Bundeswehr wirbt an Schulen: Kriegseinsatz im Klassenzimmer

Der Armee gehen die Rekruten aus. Einige Länder haben Verträge mit der Truppe für Lobbying an Schulen geschlossen. Unumstritten ist das nicht.

Der Bundeswehr-Einsatz in Schulen ist nicht unumstritten: Proteste in München. Bild: imago / lindenthaler

"Was hat die Bundeswehr mit Piraten zu tun? Warum sind deutsche Soldaten in Afghanistan und wieso ist eine Pipeline Bestandteil internationaler Sicherheitspolitik?", fragt das Sächsische Staatsministerium für Kultus und Sport in einer Pressemitteilung. Die Armee möchte Schülern die aufgeworfenen Fragen erklären und sie nebenbei für sich rekrutieren.

Der sächsische Kultusminister Roland Wöller (CDU) und Generalmajor Heinrich Geppert von der Bundeswehr werden am Dienstag im Kultusministerium in Dresden feierlich eine Kooperationsvereinbarung zwischen beiden Institutionen unterzeichnen. Nicht die erste dieser Art.

Angefangen hat es im Oktober 2008, als die damalige nordrhein-westfälische Schulministerin Barbara Sommer (CDU) einen Kooperationsvertrag mit der Bundeswehr abschloss. Das Papier sieht unter anderem vor, dass die Bundeswehr in die Aus- und Fortbildung von Referendaren und Lehrkräften eingebunden wird und sogenannte Jugendoffiziere - junge, rhetorisch geschulte Soldaten - in Schulen eingesetzt werden.

Im Vertrag steht: "In einer durch wachsende internationale Verflechtungen gekennzeichneten Welt bedarf es […] in zunehmendem Maße einer Auseinandersetzung mit Fragen internationaler Politik, auch der Sicherheitspolitik. […] Jugendoffiziere informieren im schulischen Kontext Schülerinnen und Schüler über die zur Friedenssicherung möglichen und/oder notwendigen Instrumente der Politik." Auf dieser Grundlage würden auch "Weiterbildungen im Rahmen von Seminaren zur Sicherheitspolitik der Bundeswehr und von Besuchen ihrer Einrichtungen" vereinbart.

Laut aktuellem "Jahresbericht der Jugendoffiziere 2009" erreichten die 94 hauptamtlichen und 300 nebenamtlichen Jugendoffiziere bei über 7.200 Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet knapp über 182.000 Personen - davon waren rund 160.000 Schülerinnen und Schüler. Bei den Veranstaltungen geht es offiziell nicht um Nachwuchswerbung, sondern um die Vermittlung militärischer Sicherheitspolitik: Militäreinsätze der Bundeswehr sollen den Schülern als ein normales Mittel der Politik erklärt werden. So halten die Soldaten vor Schülern Vorträge über Auslandseinsätze der Bundeswehr, internationalen Terrorismus und diskutierten mit den Schulklassen bis vor kurzem auch noch über den Sinn der Wehrpflicht.

Für die direkte Nachwuchswerbung sind Wehrdienstberater an Schulen aktiv und erreichten 2009 bei rund 12.600 Veranstaltungen mehr als 280.000 Schülerinnen und Schüler. Wo genau die Trennlinie zwischen reinem Informieren und Werben liegt, ist bei den Schuleinsätzen unklar. "Die Schule ist der richtige Ort, an dem wir junge Menschen erreichen", meinte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) Ende Oktober in einem Artikel in der Berliner Morgenpost.

Schon 2009 fehlten der Bundeswehr immerhin 2.000 neue Rekruten. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht könnte sich das Personalproblem weiter verschärfen. Nach Nordrhein-Westfalen wurde im März 2009 auch im Saarland ein Kooperationsvertrag zwischen Bundeswehr und Bildungsministerium unterzeichnet.

In einem Brief vom Juni 2009 drängte der damalige Verteidigungsministers Franz Josef Jung (CDU) die Ministerpräsidenten und Kultusminister der übrigen Bundesländer, ebenfalls eine Kooperationsvereinbarung mit der Armee abzuschließen. Es bedürfe einer aktiven Unterrichtung der Bürgerinnen und Bürger, "um den Sinn bewaffneter Auslandseinsätze zu vermitteln", hieß es in dem Schreiben. Die Minister folgten der Aufforderung: in Baden-Württemberg (Dezember 2009), Rheinland-Pfalz (Februar 2010), Bayern (Juni 2010), Mecklenburg-Vorpommern (Juli 2010) und Hessen (November 2010) wurden ähnliche Vereinbarungen abgeschlossen. Nun ist Sachsen dran.

"Ich halte solche Abkommen für fragwürdig", sagt Siegfried Schiele, der über 28 Jahre Leiter der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg war. Er entwarf 1976 die Minimalbedingungen für politische Bildung an deutschen Schulen, den sogenannten Beutelsbacher Konsens. Noch heute gelten die drei darin festgehaltenen Bestimmungen für den Politikunterricht als bindend: Schüler dürfen nicht im Sinne einer gewünschten Meinung "überwältigt" werden; was in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert wird, muss auch im Schulunterricht kontrovers dargestellt werden; Schüler müssen politische Situationen analysieren und sie im eigenen Sinne beeinflussen können.

