini. Andere graben tiefer in der Oldie-Truhe und landen bei den Schellack-Platten aus den „Roaring Twenties“ so wie der DJ und Produzent Marcus Füreder alias Parov Stelar, der zu den Electro-Swing-Pionieren zählt.

Auf seinem eigenen Label „Etage Noir“, das er 2004 gründete, entwickelte er seinen ganz persönlichen Stil, der sich beim Swing der 20er Jahre bediente und ihn mit Kaffeehaus-Elektronik und jazzigen Vibes verband. Auch bei der Cover-Gestaltung zeigt der gelernte Grafiker einen ausgeprägten Stilwillen, seine Vinyl-Veröffentlichungen sind begehrte Sammlerstücke.

Seit einigen Jahren lässt sich Parov Stelar, der heute zu den weltweit gefragtesten Elektro-Künstlern überhaupt zählt, auf der Bühne von einer Band begleiten: Bei seinen Auftritten stehen ihm bis zu acht Musiker zur Seite – Saxofonist, Schlagzeuger, Trompeter, Bassist, eine Sängerin und zwei weitere Background-Stimmen. Seine Stücke tragen sprechende Titel wie „Booty Swing“, „Charleston Butterfly“ oder „Libella Swing“ und finden sich auf Hunderten von Compilations, von „Hotel Costes“ bis zur „Buddha Bar“-Serie, und wurden in unzähligen TV-Werbespots, Fernsehserien und Spielfilmen eingesetzt. Damit zählt der Österreicher zu den erfolgreichsten Protagonisten der Swing-Welle – und das, obwohl sein Gesicht kaum bekannt ist.

■ Budzillus: Auf Gedeih und Verderb (Munka Munka); Parov Stelar: The Princess (Etage Noir). Sampler: Swing Diskoteka (Eastblok)