Hundert Prozent Einfuhrzoll auf Luxusautos

Die Schwellenländer Indien und China schützten in Genf die jungen Automobilindustrien ihrer Länder. Doch der Schulterschluss der beiden dürfte nur von kurzer Dauer sein – und von erneuter Konkurrenz abgelöst werden

So versucht die indische Wirtschaft, in Afrika stärker Fuß zu fassen. Dort hat bislang China enge Kontakte geknüpft

NEU DELHI taz ■ Nach dem Scheitern der Doha-Welthandelsrunde in Genf haben viele westliche Beobachter die Schuldigen schnell ausgemacht: Die Schwellenländer Indien und China hätten die Verhandlungen gemeinsam zu Fall gebracht.

Dabei waren es die USA, die den Schwellen- und Entwicklungsländern bei deren Kernforderung kaum entgegenkamen: Washington zeigte sich erneut nicht dazu bereit, seine Agrarsubventionen signifikant zu senken. Indiens Handelsminister Kamal Nath kam da nur zu dem Schluss: „Es ist enttäuschend.“ Die Gespräche seinen „auf der letzten Meile“ gescheitert. „Der letzten Meile in der Sorge um die Entwicklung von Bauern.“

China, das Deutschland als führende Exportnation wohl noch in diesem Jahr ablösen wird, nahm zum ersten Mal an einer Welthandelsrunde teil. Doch der Hauptvorwurf der Chinesen gegenüber Washington klang vertraut: Die USA hätten ihre eigenen Interessen gesichert, stellten aber nun überhöhte Forderungen an die Schwellenländer. „Die USA erheben Forderungen, die so hoch sind wie der Himmel“, sagte etwa Pekings Handelsminister Chen Deming.

Doch das Bild eines übermächtigen Westens, der seine Pfründen sichert und versucht, die wirtschaftlichen Ambitionen der aufstrebenden Länder gering zu halten, ist nur ein Teil der Wahrheit. Denn sowohl Indien als auch China sperrten sich vehement dagegen, ihre Märkte etwa für Automobilimporte aus den Industrienationen weiter zu öffnen. Beide Länder bauen gerade ihren Automobilsektor massiv aus – und möchten dabei die etablierte Konkurrenz aus dem Westen möglichst lange auf Abstand halten. So verlangt Indien für den Import von Luxusautos weiterhin einen Einfuhrzoll in Höhe von 100 Prozent.

EU-Handelskommissar Peter Mandelson sprach daher davon, er habe einige der „schwierigsten und konfrontativsten Verhandlungen“ seiner vierjährigen Amtszeit erlebt. Nach einer zwölfstündigen Marathonsitzung am vergangenen Mittwoch deutete ein frustrierter Delegierter aus einem Industriestaat an, wem er direkt die Schuld daran gab: Indiens Handelsminister Kamal Nath: „Er saß einfach nur da und hat zwölf Stunden lang Nein gesagt.“

Auch ein Telefonat von US-Präsident George W. Bush mit Indiens Premier Manmohan Singh vergangene Woche brachte die festgefahrenen Verhandlungen nicht voran. Bei dem Gespräch soll Bush seinen indischen Amtskollegen darum gebeten haben, sich persönlich für einen Erfolg der Handelsrunde einzusetzen. Eine solche Intervention wäre noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen. Sie zeigt, wie wichtig die Industrienationen mittlerweile Indien nehmen.

Doch der Schulterschluss der nachrückenden Wirtschaftsmächte Indien und China dürfte nur pragmatisch und von kurzer Dauer gewesen sein. Denn beiden Länder stehen sich zu häufig gegenseitig im Weg: So versucht die indische Wirtschaft in Afrika stärker Fuß zu fassen – dort hat in den vergangenen Jahren China enge Kontakte geknüpft. Auch beim Abbau vom Rohstoffen in Birma, das beide Länder als Teil ihres strategischen Raums sehen, machen sich Indien und China starke Konkurrenz.

Vor allem aber in einer für Indien entscheidenden Frage könnte die indisch-chinesische Eintracht bei den Welthandelsgesprächen bald zerbrechen: Peking weigert sich beständig, Indien eine klare Zusage bei einem geplanten Nuklear-Deal mit den USA zu geben. China müsste als eines der 45 Kernmaterial-Lieferländer das Abkommen absegnen, das es Indien ermöglichen würde, nuklearen Brennstoff und Technologie für den Bau von Atomkraftwerken aus den USA zu beziehen. Doch China versteckt sich hinter der Formel, der Atomwaffensperrvertrag dürfe durch so ein Abkommen nicht beschädigt werden. Doch den hat Indien nicht unterzeichnet – somit könnte Peking den Deal torpedieren. Der kurzfristige Schulterschluss zwischen Indien und China könnte schon bald wieder der Vergangenheit angehören.SASCHA ZASTIRAL