"Der Beutelsbacher Konsens wollte Transparenz, Offenheit und Demokratie in die politische Bildung bringen. Dies wird durch solch einseitige Abkommen infrage gestellt", so Schiele. Zwar sei es zu begrüßen wenn Experten wie beispielsweise Jugendoffiziere in Schulklassen kämen, diese würden aber nur einseitig über die Bundeswehr informieren. Ein kontroverser Unterricht sei von den Militärs nicht zu erwarten. Um den Beutelsbacher Konsens einzuhalten, müsste auch ein Experte der Gegenseite - also jemand aus der Friedensbewegung - eingeladen werden. Dies geschieht kaum.

So geht aus einem Bericht des Berliner Senats hervor, dass im Jahr 2000 nur eine von 205 Jugendoffiziersveranstaltungen an Schulen in der Hauptstadt unter Beteiligung eines Friedensaktivisten stattfand. Laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestags vom März 2010 sind Schulen allerdings dazu verpflichtet, die Schüler bei Armee-Besuchen ausgewogen zu unterrichten. Dieses Recht auf einen kontroversen Unterricht sei sogar einklagbar.

Bereits im März 2010 fasste der Bundesvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) einen Beschluss gegen die Militarisierung der Schulen. Darin wendet sich die Lehrergewerkschaft "entschieden gegen den zunehmenden Einfluss der Bundeswehr auf die inhaltliche Gestaltung des Unterrichts". Kinderrechtler fordern ein generelles Verbot von Bundeswehreinsätzen an Schulen. Gefragt sei nicht Werbung für das Militär, sondern "Friedenserziehung für Kinder und Jugendliche", sagt Danuta Sacher, Geschäftsführerin beim internationalen Kinderhilfswerk Terre des Hommes.

Sacher fordert, "auf jegliche Werbung der Bundeswehr an Schulen und bei Lehrerfortbildungen zu verzichten." Die Kinderrechtsorganisation fordert die Kündigungen der Kooperationsvereinbarungen zwischen der Bundeswehr und den Schulministerien der Länder. Auf ihrer Webseite hat die Organisation ein Formular auf Befreiung der Kinder vom Schulunterricht zur Verfügung gestellt, denn es gilt die Schulpflicht.

Die Schüler hätten "rein rechtlich keine Chance, der Militär-Werbung in Schulen zu entgehen", erklärt Robin Cramer von der LandesschülerInnenvertretung Nordrhein-Westfalen. Ende November beschloss die Schülervertretung auf ihrer Landesdelegiertenversammlung eine Resolution gegen Schulbesuche der Bundeswehr. Zudem wurden die einzelnen Schülervertretungen dazu aufgefordert, vor Ort Protestaktionen gegen Bundeswehr-Besuche zu organisieren. Auch die Worte der nordrhein-westfälischen Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne), die sich auf der Delegiertenversammlung gegen die Resolution aussprach, brachte die Schüler nicht von ihrem Beschluss ab.

Die Grünen-Ministerin möchte auch nach dem Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen die Kooperationsvereinbarung mit der Bundeswehr fortsetzen. Die Ministerin begrüßt es, Jugendoffiziere zu Themen wie "Sicherung des Friedens und Verfahren der Konfliktlösung" in den Schulunterricht einzuladen - und erntet dafür massive Kritik. Die Linksfraktion brachte im Oktober einen Antrag zur Aufhebung der Vereinbarung in den Landtag ein. Im Januar soll darüber debattiert und im März abgestimmt werden.

Schon im Mai 2009 wurde vom Kölner Friedensforum der Aufruf "Schule ohne Bundeswehr" veröffentlicht, in dem die Aufhebung des Kooperationsvertrags gefordert wird. Neben zahlreichen Lehrerinnen und Lehrern gehörten auch Wissenschaftler wie der Sozialforscher Christoph Butterwegge und Schriftsteller wie Günter Wallraff oder Roger Willemsen zu den Erstunterzeichnern.

Sylvia Löhrmann, die auch Mitglied der GEW ist, möchte die bestehende Vereinbarung jedoch nur modifizieren - und beispielsweise den Beutelsbacher Konsens erwähnen. "Das Ministerium für Schule und Weiterbildung ist auf der Suche nach einem geeigneten Vorgehen, um den Organisationen der Friedensbewegung die gleichberechtigte Präsenz im Unterricht zu ermöglichen", erklärt Barbara Löcherbach, Pressesprecherin des Ministeriums für Schule und Weiterbildung NRW.

Löhrmanns Parteikollegin Andrea Asch, Sprecherin für Kinder- und Familienpolitik der grünen NRW-Landtagsfraktion, hat sich mittlerweile den Kritikern angeschlossen und den Aufruf des Kölner Friedensforums unterschrieben. Auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele sieht die Militäreinsätze in Schulen kritisch: "Die Schule darf auf keinen Fall Ort für Rekrutierung neuer Soldaten sein", sagt er. Bei Jugendlichen dürfe keinesfalls die Freude am Soldatentum wieder geweckt werden, warnt Ströbele.

Zwar ist die Bundeswehr seit je an Schulen aktiv, durch die Verträge wurde das Verhältnis zwischen Militär und Schulen allerdings institutionalisiert und auf Dauer verfestigt.

Das stört auch Agnieszka Malczak. Sie ist 25 Jahre alt und ebenfalls Bundestagsabgeordnete der Grünen. Sie fordert, "immer auch zivile Organisationen zum Beispiel aus der Friedensarbeit" zu Veranstaltungen mit der Bundeswehr an Schulen einzuladen. Einseitige Veranstaltungen wie Kasernenbesuche von Schulklassen lehnt die grüne Bundestagsabgeordnete dagegen entschieden ab.

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