„Gefährlicher als Werbung“

LOBBYISMUS Der Sozialwissenschaftler Reinhold Hedtke kritisiert die Verschleierungstaktik von Unternehmensvertretern im Unterricht

■ 58, ist Professor für Didaktik der Sozialwissenschaften und Wirtschaftssoziologie an der Uni Bielefeld. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie die Wirtschaft im Unterricht behandelt wird.

taz: Herr Hedtke, Unternehmen, Kammern und Verbände wollen mehr Wirtschaft in der Schule. Wie erfolgreich sind sie dabei?

Reinhold Hedtke: Sie sind sehr erfolgreich darin, mit Materialien, Expertenwissen und Projekten in die Schulen einzudringen. Das ist in den letzten Jahren sehr stark expandiert.

Welche Interessen verfolgen sie damit?

Ein wichtiger Grund liegt darin, dass gerade Branchen wie die Finanz- und Versicherungswirtschaft einen schlechten Ruf haben. Dieser ist im Zuge der Finanzkrise noch einmal richtig ruiniert worden. Die Unternehmen haben ein starkes Interesse daran, ihr Image aufzupolieren.

Die Trainer dürfen keine Tipps geben und keine Visitenkarten austeilen. Von Schleichwerbung kann also keine Rede sein.

Das wäre auch absolut illegitim. Diese Leute machen vielleicht keine Werbung, aber sie vertreten die Interessen ihrer Branche. Und sie vermitteln den Kindern und Jugendlichen den Eindruck , da kommen Experten, die uns verstehen, und senken so die Hemmschwelle, Versicherungen abzuschließen oder Wertpapiere zu kaufen. Das ist viel gefährlicher als plumpe Werbung.

Wie bekommt man die Balance hin – Experten von außen in die Schule zu holen, aber keine Lobbyarbeit zu unterstützen?

Gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer verfügen meist über genügend Expertise. Ein Irrtum ist außerdem, dass es ausgerechnet das ökonomische Wissen sei, welches Schüler am dringendsten brauchen. Das ist nur das Ergebnis einer Medienkampagne, die seit zehn Jahren geführt wird. Es erweist sich nämlich als falsch, wenn man sich überlegt, für welche wichtigen Bereiche es überhaupt keine Unterrichtsfächer gibt. Fast alle Jugendlichen gründen später Familien und werden Eltern. Aber es gibt kein Pflichtfach Pädagogik.

Sie sind Mitglied der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildung – und kritisieren doch deren Ansatz?

Da sehe ich keinen Widerspruch. Ich bin durchaus der Meinung, dass wir eine bessere ökonomische Bildung brauchen.

Was heißt das konkret?

Schüler sollten besser verstehen, wie Politik und Wirtschaft zusammenhängen. Das ist ein Bereich, der absolut unterbeleuchtet ist, der aber, wie die Finanz- und Schuldenkrise zeigt, von existenzieller Bedeutung ist.

INTERVIEW: ANNA LEHMANN